Süddeutsche Zeitung

SZ-Balkonien:Echt und wild

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Auch die SZ-Redaktion will die Bienen retten und Insekten sowieso. Das Thema hat auch die morgendliche Redaktionskonferenz erreicht. Die Debatte führt zu der Erkenntnis, dass Kellerasseln keine Insekten sind.

Kolumne von Alexandra Vettori und Kerstin Vogel, Freising

Etwas für die Artenvielfalt tun und den Balkon naturnah gestalten, klingt einfach, ist es aber gar nicht so. Einfach Blühpflanzen-Mischung in die Erde und los - Fehlanzeige. Das hat das kürzlich gegründete Balkonien-Komitee der Freisinger SZ bereits gelernt. Ausgangspunkt der Aktion war, dass auch die Freisinger SZ ihren Beitrag gegen das Insektensterben leisten und dazu den kahlen und von keinem Lebewesen bevölkerten Balkon der Redaktion begrünen möchte. Mit dem allgegenwärtigen Schlachtruf "Rettet die Bienen" ist es dabei freilich nicht getan.

"Wollen wir den Imkern helfen, damit die Bienen mehr Honig produzieren und nicht mit Zuckerwasser zugefüttert werden müssen, sind Blumenwiesen mit Pflanzen, die viel Pollen und Nektar liefern, zu empfehlen. Oder wollen wir auch den heimischen Insekten helfen? Dann sind zusätzlich Pflanzen erforderlich, die den Raupen als Futter dienen. Leider sind diese Pflanzen nicht besonders attraktiv oder werden als "Unkraut" bekämpft - Brennnessel, Ampfer, Knöterich, Salbei, Natternkopf. Außerdem brauchen die Raupen eine Möglichkeit, wo sie als Puppe den Winter überdauern können", lautet der vom Balkonien-Komitee eingeholte Rat des Insekten-Spezialisten des Freisinger Landesbunds für Vogelschutz, Heinz Kotzlowski. Leider, fügt er hinzu, würden die beiden Sachverhalte oft vermischt.

"Die Biologie der Insekten ist viel komplizierter als die der Honigbiene"

Kotzlowski gibt zu, dass ihn der allgegenwärtige Honigbienen-Hype langsam ein bisschen nervt: "Die Biologie der Insekten ist viel komplizierter als die der Honigbiene. In meinen Augen sind Honigbienen eine andere Art von Kühen, die statt Milch Honig liefern - der Mensch baut ihnen Häuser, bekämpft mit Chemie ihre Krankheiten und füttert sie in mageren Zeiten." Das müsse nicht schlecht sein, räumt Kotzlowski ein, aber allzu oft stelle er fest, dass auf frisch angelegten Blumenwiesen sofort Bienenkästen stünden, auch wenn die Wiesen eigentlich für Wildinsekten gedacht seien.

Für die SZ-Redaktion heißt das, dass bei der nächsten Morgenkonferenz eine Grundsatzentscheidung ansteht: Soll es eine dekorativ blühende Bienenweide werden auf SZ-Balkonien - offensichtlich etwas für Anfänger und ahnungslose Romantiker - oder soll es richtig werden, echt und wild, auch wenn es dann nicht ganz so hübsch aussieht und man sich beim Gießen an Brennnesseln vorbeimogeln muss.

Die Kulturchefin lacht und lacht

"Bienen", argumentiert eine junge Kollegin für die Schönheitsvariante: "Bienen tragen dazu bei, dass Früchte wachsen, was man von Kellerasseln nicht behaupten kann." Wie sie darauf kommt, dass Kellerasseln den im dritten Stock gelegenen Balkon der Redaktion erobern könnten, sagt sie nicht, wird von dem erstaunlicherweise biologisch bewanderten Kollegen von der Kreispolitik aber schnell darüber aufgeklärt, dass Kellerasseln ja nun keine Insekten seien. Die Kulturchefin lacht.

Taubnesseln wären noch besser als Brennnesseln, verkündet der frisch enttarnte Biologe weiter, wegen der gefüllten Blüten. Die habe er als Kind immer ausgezutzelt - nach diesem Hinweis kann sich auch der Fotograf an die Pflanze erinnern. Die Kulturchefin hat als Kind keine Taubnesseln ausgezutzelt, vielleicht weil sie in Texas aufgewachsen ist, erklärt sich aber bereit, egal welche Pflanzen bei künftigen Sonntagsdiensten ausgiebig zu gießen. Zu den vielen Aufgaben, die es zu verteilen gibt, gehört künftig nämlich auch, die Pflanzen zur Rettung der Artenvielfalt am Leben zu erhalten. Der Fotograf erörtert eine technische Lösung zur Bewässerung von SZ-Balkonien, in der ein Wollfaden und ein Eimer vorkommen, die Idee wird jedoch verworfen, weil die angebliche Funktionsweise über Osmose nicht in letzter Konsequenz geklärt werden kann.

Die Kulturchefin lacht immer noch, der Praktikant wirkt zunehmend orientierungslos - und der Kreisberichterstatter fordert jetzt auch wilden Wein und die Ansiedelung von Ohrenkneifern, ersatzweise vielleicht von Marienkäfern zum Einsatz gegen Blattläuse. Ob es ein "gegen" aber überhaupt geben darf? Eine Intervention der Komitee-Vorsitzenden ("Ooooorder!!") beendet die Debatte, bevor sie endgültig entgleisen kann. Die Abstimmung via Handzeichen ergibt ein einmütiges Votum für Brennnesseln und Naturnähe: SZ-Balkonien goes wild.

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