Süddeutsche Zeitung

Karneval in München:Die Generation Insta fehlt beim Fasching

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Weiße Feste, Debütantinnen und Exil-Rheinländer - in München ist die Faschingssaison angelaufen, die Stimmung stimmt. Nur die Jugend feiert nicht mit. Warum? Ein Rundgang zwischen Nachtwerk, Isarpost und Bayerischem Hof.

Von Philipp Crone

Elvis muss noch kurz eine Sprachnachricht losschicken, deshalb steht dann der Papst vor ihm in der Schlange. Aber das ist ganz egal, also janz ejal, denn singen kann man ja auch auf dem Weg zur Garderobe, und das machen etwa 99,3 Prozent der Gäste in dem Moment, in dem sie das Nachtwerk am Samstagabend betreten. Die Frage also, ob der Fasching respektive Karneval in München zum Start der ersten Post-Corona-Saison gefeiert wird, ist schon um 19.03 Uhr mehr als eindeutig beantwortet. Allerdings sind noch einige andere offen. Wer feiert, wo, was und warum überhaupt? Und wo liegt der Unterschied zwischen dem Magnolienball und der Karnevals-Fete?

Elvis hat seinen Wintermantel jetzt abgegeben, Kölsch singend und nun auch mit Kölsch im Glas, während neben ihm eine Frau mit Augenbrauen wie Brückenbogen ihrer Begleiterin zwischen zwei Songs von der Anreise berichtet: "Die 19 fährt ja durch." Nicken. "Bis nach Istanbul?" Beim Humor kann man streiten, bei den Kostümen eher nicht. Da liegen die Jecken vom KMKV, den Kölnern im Münchner Exil, relativ weit vorne.

Während alle zehn Minuten eine Busladung Gäste ankommt, sodass um kurz vor 20 Uhr längst festliche Party-Fülle zwischen Theken und DJ-Pult herrscht, ergießen sich weiter FC-Spieler, Matrosen oder Clowns auf die Tanzfläche. Ausgefallenes ist selten, dafür sind die Kostüme formvollendet. Mittendrin wippt ein weibliches Ferrero Küsschen, womit man schon bei der Frage wäre: Worum geht es hier eigentlich? Außer um die beim Ausgehen ja immer leicht mitschwingende Flirt- und Anbandel-Hoffnung.

Mandy Splettstößer, Vorsitzende und Veranstalterin des Abends, weiß das für ihre Klientel exakt zu beantworten: "Hierher kommen Exil-Rheinländer." Und die müssten die seit der Kindheit erlernten Traditionen und das dazugehörige Liedgut einfach mal wieder loswerden. Im Hintergrund schmettern Kasalla ihren Song "Pirate", gefolgt von "Verlieb dich nie", gemeint ist "in dat Mädche hinger der Bar".

Liebe und Freiheit. So viel ist nach einer Stunde schon klar. Wobei die Kölner ihre Überheblichkeit in Sachen narrische Zeit abgelegt haben. Der Fasching, gerade der Münchner, ist vielleicht einfach gar keine Konkurrenz mehr, erst recht nicht nach Corona. "In München wirst du schräg in der U-Bahn angeschaut, wenn du ein Kostüm anhast, in Köln, wenn nicht", sagt Splettstößer. "Bei uns steht man an Stehtischen, in München sitzt man bei Faschingsbällen", auch das zeige doch den Unterschied. Es sind einfach verschiedene Ligen, würden wohl die Jungs im Trikot sagen. "Einfach Lebensfreude", sagt die Vorsitzende noch, was man als platten PR-Satz abtun könnte, würde sie nicht noch ein Beispiel hinterherschieben: "In Köln hakt man sich an den Armen ein beim Schunkeln, da geht es mehr ums Feiern." In München nehme man den anderen um die Hüfte, "da ist die Hand dann schnell am Hintern". Natürlich steht aber auf dem Plakat über dem DJ auch "Bütze", das kölsche Küssen.

Kölscher Karneval erinnert an den ersten Wiesnsamstag

Karneval mit Kölnern, das ist wie der erste Wiesnsamstag im Schützenzelt um kurz vor zwölf: Jeder weiß exakt, was zu tun ist, um in kürzester Zeit auf Voll-Stimmung zu kommen, kennt Songs und Fest-Gesetze. Der Unterschied neben der Glasgröße ist dann höchstens, dass beim Karneval mehr Schminke und weniger Stammwürze im Spiel ist. Das Ergebnis ist aber das gleiche.

Als dann Matrosen und Piloten in Mannschaftsstärke anwesend sind, kommt auch schon die erste richtige Hymne, "Et jitt kei Wood", es gibt kein Wort, "das sagen könnt, was ich fühl', wenn ich an Kölle denk". An Kölle denken Pharaonen, Päpste, Al Capones, und sie alaafen sich durch Diskonebel, Luftballons und -schlangen. Die mittlerweile 500 Leute sind so textsicher wie die Südkurve bei den Bayern und in bester Ü-40-Feier-Routine. Was man fünf Kilometer weiter stadteinwärts nicht unbedingt behaupten kann.

Da stehen im Ballsaal des Bayerischen Hofs um kurz vor 21 Uhr die Debütantinnen und Debütanten des Magnolienballs bereit. Was hat denn nun Karneval mit einem Schwarz-Weiß-Ball zu tun oder gar dem Weißen Fest, das ebenfalls gerade startet? Jede Menge.

Weiße Abendkleider, Smoking oder Uniform, so sind die jungen Menschen auf der Treppe zum Saal gewandet, und auch hier kennt das Publikum die Musik auswendig. Die Debütanten und -innen tanzen zu "Wiener Blut", und selbstverständlich sind Frack und Paillettenfummel ebenso Verkleidungen wie der Sträfling im Nachtwerk. Die Freiheit, eine Rolle zu spielen und nicht man selbst sein zu müssen, das geht mit jedem Kleidungsstück, das man eben sonst nicht trägt. Und während anderswo gebützt wird, passiert hier der Frauentausch bei der Française gleich derart gleichzeitig und organisiert, dass die drei beteiligten Herren in ihren Militäruniformen ihre wahre Freude haben müssten.

Und auch die Texte haben den gleichen Inhalt, statt "Du bist so wunderschön", wie die Höhner in "Prinzessin" singen, haucht die Ballband eben "better love me babe" aus dem Song "Just a Gigolo". Ein rüstiger Silverager fordert eine einsame Dame am Tischende zum Tanz auf, dass die gleich vor Freude errötet. Zu "Love is in the Air" sind dann längst alle Anfänger wieder von der Tanzfläche verschwunden, während sich einen Kilometer weiter südlich Caesaren und Engelinnen gerade zu "Celebration" auf den Abend einstimmen.

Das Weiße Fest in der Isarpost ist eine Urmünchner Verkleidungsfeier. Ursprünglich von den Studenten der Akademie der Schönen Künste vor Jahrzehnten erfunden und ausgerichtet, hat sich das Prinzip der einfachen Verkleidung in der Stadt längst etabliert. Nur könnte den Faschingslaien ebenso wie beim Karnevals-Fest der Altersdurchschnitt wundern, der liegt klar bei Ü 40. Christian Karpfinger, der Veranstalter, sagt: "Viele haben den Eindruck, dass die Faschingsfeste nicht mehr so gut besucht sind, bei uns ist es auch eher langsam angelaufen." Allerdings seien jetzt drei von sechs Abenden ausverkauft. Manche seien eben auch nach Corona vorsichtig geblieben, sagt Karpfinger.

Die Chemical Brothers grooven mit "Galvanize" durch den Raum, dass Krankenschwestern, Piloten und Schneemänner Angst um ihre Kopfbedeckung haben müssen, was sich eine Dame mit Glitzertropfen an den Augen in Ruhe am Rande ansieht. Andi, 47, Grundschullehrerin aus Percha, ist auf Betriebsausflug, eine Kollegin wollen sie hier verkuppeln. Wahrscheinlich gibt es kaum eine prototypischere Besucherin dieser Feier. Andi, eigentlich Andrea, sagt: "Die jungen Leute gehen nicht zum Fasching, weil der Generation Insta das gute Aussehen einfach so wichtig geworden ist." Ihre älteren Kinder sind 15 und 16. Vielleicht gehen sie aber auch einfach nicht zu einem Ü-40-Fest, ob in FC-Trikot, Smoking oder in Weiß.

Andererseits stimmt es schon: Verkleiden, um sich von Alltag und Ernsthaftigkeit zu verabschieden, das haben wohl die Best-Ager nötiger als die Teenager, gerade in München. Einfach mal gehen lassen, mit Musik, Mixgetränk und Maskerade.

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