Süddeutsche Zeitung

Schienengüterverkehr:Güterwaggons der Zukunft

Lesezeit: 3 min

Ein junges Dorfener Unternehmen hat ein neues System für Güterwagen entwickelt, mit dem die DB Cargo ihre Waggonflotte modernisieren möchte. Start-up-Gründer Reinhard Decker fertigt seit 2004 im benachbarten Armstorf Großraum- und Spezialcontainer.

Von Thomas Daller, Dorfen

Die Deutsche Bahn will den Schienengüterverkehr mit Güterwagen der Zukunft modernisieren: Sie basieren auf einem neuen modularen Unterbau und den neuen m²-Wechselbehältersystemen. Der Name des neuen Systems, ausgesprochen "m Quadrat", steht für multifunktionale und modulare Wagen. Das Baukastensystem soll die alte Flotte ersetzen, die bisher als rund 100 Einzelcontainertypen bestand. Die neuen Waggons können individuell an die Fracht angepasst werden, um so ein schnelleres Umladen zu ermöglichen. Zurzeit umfasst die Waggonflotte allein in Deutschland 63.000 Güterwagen, die durch das moderne System ersetzt werden sollen. Neben der DB Cargo, Europas größtem privaten Waggonvermieter VTG und dem Containerhersteller Wecon ist auch ein junges Dorfener Start-Up beim Austausch-Projekt dabei: die RRB Railroad GmbH. Die Gründer des Startups, Reinhard Decker und Andreas Schwenter, kommen von zwei Unternehmen aus dem Containerbau und der Recyclingbranche.

Die von ihnen entwickelte Railroadbox wurde am Mittwoch auf der Innotrans 2022 in Berlin vorgestellt, der weltgrößten Messe für den Schienenverkehr. Und den ersten Auftrag von der Bahn haben sie auch schon: Anfang November wird ein ganzer Zug voll Railroadboxen in Braunschweig ausgeliefert. Mit der neuen Wagenarchitektur soll der Schienengüterverkehr flexibler werden. Durch die Trennung von Aufbau und Unterbau sowie die baukastenartige Modifizierbarkeit der m²-Plattform wird der Güterwagen multifunktional für verschiedenste Anwendungsfälle.

Der schwierigste Prototyp für den Transport von schwerem Stahlschrott ist bereits zertifiziert

Die Bahn will mehr Kunden von der Straße holen und bis 2030 ein Mengenwachstum im Gütertransport von 30 Prozent generieren. Die Railroadboxen sollen dabei die Möglichkeiten zum Transport von Massen- und Schüttgütern revolutionieren. Der schwierigste Prototyp für den Transport von schwerem Stahlschrott ist bereits zertifiziert. Für weitere Großraumcontainer für den Transport von Kohle sowie von Getreide laufen schon die Tests. Sie werden dringend in der Ukraine benötigt, sagte Decker.

Start-up-Gründer Reinhard Decker ist in Dorfen kein Unbekannter: Sein Unternehmen Decker Containerbau fertigt seit 2004 im benachbarten Armstorf Großraum- und Spezialcontainer. Andreas Schwenter ist Präsident der Bundesvereinigung Deutscher Stahlrecycling- und Entsorgungsunternehmen, des größten Branchenverbandes für Stahl- und Metallrecycling in Europa. Nach der Gründung kam als dritter Teilhaber noch der junge Ingenieur Fabian Kirmaier hinzu, der maßgebliche Entwicklungsarbeit geleistet hat. RRB Railroad ist firmenrechtlich nicht mit der Decker Containerbau verflochten. Die Railroadboxen sollen auch nicht in Armstorf, sondern in einem Werk in Polen gefertigt werden.

Nach eineinhalb Jahren Planungs- und Bauzeit war die Railroadbox fertig und bestand alle Tests

Decker und Schwenter kennen sich schon länger. Der Recyclingverband beabsichtigt schon geraume Zeit, mehr Kapazitäten auf der Schiene zu transportieren, auch aus Klimaschutzgründen. Schwenter fragte Decker, ob er mit seiner Erfahrung für das m²-System einen neuen Container für die Branche entwickeln könne. Decker holte Kirmaier hinzu und nach eineinhalb Jahren Planungs- und Bauzeit war die Railroadbox fertig und bestand nach ein paar kleineren Modifikationen auch alle Tests der Bahn. Die Box ist 4,5 Tonnen schwer und aus Hardox-Stahl gefertigt, den nur das schwedische Unternehmen SSAB herstellt. Hardox gilt als extrem hart und zäh und daher für Anwendungen geeignet, für die eine hohe Verschleißfestigkeit verlangt wird. Die Box ist durch zwei Patentanmeldungen und zwei Gebrauchsmusteranwendungen geschützt.

Andreas Schwenter spricht von einer "Weltpremiere", denn es seien die ersten Behälter für schwere Schüttgüter für das m²-System. Außerdem verfüge es über einen Abrollhaken, mit dem jeder Recyclingbetrieb den Container im Terminal anliefern könne. Von dort aus werde er dann mit Kränen oder Stapler auf die Wagen verladen. Außerdem sei er auch als Seecontainer tauglich und lasse sich vierfach aufeinander stapeln.

Auf dem Tonwerk-Gelände in Dorfen kann man einen der neuen Containerwagen sehen

"Die Bahn sucht für ihr m²-System derzeit 5000 Behälter", sagt Decker. Langfristig soll nach Angaben der DB Cargo 70 Prozent der Flotte ausgetauscht werden. Ein Teil davon werden Planen- und Holzcontainer sein, die der Mitbewerber Wecon herstellt, aber auch die Railroadcontainer werden dabei ein Stück vom Kuchen abbekommen. Wie wichtig der DB Cargo dabei die Dorfener Entwicklung ist, kann man auch daran ersehen, dass Sigrid Evelyn Nikutta, die Vorstandsvorsitzende der DB Cargo AG, den Stand der RRB Railroad auf der Innotrans in Berlin besucht hat.

Wer sich in Dorfen ein Bild von der Zukunft des Güterverkehrs machen will, muss in den Ortsteil Orlfing, auf das Tonwerk-Gelände, das Deckers Bruder Robert gehört und wo auch die RRB Railroad ihren Firmensitz hat. Dort steht ein blauer Großraumcontainer mit Wolken drauf. Mit solchen Containern sollen künftig Kohle- oder Mülltransporte erfolgen.

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