Süddeutsche Zeitung

Innovation aus dem Landkreis Ebersberg:"Wir wollen den Heim-Unterricht revolutionieren"

Lesezeit: 3 min

Michael Jäger aus Zorneding hat ein System entwickelt, das es Lehrern leicht macht, ein Lehrvideo zu drehen. Eine Schwachstelle gibt es allerdings.

Von Korbinian Eisenberger, Ebersberg

Man kennt solche Pedale vom Volksfest, wobei die Steuerung eines Autoscooters deutlich komplizierter ist als dieser Apparat. Der Fuß drückt das Pedal, so wird es zum multiplen Startknopf: Zwei Scheinwerfer gehen an, der Bildschirm wird hell und startet ein Intro. Nach zehn Sekunden beginnt automatisch die Tonaufnahme. Wie ein virtueller Schulgong. Kurz räuspern, die Show beginnt.

Der Fuß auf dem Pedal gehört Michael Jäger aus Zorneding. Der 54-Jährige hat das System entwickelt, das er "Ein-Klick-Studio" nennt: Eine Filmanlage, die es Lehrern ermöglichen soll, ohne Vorkenntnisse hochwertige Filmaufnahmen zu erstellen und so per Unterrichtsvideo auf die Schreibtische der Schüler zu gelangen. Aufgrund der Beschränkungen im Zuge der Corona-Krise sind seit Monaten immer wieder Schüler, Lehrer und ganze Klassen aufs Homeschooling angewiesen. Hier setzt Jägers System an. Der Plan des Entwicklers: "Wir wollen den Heim-Unterricht revolutionieren."

Der erste Kunde: Keine Schule, sondern das Landratsamt Ebersberg. Landrat Robert Niedergesäß (CSU) hat sich den ersten sogenannten Show-Room aus dem Hause Jäger einrichten lassen und dafür 20 000 Euro investiert. Zu finden ist es an diesem Mittwochvormittag zur Erstbesichtigung in einem kleinen Kammerl des ehemaligen Sparkassengebäudes. Herzstück ist ein schwarzer Metallkasten, in dem Mini-Computer und Kabel versteckt und verschlossen sind. Auf dem Kasten sind zwei identische Flachbildschirme verschraubt, darüber eine Kamera, hoch droben zwei Scheinwerfer. Wie in einem Miniatur-TV-Studio - allerdings mit einer zwar kleinen, aber feinen Besonderheit.

Das "Ein-Klick-Studio" soll es Lehrern so einfach wie möglich machen. Deswegen ist ihre einzige technische Aufgabe, einen winzigen USB-Stick anzustecken, ehe das Pedal zum Einsatz kommt. "Lehrer sind technisch teils überfordert", sagt Michael Jäger. Zu dieser Einschätzung komme er nach Gesprächen mit Schülern, Eltern und Lehrern in Zorneding und in München, wo er bis vor vier Jahren lebte. 2015 hatte Jäger das System zusammen mit der Software-Firma Boinx aus Germering entwickelt. "Damals hat sich aber niemand dafür interessiert", sagt er. Im Corona-Jahr 2020 könnte nun Nachfrage bestehen.

Landrat Robert Niedergesäß "fand die Idee spontan gut und überzeugend", sagt er bei einem Telefonat am Mittwochnachmittag. In Kürze wird das Studio den zehn weiterführenden Schulen vorgestellt, für die der Landkreis direkt zuständig ist. "Die anderen Schulen können sich das sehr gern auch anschauen", so Niedergesäß. Die Kosten - je nach Ausstattung zwischen 10 000 und 20 000 Euro - werden nach aktuellem Stand weder von Bund noch Land gefördert, so Niedergesäß. "Wir würden das aber als Landkreis unterstützen und in Vorleistung gehen."

Jägers System ist eine regionale Innovation, wobei es Beispiele andernorts mit ähnlichen Konzepten gibt. An der Universität zu Köln etwa wurde ein sogenanntes "One Button Recording Studio" (kurz OBRS) eingerichtet, statt eines Pedals wird ein Knopf gedrückt (diese Option bietet Jäger auch an). Laut Uni "handelt es sich um ein voll automatisiertes Filmstudio in dem Dozentinnen und Dozenten die Produktion kurzer Lehrvideos, Interviews oder zum Beispiel auch Probevorträge selbstständig durchführen können." Auf dem asiatischen oder amerikanischen Markt gibt es bereits ähnliche Produkte, wenngleich in der Regel deutlich teurer.

Verglichen mit einer Unterrichtsstunde im Klassenzimmer hat der Clip einen Vorteil: "Wenn ein Schüler etwas nicht verstanden hat oder abgelenkt war, kann er das Video zurückspulen", sagt der Entwickler. Wenn die Frage des Schülers dann allerdings unbeantwortet bleibt, hat er keine Gelegenheit, direkt nachzufragen. So eint diese Systeme eine Schwachstelle: Zwar können Lehrer an Schulen mit Ein-Klick-Studios - etwa aus dem Haus Jäger - ohne technisches Know-how hochwertige Videos anfertigen und versenden. Eine Live-Schalte in die Kinderzimmer ist damit jedoch nicht möglich, auch nicht mit dem System aus Zorneding. Jäger: "Wir arbeiten, daran, das zu ermöglichen."

Michael Jäger ist kein Unbekannter in Zorneding und auch sonst. In der "Gmoa" ist er durch seinen Online-Sender Zorneding TV prominent wie ein bunter Hund, vielen dürfte er bis heute besser als Matthias Kruse bekannt sein, den er zehn Jahre in der ARD-Serie Marienhof spielte. Was befähigt ihn, der vor allem als Schauspieler wirkte, ein digitales Konzept für Homeschooling zu entwickeln? Das eine schließe das andere nicht aus, erzählt er am Set im Ebersberger Sparkassen-Kammerl.

Ob im Marienhof, bei den Rosenheim-Cops, oder im Tatort: "Ich bin Schauspieler, aber ich hab' immer verstehen wollen, was die da hinten machen", sagt er. Also schaute er zu und stellte Fragen. Ein Fachbuch hat er dreimal durchgelesen, eher er es kapierte. Für den Kanal mit Pedal habe er mit seinen Partnern Tausende Stunden investiert. Einen hat er nun verkauft.

Das Ein-Klick-Studio im Sparkassengebäude kann besichtigt werden. Termine unter 015678/732204 oder mail@einklickstudio.de.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5118998
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 19.11.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.