Süddeutsche Zeitung

Trasse Limone durch den Landkreis Ebersberg:Letzter Akkord für Instrumentenbauer

Lesezeit: 3 min

Quirin Kaiser wollte seine Schreinerei und Ziehharmonikawerkstatt in Niclasreuth in den nächsten Jahren ausbauen. Die Entscheidung der Bahn blockiert alle seine Pläne.

Von Alexandra Leuthner, Aßling

Quirin Kaisers Zuversicht schwindet. Vor einem halben Jahr noch lag die Wahrscheinlichkeit, dass der Ausbau des Brennernordzulaufs ausgerechnet ihn und seinen Betrieb im Aßlinger Ortsteil Niclasreuth treffen würde, bei 25 Prozent. Doch schon damals blickte er voll Sorge hinüber zu dem Grundstück auf der anderen Seite der Dorfstraße, wo er eigentlich seine neue Werkstatt bauen will. Oder bauen wollte.

Nach der Entscheidung für die Trasse Limone steht die Zukunft des Traditionsbetriebs in den Sternen

Denn nach der Entscheidung der Deutschen Bahn für die Trasse Limone steht die Zukunft des Traditionsbetriebs endgültig in den Sternen. Zumindest die Aßlinger Zukunft, wo der Ziachkaiser zu Hause ist, und wo der Urgroßvater 1891 das Unternehmen gegründet hat, das für seine Steirischen Quetsch'n im ganzen Oberland bekannt ist. Nicht nur die Akkordeonfabrikation, sondern auch die normale Schreinerei läuft gut, so gut, dass Kaiser seine Firma eigentlich vergrößern wollte. Genau dort, wo jetzt die Trasse Limone verlaufen soll, war die neue Werkstatt geplant.

Mehr Platz für seine Mitarbeiter wollte er schaffen, mehr Platz auch, um Lehrlinge und Gesellen zu beschäftigen. Gerade diese Woche habe er vier Bewerbungen absagen müssen, erzählt Kaiser. Auch einem Schreinergesellen, der den Quetsch'nbau zusätzlich zu seiner Schreinerausbildung habe lernen wollen, habe er sagen müssen. "Tut mir leid, es geht nicht." Und das in einer Zeit, in der Nachwuchs im Handwerk dringend gebraucht wird.

"Wir hängen jetzt absolut in der Luft", sagt der junge Firmenchef, und das wird sich auch auf absehbare Zeit nicht ändern. Für das besagte Grundstück, das der bestehenden Werkstatt fast direkt gegenüberliegt, hatte es Vorgespräche gegeben. In einem Tauschgeschäft sollte es in seinen Besitz übergehen. Nun wäre es für die Gemeinde an der Zeit, einen Bebauungsplan zu erarbeiten. "Bis 2025 hätten wir den Bebauungsplan wahrscheinlich, den ich aber auch selbst zahlen müsste", erklärt Kaiser. 2025 fällt aber auch die endgültige Entscheidung im Bundestag über den Bau der Trasse Richtung Brenner. Limone würde direkt am Betrieb vorbeilaufen. Wenn sie fertig ist. Bis dahin - momentan ist von 2040 die Rede - wäre dort lange Zeit Baustelle.

Natürlich ist der Fall bei der Bahn bekannt, so wie man auch in Aßling weiß, dass man beim Ziachkaiser nicht weiter weiß. "Vom Bürgermeister hab ich seit der Trassenentscheidung nichts mehr gehört", schimpft Quirin Kaiser, der auf Aßlings Rathauschef Hans Fent nicht gut zu sprechen ist. Klare Aussagen habe er jedenfalls bisher nicht bekommen, und so richtig schlau werde er auch nicht aus dem, was ihm der Projektleiter der Bahn, Christian Tradler, gesagt hat. Wenn er auf dem betroffenen Grundstück etwas geplant habe, würde man ihm seitens der Bahn "keine Steine in den Weg legen", zitiert er Tradler. Und dann?

Wer einmal beim Ziachkaiser in der Werkstatt war, im Verkaufsraum, im relativ neuen Ausstellungsraum, bekommt eine Vorstellung von dem Gespür, das er nicht nur beim Bau seiner Quetsch'n an den Tag legt, sondern auch bei der Ausstattung seiner Räume. Ziehharmonikabau hat nicht nur etwas mit Musik, sondern viel mit Ästhetik, mit Liebe zum Ornament, zum Detail zu tun. Und so sind auch die Räume rund um die Werkstatt liebevoll ausgestattet, grob behauene Wandsteine, sicht- und spürbare Deckenbalken, massives Holz. Die neue Arbeitsstätte hätte das alles auf Dauer ergänzen sollen. "Aber für meinen Betrieb steht im Moment alles still. Wir sind auf fünf bis zehn Jahre gesperrt."

Eine Nachfrage bei der Bahn ergibt, dass in dem von Kaiser geschilderten Gespräch lediglich die rechtliche Situation erörtert wurde. Dass er bis zum Einreichen der Planfeststellungsunterlagen bauen könne, erklärt ein Bahnsprecher, es gebe keine Veränderungssperre "hinsichtlich von Baumaßnahmen Dritter auf Flächen des künftigen Streckenneubaus." Eine Baumaßnahme wie die von Kaisers Werkstatt könnte also derzeit genehmigt werden. Grundsätzlich bestehe "auch ein Anspruch auf Entschädigung, wenn Eigentum (Grundstücksflächen oder Gebäude) durch das Bauvorhaben Brenner-Nordzulauf betroffen ist und gegebenenfalls Gebäude zurückgebaut werden" müssten. Wie das konkret aussehen würde, könne aber erst im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens geklärt werden. Planen, genehmigen lassen, aufbauen - und dann wieder abreißen?

"Gott sei Dank hob I no ned 'baut", sagt Quirin Kaiser, der sich alleingelassen fühlt mit seiner Planung und seinem Traditionsbetrieb - von der Bahn ebenso wie von der Gemeinde. Neben seiner bisherigen Werkstatt wohnt er selbst mit seiner Familie. Und so soll es auch bleiben, wenn es nach ihm geht, er sei jetzt aber soweit, dass er umziehen würde, mit Kind und Kegel, wenn er könnte. "Momentan wäre mir am liebsten eine andere Gemeinde als Aßling", eine, die ihm Sicherheit geben könnte. Er habe mit mehreren Bürgermeistern gesprochen, im Landkreis Ebersberg und auch außerhalb, von denen ihm einige Grundstücke angeboten hätten, auf die er mit Betrieb und Wohnhaus übersiedeln könnte. "Ich bräuchte aber ein großes Grundstück für meine Eltern, meine Familie und die Werkstatt, aber unter den momentanen Umständen ist das gar nicht stemmbar."

Was die Bahn angeht, teilt Kaiser die Kritik am Limone-Auswahlverfahren, die unlängst aus Kreisen der Befürworter für eine Trasse nahe der Bestandsstrecke laut geworden war. An der Bahnlinie habe die Bahn bereits die nötigen Grundstücke, dort könne man im Zuge des Neubaus für die Anwohner Verbesserungen erreichen, etwa den Bahnhof barrierefrei machen. Limone dagegen würde durch bisher unbebaute Grundstücke führen, "das muss einem doch der gesunde Menschenverstand sagen, was da an Flächen kaputt gemacht wird."

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