Süddeutsche Zeitung

Vogelzählung in Ebersberg:Wo piept es noch?

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Es gibt weniger Vögel als sonst in den Gärten im Landkreis. Zum Teil liegt das an klimatischen Besonderheiten in diesem Jahr. Doch auch die Lebensbedingungen für die Tiere werden immer schlechter

Von Alexandra Leuthner

Da ist es wochenlang totenstill im Garten, und dann bricht mit einem Mal die Hölle los. Die Katze sitzt schon am Fenster und leckt sich die Schnauze beim Blick nach draußen. "Tschak, tschak, tschak", macht es dort, und ein wildes Flattern bringt die Zweige der Eberesche am Zaun zum Schwanken. Ein Trupp Wacholderdrosseln ist ein- und über die roten Beeren hergefallen, die weithin leuchtend davon künden, dass hier auf fliegende Besucher ein Festmahl wartet. Der knapp amselgroße Vogel gehört in der Regel nicht zu den häufigsten Gästen in dieser Jahreszeit, wie sie in der alljährlichen Stunde der Wintervögel aufgelistet werden. Auf Platz 25 schaffte sie es im Vorjahr im oberbayerischen Vergleich, dieses Mal ist sie im gesamten Regierungsbezirk bis auf Rang 13 aller gemeldeten Vögel vorgeflattert. Ein gutes Obstjahr könnte die Ursache für ihr gehäuftes Auftreten sein, vermuten Biologen vom Landesbund für Vogelschutz. Der im Gegensatz zu anderen Drosselarten wie die Amsel recht bunte Singvogel gehört zu den Kurzstreckenziehern, fliegt im Winter bis in den Mittelmeerraum. Wenn es nicht zu kalt ist und das Nahrungsangebot passt, bleibt er aber auch ganz gerne mal in Bayern.

Richard Straub konnte in diesem Jahr gerade mal eine Amsel und vier Elstern melden

Zum 15. Mal waren Vogelfreunde an zwei Tagen im Januar aufgerufen, eine Stunde lang in ihren Gärten nachzusehen, was dort an typischen Singvögeln unterwegs ist. Der Naturschutzbund hat die "Stunde der Wintervögel", eine Initiative des Landesbunds für Vogelschutz (LBV) 2011 für ganz Deutschland übernommen, auch in Österreich wird seit zehn Jahren gezählt. Richard Straub hat natürlich auch mitgemacht; der stellvertretende LBV-Vorsitzende des Kreisverbands Ebersberg konnte in diesem Jahr allerdings gerade mal eine Amsel und vier Elstern melden. Eine vernichtende Ausbeute, die zu bestätigen scheint, was Vogelliebhaber bereits in den vergangenen Monaten beobachtet haben: Es ist wenig los in den Gärten. Vor allem die typischen Wintergäste wie Kohl- und Blaumeise, Gimpel oder Grünfink sind weitgehend ausgeblieben, ja selbst Amseln sind wenig zu sehen.

Nun soll ja im Rahmen der jährlichen Mitmachaktion tatsächlich nur der Zeitraum einer Stunde zum Zählen veranschlagt werden, um die Vergleichbarkeit mit anderen Jahren zu gewährleisten. Es kann also durchaus Pech sein, wenn gerade in diesen 60 Minuten nichts los ist vor der eigenen Terrassentür. Doch Straubs Erfahrungen - der immerhin noch von einem "einzelnen Rotkehlchen" berichten kann, das sich normalerweise bei seinem Haus rumtreibe - decken sich mit denen vieler Naturfreunde in diesem Winter: Es gibt viel weniger Vögel als sonst. "So krass wie in diesem Jahr war es noch nie", sagt Straub. Dabei haben sich gerade diesmal in ganz Deutschland besonders viele Menschen an der Zählung beteiligt, wie der Vorsitzende der Ornithologischen Gesellschaft, der Grünwalder Manfred Siering berichtet. Etwa 90 000 mehr Freiwillige als im Vorjahr waren mit Strichlisten draußen, knapp 233 700 Menschen. "Da hatten wohl heuer viele Menschen viel Zeit zum Spazierengehen", so Siering. Bundesweit 34,6 Vögel pro Garten konnten sie beobachten, 5,6 Millionen Tiere. In den beiden Vorjahren waren es etwa 37 Vögel pro Einheit gewesen - vor zehn Jahren, 2011, noch 46. Unerfreulich ist auch der Blick in den Landkreis Ebersberg, wo nur 32,5 Vögel im Schnitt beobachtet wurden, noch schlimmer steht es um den benachbarten Landkreis München mit 25 und die Stadt München mit nur 22 Tieren.

Richard Straub, der in Markt Schwaben zu Hause ist, hatte seine beiden Futtersäulen in den ersten Januarwochen nicht ein einziges Mal nachfüllen müssen, von einem Meisenknödel fehle gerade mal die Hälfte, berichtete er. "Ich bin dann in den Wald raus, weil ich mir dachte, irgendwo müssen sie ja sein." So richtig fündig ist er dabei allerdings auch nicht geworden. Aus anderen Gemeinden des Landkreises erreichten ihn Anrufe von Vogelfreunden, die ähnliches erzählten. Einzig in Baldham scheint es in diesem Jahr eher mehr als weniger Vögel zu geben.

Der erste Gedanke bei der Suche nach den Ursachen geht natürlich in Richtung verschlechterter Umweltbedingungen. Und so sagt Vogelschützer Straub: "Es arbeitet alles gegen die Vogelwelt." Die dichte Bauweise von neuen Häusern zählt er auf, die keine Einfluglöcher offen lassen, wo sich Vögel Brutplätze anlegen könnten, Schottergärten, die Kleinstlebewesen, die als Nahrung für Vögel dienen, keine Überlebenschance lassen. Ornithologe Siering führt als mitentscheidenden Vogelkiller die Gartenchemie an. "Es geht ja alles günstig her, jeder kann sich am Giftschrank bedienen. Da nutzt es gar nichts, im Winter fleißig zu füttern und dann aber Blattläuse auf den Rosen im Juni zu besprühen, wenn die Meisen Junge haben." Denn, das betonen beide, auch Körnerfresser brauchen Würmer, Insektenlarven, Schnecken, um ihre Brut groß zu ziehen.

Wenn es in Westsibirien zu mild sei, wanderten die Kohlmeisen dort nicht ab, sagt Siering

Dass es in diesem Jahr so ruhig ist in den Bäumen, scheint aber tatsächlich auch an den klimatischen Umständen zu liegen. Viele Singvögel, die den Winter bei uns verbringen, brüten im Sommer weiter nördlich, es sind also nicht das ganze Jahr über die selben Individuen, die wir draußen beobachten können. Wenn es aber in Westsibirien oder rund um Moskau herum recht mild sei, wanderten die Kohlmeisen dort nicht ab, erläutert Siering. Auch in Skandinavien war es wohl zunächst zu warm, so dass die Bergfinken dort geblieben sind. Dagegen waren die Kolbenenten auf dem Speichersee - bis Mitte Januar jedenfalls - noch hier, ebenso der Rotmilan, der drittgrößte Raubvogel, der in anderen Jahren längst nach Spanien geflogen wäre, wie Siering erzählt.

Kohlmeisen gehören trotz geringerer Zahlen immer noch zu den häufigsten Singvögeln in Deutschland, insgesamt 632 131 Tiere konnten gezählt werden, knapp vier pro Garten, was ein Minus von 23 Prozent im Vergleich zu 2020 bedeutet. Im Kreis Ebersberg waren es nur drei, 41 Prozent weniger als im Vorjahr, im Landkreis München nur 2,81. Schwankungen gab es in den vergangenen Jahren immer, so gering wie 2021 war die Zahl aber seit 2015 noch nie. Nicht ganz so stark ist der Rückgang bei den Blaumeisen, knapp 30 Prozent weniger in den Ebersberger Gärten, ähnlich sieht es bei den Nachbarn in Erding oder München aus. Dass der Suttonella-Erreger, ein Bakterium, das im Frühjahr vor allem Blaumeisen befallen hat, dabei noch eine Rolle spielt, glaubt Ornithologe Siering nicht. Blaumeisen hätten eine sehr hohe Reproduktionsfähigkeit, suchten sich nach Verlust eines Partners bei gutem Angebot innerhalb von kürzester Zeit einen neuen, "die sind da gnadenlos." Gewinner der Zählung im Landkreis Ebersberg ist übrigens der Spatz - aus städtischen Bereichen ist der Dauertschilper ja gefühlt seit Jahren komplett verschwunden.

Im Landkreis München hat denn auch nicht der Spatz sondern die Amsel den Schnabel vorn. Zwischen Pliening und Moosach dagegen wurden etwa 3700 Feld- und Haussperlinge beobachtet, es sind sogar etwas mehr geworden. Der Spatz sei jetzt eher auf Bauernhöfen zu finden, wo er sich im Winter in Scharen versammle, ebenso wie etwa die Goldammer, wenn das Nahrungsangebot in der Natur geringer werde, erklärt Siering. Um diese Vögel in die städtischen oder vorstädtischen Bereiche zurückzuholen, brauchten sie Nischen zum Brüten, die sich mithilfe von Nistkästen oder Niststeinen schaffen lassen. Letztere, erläutert der Markt Schwabener Straub, ließen sich in Neubauten verbauen und haben Einfluglöcher - die übrigens so konstruiert seien, dass sie sich selbst reinigen.

Gartenbesitzer können den Vögeln helfen, indem sie ihren Garten einfach in Ruhe lassen

Wenn auch manche Vögel, wie die Wacholderdrossel, der männliche Buchfink oder die Ringeltaube von den klimatischen Bedingungen im Januar zu profitieren schienen, dürfe das nicht darüber hinwegtäuschen, betont Manfred Siering, "dass die Brutpaare zurückgegangen sind. Wir haben heute Riesenlücken im Artenspektrum." Die Zerstörung der Landwirtschaft tue natürlich das Ihre dazu, die Entfernung von Hecken, Unkraut, grasbewachsenen Feldrainen, Mooren, Altholz in den Wäldern. Aber jeder Gartenbesitzer, jede Gemeinde könne helfen, Tieren wieder mehr Brut- und Lebensraum zu schaffen - wobei der Landkreis Ebersberg, wie Straub unterstreicht, bei der Errichtung öffentlicher Bauten vorbildlich sei und sie oft mit Rücksicht auf die Bedürfnisse von Vögeln gestalte und den LBV zu Rate ziehe.

Gartenbesitzer könnten am besten dazu beitragen, vogelfreundliche Bedingungen zu schaffen, wenn sie ihren Garten einfach in Ruhe, das Moos, Laub unter den Hecken liegen ließen, Beete im Herbst nicht restlos abschnitten sondern damit bis zum Frühling warteten, keine Mähroboter benutzten. "Wenn einer seinen Garten penibel aufräumt, dann muss er sich nicht wundern, wenn er kein einziges Glühwürmchen darin hat", stellt Siering fest. Leider aber hätten Deutschen "einen Hang zur Sterilität", ärgert sich Straub, "sie fühlen sich anscheinend wohl, wenn sie irgendwelche Friedhofspflanzen in ihre Gärten stellen". Stattdessen sollten sie heimische Pflanzen einsetzen, Vogelkirschen, Obstbäume, Frühlingsblüher mit offenen Blüten - auf gar keinen Fall Modepflanzen wie Forsythien, dafür interessieren sich Insekten nämlich gar nicht und dann haben auch die Vögel nichts von der Blütenpracht.

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Quelle:
SZ vom 29.01.2021
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