Süddeutsche Zeitung

VHS im Landkreis Ebersberg:"Ich lasse pro Semester 50 000 Euro liegen"

Lesezeit: 3 min

Die Leiter der Musik- und Volkshochschulen im Landkreis Ebersberg kämpfen mit allerhand Einschränkungen. Trotzdem ist derzeit mehr möglich als im Frühjahr.

Von Michaela Pelz

Was haben Wellnesszentren, Bordelle, Wettannahmestellen und "sonstige Vergnügungsstätten" zu tun mit einer hundert Jahre alten Weiterbildungsinstitution? Nichts, sollte man meinen. Jetzt ist das auch der Fall, doch im Frühjahr zählten Volkshochschulen laut Infektionsschutzverordnung noch zu den Freizeiteinrichtungen, mussten daher sofort alle Kurse abbrechen und Gebühren rückerstatten.

Als Helmut Ertel davon erzählt, ist die Bitterkeit kaum zu überhören. Und, ja, natürlich freue er sich, sagt der Geschäftsführer der VHS Vaterstetten, dass man mittlerweile als Bildungseinrichtung anerkannt sei und demzufolge im "Lockdown Light" den Betrieb bei durchgängiger Maskenpflicht aufrechterhalten dürfe - abgesehen von Führungen sowie Gesundheits- und Bewegungskursen. Allerdings seien es genau diese, womit die VHS 70 Prozent ihrer Einnahmen generiere.

Auch sonst sind die Auswirkungen der Pandemie an der VHS überall zu spüren. Die Anzahl der maximal pro Raum zugelassenen Personen ("eine auf vier Quadratmeter, bei Bewegung und Entspannung werden mindestens neun verlangt") für Computer-, Mal-, Näh-, Werk- oder Sprachkurse habe sich im Schnitt halbiert - bei gleich bleibendem Kursleiterhonorar, beklagt Ertel und macht kein Hehl aus seinem Unmut, die Zimmer und Studios trotz ausgefeilter Hygienekonzepte nicht mehr in vollem Umfang nutzen zu können: "Ich lasse pro Semester 50 000 Euro liegen."

Dabei hatte man schon gleich zu Beginn der Pandemie sowohl in Vaterstetten als auch an der VHS im Zweckverband Kommunale Bildung Ebersberg, Grafing, Kirchseeon, Markt Schwaben eine Vorreiterrolle übernommen. Bereits im März/April wurde auf Online umgestellt, man entwickelte neue Formate, digitalisierte Ausstellungen und führte hybriden Unterricht ein: Wer konnte (und wollte), nahm weiterhin an den Präsenzstunden teil, für alle anderen wurden die Kurse parallel nach Hause übertragen.

"Schon vor dem Teil-Lockdown wurde das Streaming unter anderem bei Vorträgen rege von denen genutzt, die keinen Platz bekommen hatten", erklärt Martina Eglauer. Auch die Geschäftsführerin der Ebersberger VHS freut sich natürlich, von der Politik nun gleichberechtigt neben Schulen, Hochschulen und Instituten beruflicher Weiterbildung gesehen zu werden. Zumal gerade ihre Integrationskurse im Deutschbereich stark nachgefragt seien. Dort wie in vielen anderen Gruppen mussten die Teilnehmerzahlen massiv reduziert werden.

Doch eine noch stärkere Verlagerung ins Virtuelle ist keine Option für Eglauer: "Abgesehen vom Bildungsauftrag ist VHS immer auch Begegnung und hat eine wichtige soziale Funktion." Genau darum seien die Menschen insgesamt "froh, dankbar und erleichtert, dass es weitergeht. Denn sie wissen: Auch wenn vieles nicht stattfindet - zu uns kann man kommen!" Gleichzeitig ist klar, dass in den kommenden Monaten möglicherweise doch immer wieder Unsicherheit herrschen wird, da die VHS-Angebote vielfach von Älteren, also einer Risikogruppe, genutzt werden.

Anders bei den Musikschulen. Mehr als 90 Prozent der rund 2 500 Schülerinnen und Schülern seien Kinder und Jugendliche, gibt der Ebersberger Chef Peter Pfaff zu Protokoll. Die "neuntgrößte Musikschule Bayerns" mit Schwerpunkt Elementarunterricht und Grundstufe könne dank einer Reduktion der "Singsequenzen" sogar ihre Kooperationen mit den Grundschulen fortführen. Auch der reguläre Unterrichtsbetrieb geht uneingeschränkt weiter. Wichtig ist dabei vor allem der Abstand von 1,5 Metern - der sich bei Blasinstrumenten und Gesang auf zwei Meter erhöht.

Dank dieser Regeln hat man nun Planungssicherheit - auch an der Musikschule Vaterstetten. Auch dort konnte Leiter Bernd Kölmel beim ersten Lockdown auf die Flexibilität und Kreativität seiner Lehrkräfte bauen. Sie organisierten sich neu, hielten per Zoom Einzelunterricht ab - sicher mit ein Grund dafür, dass die Nachfrage in diesem Bereich keineswegs weggebrochen ist, sondern sich die Fluktuation laut Kölmel im normalen Bereich bewegt. Anders verhalte es sich mit der Elementaren Musikpädagogik dort, wo mit externen Partner kooperiert wird - denn der Zugang zu Kita und Hort sei mancherorts durch die jeweils geltenden Auflagen erschwert oder sogar unmöglich. Dennoch gibt es an diversen Standorten der Musikschule weiterhin Angebote der musikalischen Früherziehung.

Und natürlich wieder ein Livestream-Programm. "Ein Aufwand, der sich lohnt", sagt der Musikschulchef. Termine stehen auf der Internetseite, der erste ist bereits an diesem Mittwoch, 11. November: "Slow Motion" mit Songs und Balladen aus Jazz und Pop, knapp zwei Wochen später gibt es bei "Sirtaki & Co" Musik aus Griechenland. Alles natürlich nur ein schwacher Ersatz für das ausgefallene Herbstkonzert mit Livepublikum.

Deswegen hofft Kölmel stark auf das aktuell noch nicht abgesagte "Nikolaus-Open-Air", bei dem sich Schülerinnen und Schüler am Nachmittag des 6. Dezember auf dem Baldhamer Marktplatz präsentieren können. "Ein Hoffnungsfanal, das bei Wind und Wetter zeigen soll, dass wir uns nicht unterkriegen lassen wollen." Präsenz zeigen will auch die VHS Ebersberg mit zwei Onlineangeboten im Rahmen der "Wochen der Toleranz", auf die Martina Eglauer hinweist: Ein Vortrag über Verschwörungsmythen am Donnerstag, 12. November, sowie eine Lesung aus Max-Mannheimer-Texten mit Musik am Mittwoch, 18. November.

Dass man der VHS durch zahlreiche Anmeldungen "weiterhin die Stange halten möge", wünscht sich Helmut Ertl, etwa zu Kochkursen (auch individueller Art) in der VHS-Küche. Peter Pfaff schließlich, selbst Blechbläser und Dirigent, will alle ermuntern, am Musizieren festzuhalten, nach wie vor in Melodie und Klang zu baden: "Es tut einfach gut, das Atmen auch in anderem Zusammenhang zu betrachten - auch wenn es offenbar derzeit das Riskanteste ist, was der Mensch tun kann!" sagt er mit einem leisen Lachen. Für jeden, der den vier Institutionen die Treue halten will, gilt: Presse sowie Internetauftritt studieren und dort, wo es möglich ist, teilnehmen - egal, ob das Ziel nun Bildung ist oder doch Freizeit.

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Quelle:
SZ vom 11.11.2020
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