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Plattenbörse in Markt Schwaben:Schallplatten, so "unpraktisch, unhandlich und wunderbar"

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Wer beim Knistern vor dem ersten Song Wohlfühlhormone ausschüttet, ist hier richtig: Im Rock Store, dem ersten Plattenladen im Raum München auf Non-Profit Basis, kann man Vinylscheiben abgeben - und nach neuen Fundstücken suchen.

Von Michaela Pelz, Markt Schwaben

Zuweilen ist der Weg ja das Ziel. Vielleicht nicht unbedingt für jene, die den Rock Store im ersten Stock der Färbergasse 23 ansteuern, geht es ihnen doch wohl vor allem um Musik. Gleichzeitig ist es aber auch ein Fest für die Augen, sich im Verkaufsraum der Trödlerei erst durch allerlei alte Haushalts- und Möbelschätzchen zur Treppe durchzuschlängeln und dann den Blick über die offenen Künstlerateliers auf der linken Seite schweifen zu lassen, bevor man den Eingang zum Paradies für Plattenfans im Landkreis Ebersberg erreicht.

Empfangen wird man von einem Sammelsurium aus Körben, Bananenkisten, Ikea-Regalen, einem 60er-Jahre-Schrank (Leihgabe der Trödlerei), und einem alten Koffer - alle randvoll mit Singles, LPs und Kassetten.

Dass dort seit Ende Februar jeden Freitag und Samstag stöbern kann, wer ein Faible für echtes Vinyl hat, ist Matthias Triebel zu verdanken. Seit etwa zwei Jahren gehört die Leidenschaft des Vertriebsleiters von "Europas größtem Kalenderverlag" in seiner Freizeit dem professionellen Sammeln, An- und Verkauf von Rock- und Popscheiben vergangener Jahrzehnte. Darum kam er auf die Idee, in Markt Schwaben einen Umschlagplatz für Schallplatten zu schaffen und den Erlös in die Theater- und Künstlerförderung fließen zu lassen.

Vor zwei Monaten, bei einer Sitzung des im Spätsommer 2021 gegründeten AK Kunst und Kultur, stellte der gebürtige Essener, der schon lange in Markt Schwaben lebt, diese Idee vor und fand Mitstreiter. Der erste war Martin Hubensteiner, kurioserweise ebenfalls aus Essen. Der 59-Jährige, der sich in Altersteilzeit befindet, findet als ehemaliger Eventmanager das Projekt an sich reizvoll und sieht sich als kreativer Ideengeber. Radio, CDs und Spotify nutze er aber schon.

Unpraktisch, unhandlich, doch einfach wunderbar

Triebel schaltet sich ein: "Ja, Platten sind unpraktisch, unhandlich und nehmen Platz weg. Doch vor allem sind sie wunderbare Objekte!" beginnt er sein Plädoyer. In dem geht es um Nostalgie, um die Extras, die kein Streamingdienst bieten kann ("denken Sie nur an die Doppelalben mit Stickern und Postern") und das sinnliche, haptische Erlebnis, wenn man erst die dunkle Scheibe aus der Hülle nehmen muss, bevor man sich dem Hörgenuss hingeben kann. Das zelebriert der 49-Jährige gern bei einem Glas Rotwein im heimischen Musikzimmer im Keller, wo er dann auf dem Sofa konzentriert eine seiner etwa 1800 Platten hört und dabei sogar das gelegentliche Knistern schätzt.

"Die Welt da draußen ist extrem ungemütlich geworden und bildet keinen Schutzraum mehr. Vinyl kann da eine Wohlfühldecke sein." Nicht zu vergessen, dass teils namhafte Künstler die Cover gestaltet hätten. Dazu nickt Hubensteiner, der aktuell Kunstausstellungen im Kulturzentrum Trudering kuratiert.

Doch Triebel ist noch nicht fertig, über eine Unsitte im Zusammenhang mit Streamingdiensten wird ihm viel zu wenig gesprochen: "Dieses Gespringe! Ich hasse es! Die Künstler haben sich ja bei der Reihenfolge der Songs etwas gedacht." So bauten etwa beim Album Closer von Joy Division die Lieder aufeinander auf, was völlig untergehe, sobald man die Einstellung "Zufällig abspielen" wähle oder sich gar nur ein paar Songs herauspicke.

Diese tiefen Kenntnisse der Materie besitzt die Dritte im Bunde, Sabine Drobner, "nicht in Essen geboren", wie sie erklärt, nicht. "Ich höre, was im Radio läuft, kenne aber meist weder Titel noch Interpret", gibt die Ottenhofenerin, die sich seit vielen Jahren im Theaterverein Markt Schwaben engagiert, freimütig zu.

Als die 54-Jährige mit einer Tante deren Wohnung ausräumte, fand sie im Keller plötzlich viele Platten und wusste nicht, wohin damit. So kam die Teamassistentin eines großen Industrieunternehmens zum Projekt. In das passt sie auch deswegen perfekt, da sie als ehrenamtliche Büchereileiterin über Erfahrung mit Warenspenden verfügt, die in den Wiederverkauf gehen sollen.

Die Ware kostet meist zwischen einem und vier Euro

Die genaue Sortierung überlassen Hubensteiner und Drobner gern dem Experten Triebel. Der könne schnell unterscheiden, ob es sich bei den Singles und LPs aus den Bereichen Schlager, Rock, Pop oder sogar Klassik um Dutzendware, Raritäten oder "Material für den Giftschrank" handelt. "Wir kippen dann alles auf den Boden und Matthias macht die Preiseinstufung per Punktesystem." Jeder farbige Punkt entspricht einem bestimmten Schnäppchenpreis von meist zwischen einem und vier Euro. "Ausnahme sind wirkliche Funde, die können dann schon mal fünf, zehn oder zwanzig Euro kosten."

Bezahlt wird an der Kasse im Erdgeschoss, denn durchgängig besetzen können die Freiwilligen den Verkauf nicht. Da wird großes Vertrauen vorausgesetzt. Das aber beruht auf Gegenseitigkeit - niemand, der seine Musikscheiben vorbeibringt, und zwar ganz ohne monetäre Gegenleistung, wird über den Tisch gezogen. Sollte tatsächlich einmal eine "blaue Mauritius" unter den Dachboden- und Kellerfunden sein, würde Triebel auf jeden Fall Bescheid sagen. Für ihn persönlich wäre das übrigens die englische Pressung von "Tone Float", einer LP der Band Organisation, "der ersten Inkarnation von Kraftwerk".

Meist dürfen sich die Spenderinnen und Spender selbst das eine oder andere aus dem Sortiment nehmen, sobald sie ihre Taschen und Kisten ausgeleert haben.

So wie Uwe Sierts. Weil ihm eine gute Bekannte, die Quilt-Künstlerin Gabriela Clipper, von dem Laden erzählt hat, ist der 64-Jährige extra von Haag an der Amper nach Markt Schwaben gefahren. Auf zwölf bis 15 laufenden Regalmetern hat der Beatles- und Oldies-Fan seine seit 1974 wachsende Sammlung untergebracht. Um sie wieder einmal zu bereinigen, hat er heute 250 Scheiben "von Liedermacher bis Soul" hergebracht. Schnell stellt sich heraus, dass der Vertriebler in der Softwarebranche über jede Menge Fachwissen verfügt.

Im Gespräch: Motto-Partys und Musikabende

Was dann auch deutlich macht, was dieser Ort noch ist: Nicht nur der erste Non-Profit-Schallplattenladen im Raum München, sondern auch ein Treffpunkt, ein "musikalisches Kulturzentrum", in dem sich Gleichgesinnte austauschen können. Oder später einmal sogar ein Ort für Motto-Partys und Abende mit selbst mitgebrachter Musik, sagt Triebel. Das Equipment ist schon da: Diverse Plattenspieler - wie sie langfristig auch in den Verkauf gehen sollen -, machen es möglich, direkt ins Objekt der Begierde hineinzuhören.

Das brauchen Alex und Kilian nicht - die beiden 17-Jährigen sind nicht das erste Mal da, suchen darum systematisch nach Novitäten und "Schnappern". Genau wie die drei Punker in der Vorwoche. Es sind wohl auch diese ganz unterschiedlichen Menschen, denen man im Zusammenhang mit der Plattenbörse begegnet, die den Reiz für die Macher darstellen. Oft gibt es auch eine Geschichte dazu: Wie bei der vor drei Wochen in Pliening abgeholten Sammlung von 150 Platten, die der Besitzer alle 1978 gekauft hatte, als er in den USA stationiert war.

Auch für Kinder hat der Rock Store passende Produkte parat. Etwa Hui Buh oder Sindbad - original Pressungen der Drei Fragezeichen aus den 1970ern oder 1980ern allerdings sucht man vergeblich. "Die sind locker 300 Euro wert", sind sich die Experten einig.

Insgesamt sind die etwa 3000 in den ersten sechs Wochen zusammengekommenen Stücke schon ein guter Grundstock, meinen die Rock Store Betreiber. Es dürfe aber gern noch mehr Ware abgegeben werden - direkt im Laden oder über die entsprechenden Boxen an den Wertstoffhöfen in Poing, Markt Schwaben und Ebersberg. Auch freue man sich immer über neue Käufer sowie auf vier bis fünf zusätzliche Freiwillige zum Helfen.

Deren Enthusiasmus muss dabei nicht unbedingt so weit gehen wie bei Triebel und seinen Mitstreitern. Zusammen mit dem Ehemann von Sabine Drobner wird er am Tag nach dem Gespräch um halb vier nach Lüneburg aufbrechen, um dort 15 bei Ebay erstandene Plattenverkaufsschütten aus einer Geschäftsauflösung abzuholen. "Alle zusammen für 300 Euro! Dabei kostet normalerweise schon einer allein in der Herstellung 250 Euro", freut sich Triebel.

Die Optik der langfristig auf 60 bis 70 Quadratmeter geplanten Fläche unterm Sichtdachstuhl mag sich dadurch zwar ein wenig verändert haben. Der Charme aber, ist dank der begeisterten Macher derselbe geblieben.

Der Rock Store befindet sich im ersten Stock der Trödlerei in der Färbergasse 23 in Markt Schwaben. Öffnungszeiten und Verkauf am Freitag und Samstag von 10 bis 18 Uhr. www.rockstore-marktschwaben.de

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