Süddeutsche Zeitung

Corona-Krise:"Wir haben im Moment kein Liquiditätsproblem"

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Zwei Europaabgeordnete geben Einblicke in ihren Arbeitsalltag zu Krisenzeiten. Angelika Niebler aus Vaterstetten sieht Europa finanziell auf Augenhöhe mit den USA.

Von Andreas Junkmann

Rathäuser sind geschlossen, Krisenhotlines eingerichtet und in Helferkreisen organisieren sich Bürgerinnen und Bürger, um Einkaufsdienste auf die Beine zu stellen. Die Maßnahmen, um der Corona-Pandemie Herr zu werden, sind nirgends besser zu sehen als auf lokaler Ebene. Unterdessen ist man auch in der Landes- und Bundespolitik nicht untätig, schnürt Hilfspakete und erlässt Verhaltensregeln. Bei all dem geht der Beitrag der Europäischen Union (EU) zur Krisenbewältigung fast schon ein bisschen unter. Das zumindest finden die beiden CSU-Europaabgeordneten Angelika Niebler und Monika Hohlmeier. In einer Telefonkonferenz machen sie am Donnerstag deutlich, welche Maßnahmen auf europäischer Ebene ergriffen werden und inwiefern das Coronavirus zu einer Bedrohung für den Zusammenhalt der EU werden könnte.

Für sich persönlich kann die in Vaterstetten wohnende EU-Politikerin und stellvertretende CSU-Parteivorsitzende Niebler an der aktuellen Situation zunächst sogar etwas Gutes finden: "Mein Sohn ist 13 Jahre alt. Ich schätze das deshalb im Moment schon, so lange am Stück zu Hause zu sein", sagt die Ebersberger Kreisrätin, die ihren Arbeitsalltag ansonsten vorwiegend in Brüssel verbringt. Abgesehen davon, durchleben die Abgeordneten in diesen Tagen aber die wohl stressigste Zeit ihrer Polit-Laufbahn. "Ich bin um Mitternacht fix und fertig und frage mich, was ich eigentlich den ganzen Tag gemacht habe", gibt Niebler zu. Die ehemalige bayerische Kultusministerin Monika Hohlmeier drückt es etwas anders aus: "Ich hab' schon richtig rote Ohren vom ganzen Telefonieren."

Wie die beiden Politikerinnen in ihrem persönlichen Alltag, stellt die Pandemie auch Europa vor besondere Herausforderungen. "Das Coronavirus ist der Stresstest der Europäischen Union", sagt Niebler. Die Frage, wie man nun in dieser Situation zusammenhalte, sei eine existenzielle für den Staatenbund. "Wir müssen aufpassen, dass Europa nicht auseinanderfällt." Damit das nicht passiert, seien viele Maßnahmen angestoßen worden, um die Krise bestmöglich zu meistern.

Niebler zufolge, setze man derzeit vor allem in den Bereichen Finanzen, Binnenmarkt und Forschung alle Hebel in Bewegung. So habe man aus finanzieller Sicht nun die "Bazooka rausgeholt", wie Niebler in Anlehnung an Mario Draghi, den ehemaligen Chef der Europäischen Zentralbank, sagt. Sie spielt damit auf einen 750 Milliarden Euro umfassenden Schutzschirm an, den die EU aufgespannt hat. "Wir haben im Moment kein Liquiditätsproblem", stellt die Vaterstettenerin klar. Finanziell sieht sie Europa sogar auf Augenhöhe mit den Vereinigten Staaten. Dafür habe man alle zur Verfügung stehenden Instrumentarien gelockert. Die Wahrnehmung, dass nur die Mitgliedsstaaten in der Krise aktiv sind, sei deshalb falsch.

Maßnahmen ergriffen habe man auch was den Binnenmarkt angehe, den Niebler als das "Herzstück der Europäischen Union" bezeichnet. Man versuche den Güterverkehr und die Arbeitnehmer-Freizügigkeit so gut es geht aufrecht zu erhalten. Gerade im ersten Punkt seien auch schon Erfolge zu sehen: Während sich noch vor wenigen Wochen die Fahrzeuge an den Grenzen kilometerlang stauten, habe man inzwischen sogenannte grüne Korridore eingerichtet, um den Warenverkehr wieder ins Rollen zu bringen. Auch beim Austausch von Arbeitskräften gebe es Fortschritte. Hier soll eine Koordinierung auf europäischer Ebene dafür sorgen, dass systemrelevante Arbeitskräfte - wie Saisonarbeiter - weiterhin Grenzen passieren dürfen. "Ich gehe davon aus, dass hier eine Lösung gefunden wird", sagt Hohlmeier. Es werde allerdings strenge Auflagen geben.

Lösungen zu finden ist auch die Aufgabe der Forschung - und zwar ganz konkrete, um dem Coronavirus schlussendlich auch den Garaus zu machen. Auch hier tritt die EU Niebler zufolge als Koordinierungsstelle auf, die Wissenschaftler und Forscher aus verschiedenen Ländern miteinander vernetzt. So habe man inzwischen mehr als 130 Projekte angestoßen, in denen es unter anderem darum geht, Impfstoffe zu entwickeln und Behandlungen effizienter zu machen. "Europa nimmt da viel Geld in die Hand", so Niebler.

Um an dieses zu kommen, werde man sämtliche Möglichkeiten im Finanzrahmen ausschöpfen, sagt Monika Hohlmeier, die im EU-Parlament Mitglied im Haushaltsausschuss ist. "Alle Mittel, die theoretisch da sind, sollen freigegeben werden." Das, so Hohlmeier, habe es in dieser Form vorher eigentlich noch nie gegeben. Das Geld werde schließlich direkt in die Hilfsmaßnahmen der einzelnen Mitgliedsstaaten fließen. "Der Wille ist da, schnell und adäquat zu handeln."

Handeln müssen die beiden Politikerinnen derzeit aber nicht nur auf europäischer Ebene, sondern auch in ihren heimischen Wahlkreisen. Auch dort gebe es aufgrund der Pandemie viel zu tun. "Wir sind im Moment fast schon so eine Art Dienstleister", sagt Angelika Niebler. Neben Angeboten für Schutzmasken gingen auch viele Hilferufe von Bürgern und Unternehmen bei ihnen ein. Für Niebler und Hohlmeier ist aber auch diese Arbeit vor Ort ein Teil des Krisenmanagements, denn sie sagen: "Wir wollen nach wie vor Ansprechpartner für die Leute sein."

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SZ vom 03.04.2020
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