Süddeutsche Zeitung

Landgericht München:"Ich habe in ihm nur noch den Teufel gesehen"

Lesezeit: 3 min

Ein psychisch kranker Speditionskaufmann erwürgt seinen Vater bei einem Streit. Vor dem Schwurgericht geht es nun um seine Unterbringung in einer geschlossenen psychiatrischen Klinik.

Von Andreas Salch, München

Erst als er wieder das Neuroleptikum Olanzapin einnahm, das ihm Ärzte verschrieben hatten, fand er den Weg zurück in die Realität. Das war Ende Juni vergangenen Jahres. Davor habe er die Welt um sich herum "wie in Trance" erlebt, berichtet ein 39-jähriger Speditionskaufmann aus dem nördlichen Landkreis Ebersberg am Dienstag vor dem Schwurgericht am Landgericht München II. Als er im Inn-Salzach-Klinikum in Gabersee aus der Trance, in der er sich wähnte, erwachte, wurde dem Speditionskaufmann bewusst, was geschah: Bei einem Streit hatte er seinen Vater getötet.

Der 39-Jährige leidet an paranoider Schizophrenie. Da nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft die Schuldfähigkeit des Mannes bei der Tat in den frühen Morgenstunden des 19. Juni 2021 aufgehoben war, hat sie keine Anklage wegen Totschlags, sondern eine Antragsschrift bei Gericht eingereicht. Darin fordert sie die zeitlich unbefristete Unterbringung des Speditionskaufmanns in einer geschlossenen psychiatrischen Klinik.

Cannabiskonsum hat laut Fachleuten zu einer drogeninduzierten Psychose geführt

Es war ein eher unauffälliges Leben, das der 39-Jährige bis zu der Tat führte. Er arbeitete in der kaufmännischen Abteilung eines mittelständischen Unternehmens im Landkreis Ebersberg. Mehr als zwanzig Jahre lang. In dieser Zeit war er nur zweimal krank. Er habe fast nie übermäßig Alkohol getrunken, sagt der Speditionskaufmann. Erst mit 36 habe er erstmals Cannabis geraucht. Anfangs nur "gelegentlich", dann "zwei- bis dreimal täglich." Als er vor drei Jahren bei der Arbeit plötzlich "wirres Zeug von Rockern" redete, brachten ihn sein Chef und ein Kollege in das Inn-Salzach-Klinikum.

Die Ärzte diagnostizierten eine drogeninduzierte Psychose. Nach vier Wochen folgte die Entlassung. Während des Aufenthalts war dem Speditionskaufmann das Medikament Olanzapin verabreicht worden. Er solle es vorerst weiter nehmen, sagte man ihm. Ein Jahr noch. Daran habe er sich auch gehalten, versichert der 39-Jährige bei seiner Vernehmung am Dienstag. Als das Jahr vorüber war, habe er gedacht, er sei gesund und habe wieder "sporadisch Joints" geraucht.

Als der Speditionskaufmann am 14. Juni 2021, einem Montag, bei der Arbeit erschien, musste seinem Chef bereits etwas aufgefallen sein. Er riet seinem Mitarbeiter, sich wieder behandeln zu lassen. Doch zu diesem Zeitpunkt, so der 39-Jährige, sei es ihm "noch ganz gut gegangen." Er fuhr zwei Tage nach Italien, besuchte eine Verwandte und kehrte daraufhin zurück in den Landkreis. Am späten Freitagabend derselben Woche, boxte der Speditionskaufmann dann in Markt Schwaben gegen einen Kühlschrank, der auf dem Anwesen eines Lokals stand. Tags darauf fuhr er wieder zu dem Lokal, demolierte den Kühlschrank vollends und lieferte sich eine körperliche Auseinandersetzung mit zwei Männern auf einem Firmengelände in Markt Schwaben, weil dort Gasflaschen angeblich unsachgemäß gelagert waren. Er habe sich eingebildet, die Gasflaschen stünden in Verbindung mit der Mafia, berichtet der 39-Jährige. Er habe sich vor seiner erneuten Einlieferung ins Inn-Salzach-Klinikum auf einem "Mafia-Trip" befunden. Am Abend jenes 19. Juni nahm das Drama seinen Lauf.

Der Vater kritisierte, dass der 39-Jährige seine Medikamente nicht mehr nahm

Der Speditionskaufmann fuhr zu seinen Eltern. Weil er sich erschöpft fühlte, legte er sich schlafen. Als er aufwachte, habe er sich "heftig mit dem Vater gestritten", so der 39-Jährige. Es sei unter anderem darum gegangen, warum er das Neuroleptikum nicht mehr nehme. Nach der Auseinandersetzung habe er sich wieder schlafen gelegt. Mitten in der Nacht sei er aufgewacht, barfuß aus dem Haus gegangen, habe sich auf eine nahegelegene Wiese gelegt und eine Grapefruit gegessen. Als der Vater dies bemerkte, holte er seinen Sohn zurück. Es kam wieder zum Streit. Die Mutter wachte auf, wollte ihrem Sohn eine Kopfschmerztablette geben. Er schlug sie ihr aus der Hand. Die Mutter legte sich wieder hin.

Irgendwann in jener Nacht, berichtet der Speditionskaufmann Richter Thomas Bott, habe er gedacht, dass "auch sein Vater bei der Mafia ist und sie ihn verhext" habe. Wieder gerieten Vater und Sohn aneinander. Er habe seinem Vater so heftig mit der Faust ins Gesicht geschlagen, dass er auf eine Couch fiel, erinnert sich der Speditionskaufmann. Dann sei es zu einem Gerangel gekommen. Die Mutter schloss sich vor lauter Angst im Schlafzimmer ein.

In den frühen Morgenstunden, vermutlich zwischen 4 und 5.30 Uhr, so heißt es in der Antragsschrift der Staatsanwaltschaft, habe der Beschuldigte den Entschluss gefasst, seinen Vater zu töten. Erneut kam es zu einer körperlichen Auseinandersetzung. Dabei legte der Speditionskaufmann dem Vater seinen Ellbogen ins Genick und drückte mit zwei Fingern der anderen Hand gegen dessen Hals. Der 76-Jährige erstickte. "Ich habe in ihm nur noch den Teufel gesehen", sagt der Sohn zu Richter Bott. Danach legte er sich in die Badewanne und schlief ein. Als am Morgen Polizisten an der Türe klopften ließ sich der 36-Jährige festnehmen. Der Prozess wird fortgesetzt.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5552719
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.