Süddeutsche Zeitung

Brauchtum im Kreis Ebersberg:So sieht es im neuen Kirchseeoner Perchten-Museum aus

Lesezeit: 6 min

Im Oktober werden Besucher endlich das "Maskeum" erkunden können. Die Ausstellung begeistert mit Exponaten und multimedialer Interaktion.

Von Anja Blum

Dieses Museum ist düster. Tiefes Blau nimmt den Besucher in Empfang. Dann, nach einem Schritt um die Ecke, ist plötzlich alles blutrot. Wer einen Vorhang aus dünnen Fäden durchschreitet, findet sich wieder in einem riesigen Schlund. Oben und an den Seiten: überall spitze Zähne. Die Zunge unter den Füßen. Direkt gegenüber grinst ein rundes, glatzköpfiges, glubschäugiges Monstrum, ebenfalls mehr als mannshoch. "Das ist der Aufschreier, oder auch Terrorist genannt", erklärt Museumsleiter Rainer Eglseder. Und dass der Mund der Maske in echt eine Klappfunktion habe, also ständig auf und ab wippe, wie sich das für einen ordentlichen Schreihals eben gehört.

Es gibt Museen, in denen kann man vor allem etwas lernen, über Naturkunde zum Beispiel. Und es gibt Museen, die Kunst zeigen und sich damit eher an das Gefühl richten denn an den Verstand. Das "Maskeum" in Kirchseeon aber vermag beides: Die neuen Ausstellungsräume der Perchten vermitteln sehr viel Wissen rund um dieses außergewöhnliche Brauchtum, erzeugen zugleich aber auch unerhört starke Emotionen. Kein Wunder, schließlich stehen die Perchten für nichts Geringeres als Glück und Segen, Chaos, Tod und neues Leben.

Jeden Zentimeter haben die Macher genutzt

Insofern heißt es hier: Information meets Geisterbahn - und das auf erstaunlich begrenztem Raum. "Es sind nur rund 125 Quadratmeter Ausstellungsfläche, aber ich schätze, man kann hier gut und gerne eineinhalb Stunden verbringen", sagt Eglseder nicht ohne Stolz. In der Tat: Jeden Zentimeter haben die Macher hier zu nutzen gewusst - die schiere Fülle aber derart überlegt komponiert, dass man tatsächlich nur staunen kann über dieses ausgefeilte, gelungene Museumskonzept. Vor allem auch dank mehrerer multimedialer Stationen bietet das Maskeum Stoff in Hülle und Fülle. Infotexte, Fotos, Videos, Reportagen, Geschichten, Gedichte und Lieder, dazu die beeindruckenden Masken: Hier werden alle Sinne angesprochen.

Die Idee, dem Perchtenbrauchtum, das in Kirchseeon bereits seit knapp 70 Jahren gepflegt wird, ein Museum zu widmen, ist bereits vor etwa 14 Jahren entstanden. Anlass war der Umstand, dass für die alten Masken aus Lindenholz und Rosshaar ein neues Depot gefunden werden musste: Im bisherigen Lager im Rathaus herrschten derart ungünstige klimatische Bedingungen, dass die ersten Stücke bereits Schaden genommen hatten. Bis jedoch ein Standort für Ausstellungsstücke und Depot gefunden und eingerichtet werden konnte, sollte noch viel Zeit vergehen.

"Zuletzt hat uns Corona noch um ein Jahr zurückgeworfen", sagt Eglseder. Das allerdings habe auch sein Gutes: "Dadurch konnte von allen Seiten wirklich sehr viel Sorgfalt in das Projekt gesteckt werden, und der längere Probebetrieb hat sicher auch nicht geschadet." Die Kosten veranschlagt der Träger, die Perschten-Stiftung, mit rund 420 000 Euro, finanziert vom Markt Kirchseeon und durch Zuwendungen von staatlicher Seite, von anderen Stiftungen, vom Förderverein Maskeum, vom Perschtenbund Soj Kirchseeon, Sponsoring von Unternehmen und Spenden aus der Bürgerschaft. Überhaupt: Ohne ein enormes ehrenamtliches Engagement wäre das Maskeum wohl nie Wirklichkeit geworden.

Sogar einen kleinen Museumsladen gibt es

Am kommenden Samstag, 11. September, gibt es eine Eröffnungsfeier mit geladenen Gästen, am Samstag, 2. Oktober, öffnet das Maskeum für alle Bürger seine Pforten. Es befindet sich in der Grund- und Mittelschule Kirchseeon, erreichbar über einen Treppenturm im Pausenhof. Ein barrierefreier Zugang via Aufzug ist ebenfalls möglich. Der Eintritt ist frei, ein kleiner geschnitzter Kopf an der Tür schluckt aber gerne Spenden.

Der lange Gang beherbergt den Einlassbereich, wo man Minimasken, Bücher, CDs und anderes kaufen kann. Historische Plakate dienen der Einstimmung, dann geht es auch schon los mit der ersten Medienstation, die über die Chronik der Perchten informiert. Per Touch-Pen, Wischfunktion und Hörmuschel kann der Besucher hier ganz selbständig agieren: Inhalte auswählen und je nach Interesse vertiefende Infos abrufen. Weiter geht es mit einem Wechselbereich, hier werden "Masken aus aller Welt" ausgestellt. "Der Zulauf dafür ist schon gesichert", sagt Eglseder.

Die Aufhängung der Masken übrigens ist eine in drei Achsen drehbare Eigenkonstruktion, so dass all die Fratzen und Gesichter optimal präsentiert werden können. Den Abschluss im Gang macht eine Art Erinnerungsstation: Sie widmet sich Hans Reupold Senior, dem 2019 verstorbenen Initiator des Vereins Perschtenbund Soj Kirchseeon. Hier kann man seine Biografie nachlesen, eine Radioreportage von 1954 hören, historische Fotos, Gemälde und Masken ansehen sowie Reupolds Ehrungen bestaunen. Eine sehr gelungene Würdigung.

Im Depot nebenan haben die vielen Masken und anderen Kunstgegenstände nun endlich eine klimatisch perfekte Heimat gefunden. Rollregale und Gitterwerk sorgen zudem für derart ausreichend Stauraum, "dass immer noch gut Luft nach oben" sei, erklärt Eglseder.

Die Schiach'n und de Scheena...

... die Klabauf und die Holzmandl...

...haben ein Heim gefunden im Maskeum.

Eine besondere Stellung haben die Schnadernschlenzer.

Der eigentliche Ausstellungsraum ist zweigeteilt, und zwar durch ein drei mal drei Meter großes, von hinten beleuchtetes Foto. Im Zentrum beider Bereiche stehen lebensgroße Figuren, die einen Perchtenlauf darstellen, ausstaffiert mit den typischen Gewändern und Masken. "Das ist das lebendige Brauchtum, um das es hier in erster Linie ja geht", sagt der Museumsleiter. "De Scheena", die rund um das Glockenspiel gruppiert sind, führen den Zug an. Die Schönperchten, erfährt man, versinnbildlichen vor allem das Licht, das Werdende, das neue Jahr und die ordnenden Kräfte. Sie geben den Takt für die Tänze vor. Die Gestaltung ihrer Masken orientiert sich am menschlichen Antlitz. Sie sind verziert mit Ornamenten verschiedener Themenbereiche, etwa Musik (Notenschlüssel oder Harfe), Tierwelt (Muscheln und Schnecken) oder Heraldik (Wappen).

Knapp 70 Masken setzt die Ausstellung effektvoll in Szene

Auf der anderen Seite des Raumteilers haben sich rund um Frau Percht "de Schiach'n" versammelt, am Boden liegt ein Drudenhax aus Stecken. Die "Klaubauf" stehen für das Dunkle, das Vergehende und die chaotischen Lebensenergien. "Sie sollen uns gehörigen Respekt vor den Elementen und bewegenden Kräften der Natur einflößen, sie singen und tanzen, lärmen und treiben ihr Unwesen." Letztlich sind die Klaubauf aber auch die Überbringer der Glücks- und Segenswünsche und Gabensammler. Ihre Masken sind inspiriert von der heimischen Flora und Fauna sowie von Sagengestalten wie Werwolf oder Drache, es gibt Heilbringendes genauso wie Schauriges.

Knapp 70 Masken setzt die Ausstellung effektvoll in Szene, sie sind nach Gruppen sortiert, jede wird mit Namen benannt. Da gibt es vor einem stilisierten Wald an der Wand, zum Beispiel die "Hoizmandl", deren Gesichter aus Wurzeln, Zapfen und Pilzen gestaltet sind. Oder die "Schnadernschlenzer", lange Mäuler, die beim Perchtenlauf Schnee in Krägen befördern, Mützen klauen und Spenden einsammeln. Unter den schiach'n Masken sind auch der "Bohrzahn", eine Personifizierung des Schmerzes, das "Gfrees", das den Kreislauf des Fressens und Gefressen-Werdens zeigt, oder der gemeine "Muhackl". Unter den schönen Perchten finden sich hingegen "Sonnenkönig", "Widder" oder "Spiegel".

"Es ist einfach toll, dass man sich die Masken mal ganz in Ruhe ansehen, ihre Symbolik, Motive und Farben studieren kann", schwärmt Eglseder, schließlich sei bei einem echten Lauf auf der Straße dazu selten Gelegenheit. Das Gleiche gilt für die Sprüche und Liedtexte der Perchten, die ja meist recht unverständlich durch Kirchseeon hallen. Deswegen haben die Ausstellungsmacher einige von ihnen auf Wandtafeln geschrieben. "I bi d'Haberngoaß! I sog wos i woaß. Gib ma a Markl oder zwoa, sonst mach i a Gschroa, gibst ma aber drei - na hoit i s'Mai."

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Bei den Masken handelt es sich übrigens um Reupolds Originale, die ihren Dienst auf den Straßen, Plätzen und Wegen schon hinter sich haben. Aber keine Sorge: Die jeweiligen Gestalten werden bei den nächsten Läufen nicht fehlen, die Masken werden vom Verein laufend nachgeschnitzt. Auch wie es sich anfühlt, als Percht unterwegs zu sein, kann der Ausstellungsbesucher nachempfinden: Eine "Erlebnisstation" bietet Zottelgewand und Holzmaske zum Hineinschlüpfen.

Der größte Clou aber ist, dass der zweite Ausstellungsbereich auch für Filmvorführungen genutzt werden kann, denn die Figuren sind im Boden versenkbar. So kann das raumteilende Bild als Leinwand dienen, die Besucher dürfen auf einer halbrunden, dreireihigen Tribüne Platz nehmen. Bislang wurden zwei Beiträge dafür produziert, aber es sollen bald noch mehr werden. Der eine Film zeigt einen echten Perchtenlauf, im Dunkeln, mit Fackeln, Trommeln und Geschrei. Der andere erklärt die Symbolik des Tanzes, den die Schiach'n rund um Frau Percht aufführen: Schnell wird da deutlich, dass alle Drehungen, Sprünge und Verbeugungen tiefere Bedeutung haben, wirken sie wegen der Zotteln auch noch so wild und ungestüm - von der Vorfreude bis zur Verehrung der Göttin. Und wie heißt es so schön? "So hoch wie der Percht springt, so hoch wächst im nächsten Jahr das Korn."

Die Perchten sind auch für viele Künstler Inspiration

Wunderbar zu sehen ist im Maskeum auch, wie das Perchtenwesen viele unterschiedliche Handwerker, Künstler und Wissenschaftler inspiriert - Autoren, Musiker, Fotografen, Maler, Schnitzer, Gewandmacher, Heimatkundler und Medienmacher. Elektrische Bilderrahmen zeigen die Läufe aus den Blickwinkeln lokaler Fotografen, an der Wand prangt die "Luz", gestaltet von dem bekannten Graffitikünstler Rafael Gerlach alias "Sat One", der ursprünglich aus Kirchseeon stammt, und eine kleine Abteilung widmet sich der "Bayerischen Rauhnacht", einem "Mystical" von Schariwari. "Klar, die beiden Bandleader Hans Reupold und Günther Lohmeier waren früher ja selbst Läufer", erzählt Eglseder. Besonders aber freut den Museumsleiter, dass die Perchten Inspiration seien "vor allem für ganz viele junge Menschen".

Außerdem schließe sich mit der Eröffnung des Maskeums ein Kreis: Nachdem die Kirchseeoner Perchtenläufe bereits im Haus der Geschichte in Regensburg vertreten sind - ein außerordentlicher Ritterschlag - ist der Brauch nun endlich auch zuhause museal präsent. "Wir haben einen hohen Anspruch, vor allem, was den Spannungsbogen und die aktive Einbindung der Besucher angeht", sagt Eglseder, "ich glaube, da müssen wir uns nicht verstecken". Ganz im Gegenteil: Der Landkreis Ebersberg hat in diesem Maskeum ein kulturelles Unikat als weitere Attraktion und wertvollen Identifikationspunkt erhalten. Die Perchten habe eine Außenwirkung, die nicht zu unterschätzen ist. "Der Landkreis sollte stolz sein", sagt Eglseder und lächelt. Zudem stecke in diesem ganzen Thema "so viel drin", dass das Museum künftig sicher noch weiter wachsen werde. Übrigens: Auch wer wissen möchte, warum der Verein der Kirchseeoner Perchten "Perschtenbund" heißt, wird nach einem Besuch des Maskeums definitiv klüger sein.

Maskeum in Kirchseeon, Münchner Straße 19, Öffnungszeiten von Oktober bis Januar: jeden Samstag und Sonntag, jeweils von 10 bis 16 Uhr, Dezember und Januar: außer an den Feiertagen, Sonderöffnung am 6. und 7. Januar. Weitere Infos: www.maskeum.de.

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Quelle:
SZ vom 04.09.2021
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