Süddeutsche Zeitung

Energiekrise:Weg vom Gas - aber nicht mehr in diesem Winter

Lesezeit: 4 min

Viele Menschen im Landkreis Ebersberg sind bereit, bei Heizung und Stromversorgung zu investieren, um langfristig Kosten zu sparen. Kapazitätsengpässe bei Herstellern und Handwerkern halten sie jedoch davon ab.

Von Sina-Maria Schweikle, Ebersberg

Ob nun die Thermostate aus Solidarität zur Ukraine abgedreht bleiben oder nicht: Hausbesitzer und Mieter werden sich in diesen Tagen wohl auch im Landkreis Ebersberg fragen, was die gestiegenen Energiepreise für den eigenen Haushalt bedeuten, wenn der Tag der Abrechnung kommt. So lesen sich die einen vielleicht darin ein, wie man mit dem richtigen Heiz- und Lüftungsverhalten Energie einsparen kann. Andere machen sich Gedanken über Umbaumaßnahmen zum Energiesparen - und Einzelne planen vielleicht gar schon den vollständigen Ersatz der Heizungsanlage. Es sind unsichere Zeiten in Deutschland - nicht nur für die Politik. Architekten, Bauträger, Handwerker, Eigentümer und Mieter stehen vor vielen Herausforderungen und Fragen.

Themen, die auch den Zornedinger Architekten Axel Clement bewegen. Energieverordnungen und KfW-Darlehen gaben früher wie heute Anreize zum klimafreundlichen Eigenheim. Axel Clement arbeitet seit 25 Jahren in der Branche und weiß: In den vergangenen Jahren hat sich viel getan. "Während sich die Wärmeschutzverordnung in den 90ern vor allem auf die Hülle eines Hauses fokussierte, hat sich der Blick mittlerweile in Richtung Energiegewinnung und Effizienz der Haustechnik gerichtet", sagt Clement.

Nicht nur in der Planung anderer Projekte ist er mit diesen Themen betraut - vor rund 20 Jahren plante und baute er sein eigenes Heim nach den damals neusten Standards. Es entstand ein sogenanntes Niedrigenergiehaus, also ein Gebäude, dessen Energieverbrauch deutlich unter dem Durchschnitt vergleichbarer Häuser liegt. Ein Haus, das heute vermutlich gerne viele Menschen hätten. Denn die Prognosen für Heiz- und Energiekosten im Winter stehen schlecht. "Wer sein Haus umrüsten möchte, der steht vor zahlreichen Herausforderungen", sagt Axel Clement und reagiert damit auf die Nachfrage vieler, die ihre Immobilien den aktuellen Umständen anpassen möchten.

"Die Situation auf dem Markt ist angespannt", sagt der Energieexperte Wolfgang Wochermaier

Wer in Zukunft Energie und damit Geld sparen möchte, der hat in der Theorie verschiedene Möglichkeiten. Zum einen könne man, so sagt es Clement, sowohl bei der Wärme- und Stromerzeugung ansetzen. Aber auch im Verbrauch selbst gibt es unterschiedliche Ansätze. Damit die Wärme erstmal im Haus bleibt, kann man sich überlegen, die Hülle, also die Hauswände und Decke, neu zu dämmen oder auch die Fenster zu erneuern. Wer im Verbrauch und Energiebezug Veränderungen vornehmen möchte, der stehe vor der Wahl, statt mit Öl oder Gas zu heizen, auf klimafreundlichen Energiequellen, wie beispielsweise Erdwärme und Solarthermie, zu wechseln. Für Maßnahmen rund um das Thema Strom, ist die eigene Photovoltaikanlage auf dem Dach eine Ergänzung zum Liefervertrag mit dem Stromversorger. "Der Strom aus der Anlage geht in den Zähler beziehungsweise in das Netz und wenn man die Kaffeemaschine ansteckt, dann wird der Strom direkt daraus gezogen", erklärt der Architekt.

Maßnahmen, die im Beratungsgespräch recht einfach klingen. Doch sind sie das? "Die Situation auf dem Markt ist angespannt", sagt der Ebersberger Energieexperte Wolfgang Wochermaier. Er ist Geschäftsführer der Wochermaier und Glas GmbH, die sich auf Heizungen, Solar und Blockheizkraftwerke spezialisiert hat. Er weiß, dass er einen "besonderen Blick" auf den Markt hat. Denn er arbeitet überwiegend mit privaten Bestandskunden und Selbstnutzern. Er selbst hat eine Wertschöpfungskette aufgebaut, die es ihm erlaubt, Termine für den Heizungsbau bereits für den kommenden Sommer anzubieten - von seinen Kollegen hört er, dass diese teilweise erst wieder 2024 für neue Aufträge zur Verfügung stehen. Mit der schnellen Lösung noch für diesen Winter wird es also nichts.

Zuerst werden Fragen geklärt, dann kann der Bau beginnen - wenn es denn Material gibt

Um eine bestmögliche Termintreue zu erreichen, bietet Wolfgang Wochermaier einen "geordneten Kennenlernprozess" an, um die aktuelle hohe Nachfrage nach Information zu meistern. Immer mittwochs können sich bis zu zehn Interessenten zu den online Informationsabenden anmelden. Welche Wünsche hat der Kunde? Welches Budget? Und wie können die Pläne gefördert und umgesetzt werden? Sobald diese Fragen geklärt sind, werden die Weichen für den Neu- oder Umbau gelegt. Doch auch hier stehen die Beteiligten vor zahlreichen Herausforderungen: Nicht nur die Grundstückskosten sind für den Häuslebauer in den vergangenen Jahren stark gestiegen, auch die Bau- und Materialkosten.

Als Reaktion auf den Preis, so sagt es Wochermaier, ziehen mittlerweile viele Auftraggeber ihre Verträge mit Bauträgern zurück. Und nicht nur das: Auch die Bauträger leiden unter der aktuellen Entwicklung. Angebote, die vor einiger Zeit abgegeben wurden, sind aufgrund der Inflation längst überholt und für den Betrieb unwirtschaftlich. "Die Sorge vor einer möglichen Insolvenz unter den Bauträgern ist hoch." Viele von ihnen dürften daher die Vertragsrücktritte der Bauherren dankend annehmen.

Doch nicht nur diejenigen, die einen Hausbau planen sind von den aktuellen Entwicklungen betroffen. Sie trifft auch die Menschen, die ihre Häuser umrüsten und von Öl- oder Gasheizungen auf Wärmepumpen umsteigen wollen. "Wärmepumpen sind größtenteils ausverkauft. Die Hersteller können nicht mehr produzieren - es fehlt unter anderem an den benötigten Halbleitern", erklärt Wolfgang Wochermaier die Marktsituation. Eine Problematik, die sich auch auf Reparaturen auswirkt. So sei es früher noch möglich gewesen, defekte Gasheizungen noch am selben oder nächsten Tag zu reparieren, das sei heute nicht mehr denkbar, so Wochermaier.

Der Unterschied zwischen Eigenheimbesitzern und Mietern ist enorm

Wer als Mieter etwas tun möchte, um die Energiekosten niedrig zu halten beziehungsweise erneuerbare Energien zu nutzen, der könne sich ein Solarkraftwerk auf dem Balkon installieren oder die bestehende Heizung richtig bedienen. "Mehr geht gerade nicht", sagt Wolfgang Wochermaier. Wer aber Interesse daran habe, etwas an seinem Lüftungs- und Heizverhalten zu verbessern oder einen Überblick gewinnen möchte, wie man in der eigenen Wohnung Energiesparen kann, dem legt er die Internetseite CO2 online nahe.

Generell sei es - so sagt es auch Architekt Axel Clement - ein grundlegender Unterschied, wenn man über Energiesparmaßnahmen spreche, ob diese vor dem Bau, im Eigenheim oder einer vermieteten Wohnung umgesetzt werden sollen. Die Themen Mehrfamilienhäuser beziehungsweise Eigentümergemeinschaften seien dabei besonders komplex. Denn wer hier bauliche Maßnahmen anstrebe, der müsse erstmal die gesamten Eigentümergemeinschaft davon überzeugen. Und da seien die Anreize für Eigentümer und Mieter oftmals unterschiedlich.

Warum handeln, wenn Kosten auf Mieter abgewälzt werden können?

Wolfgang Wochermaier wünscht sich deshalb vereinfachte Prozesse. "Die Regierung schmeißt zwar mit Geldern um sich und fordert die Menschen dazu auf, zu bauen - aber die Regularien sind falsch." Noch dazu müssten die Wohnungen leer stehen, damit sie saniert werden und Baumaßnahmen umgesetzt werden können, ergänzt Axel Clement. Man müsse hierbei nur an das Thema Gasetagenheizungen denken, so der Architekt. "Warum soll man eine solch kostenintensive Sanierung umsetzten, die sich erst nach einigen Jahren amortisiert, wenn die Strom- und Energiekosten doch auf den Mieter umlegbar sind?"

Nun scheint die Gesellschaft also vor einem Problem zu stehen: Zwar ist vieles möglich, um Energiekosten einzusparen und klimaneutrale Energie zu gewinnen, doch die Auftragsbücher der Handwerker sind voll und die Materiallager leer. Letztlich aber seien auch die Verbraucher und Kunden nicht unschuldig an der aktuellen Situation. Der Reparatur- und Sanierungsstau sei von diesen zugelassen worden, während der Solaranlagenbau lange verspottet wurde. "Jetzt möchten alle weg vom Gas - am liebsten schon gestern", sagt Wochermaier.

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