Süddeutsche Zeitung

Initiative:Ebersberger messen Feinstaubwerte vor der Haustür

Lesezeit: 4 min

Weil es im Landkreis Ebersberg keine offiziellen Stationen gibt, erheben Privatleute nun selbst Daten - mit überraschenden Ergebnissen.

Von Manuel Kronenberg, Ebersberg

Diese eine Sorge treibt Jürgen Friedrichs um: Die Sorgen um die Qualität der Luft, die wir täglich atmen. Denkt er an die Schadstoffe darin, packt ihn der Idealismus. Mit seiner Familie lebt er in einem Haus nahe dem Bahnhof in Ebersberg. Ein Auto haben die Friedrichs' nicht, sie nutzen Fahrrad und Bahn; Jürgen Friedrichs pendelt mit dem Velomobil zur Arbeit nach München. Zu seinem Idealismus kommt Neugier hinzu.

Er fragt sich, wie belastet die Luft in Ebersberg überhaupt ist und insbesondere, wie hoch die Feinstaubwerte sind. Anders als in München oder anderen Großstädten gibt es im Landkreis Ebersberg keine offiziellen Messstationen des bayerischen Umweltamts. Deshalb hat er im Oktober einen Sensor an seiner Eingangstür angebracht. Dort hängt das Feinstaubmessgerät etwas über Kopfhöhe und misst die Konzentration von Staub der Partikelgrößen PM 10 und PM 2,5.

Von den Messergebnissen ist Friedrichs erstaunt. Die Werte seien höher als er dachte, sagt er. "Ich hatte erwartet, dass man hier so gut wie nie über den Grenzwert kommt." Laut EU-Richtlinie liegt der Tagesgrenzwert bei 50 Mikrogramm pro Kubikmeter. Oft seien die Werte auch tief, aber manchmal gebe es Tage, an denen sie erstaunlich hoch und über dem Grenzwert liegen, sagt Friedrichs. Er glaube aber, dass das - zumindest hier - gar nicht so sehr am Verkehr liegt, denn er wohnt mit seiner Familie an einer Spielstraße. Er vermute eher, dass das Heizen eine große Rolle spielt. Plausibel sei es ja, da jetzt im Winter viel geheizt werde.

Im Kreis Ebersberg beteiligen sich etwa ein Dutzend Bürger am Projekt

Der Sensor sendet die gemessenen Werte in bestimmten Zeitintervallen automatisch ins Internet. Der Ebersberger ist Teil des "Citizen Science"-Projekts "luftdaten.info", bei dem Privatleute eigens Daten erheben und sie auf einer frei zugänglichen Karte online zur Verfügung stellen. Dort erscheinen dann an den jeweiligen Orten farbige Kacheln, die die Feinstaubwerte repräsentieren. Ins Leben gerufen wurde dieses Projekt vom "OK Lab Stuttgart".

Scrollt man auf der Karte in Richtung der Landeshauptstadt Baden-Württembergs, sieht man, wie sich die Kacheln in Stuttgart häufen. Im Landkreis Ebersberg gibt es rund ein Dutzend Bürgerinnen und Bürger, die sich an dem Projekt beteiligen. Selbstinstallierte Messgeräte hängen in Pliening, Poing, Kirchseeon, Glonn und Ebersberg.

Der Sensor in Pliening befindet sich im Garten von Michael Nausch. Der "Weatherfrog", wie er sich selbst auf Twitter nennt, beschäftigt sich in seiner Freizeit mit dem Klima. Im Garten hat er eine eigene Wetterstation aufgebaut. Hier misst er neben Feinstaub auch Temperatur, Regenmenge, UV-Wert, Helligkeit, Luftdruck sowie Windrichtung und -geschwindigkeit.

Er beobachtet die Lage schon länger und hat festgestellt, dass es beim Feinstaub erhebliche Unterschiede im Landkreis gibt. So sind die Werte im Norden oft deutlich höher. Auch auf der Karte von "luftdaten.info" kann man dies beobachten. "Dass ausgerechnet der nördliche Landkreis hier so negativ auffällt, ist schon sehr besonders", sagt Nausch. Gründe hierfür könne er nicht mit Bestimmtheit nennen.

Fahrzeuge und Holzöfen

Er vermutet aber, dass der meiste Feinstaub vom Heizen und von Fahrzeugen kommt. Gerade Pliening sei stark vom Verkehr betroffen. Ist etwa die Flughafentangente oder die A 94 verstopft, weichen viele Autofahrer aus und nehmen die Route durch den Ort, so Nausch. Das merke man sofort an den Feinstaubwerten.

Zurückscrollen auf Ebersberg: Ein weiterer Blick auf die Feinstaub-Karte offenbart zwei Kacheln in der Kreisstadt. Eine gehört zu Friedrichs Sensor. Die andere gehört zu einem Messgerät, das in der Eberhardstraße hängt. Dort, in der viel befahrenen Straße mitten in der Kreisstadt, befindet sich die Drachenstube. Schaut man außen an dem Spielwarengeschäft genau hin, entdeckt man unter dem Vordach ein graues Rohr. Es ist zweimal gekrümmt und etwa so groß wie zwei Handflächen. Ein dünnes Kabel ist daran befestigt, und im Innern des Rohres befindet sich der kleine Sensor. Die Inhaber des Ladens, Petra Behounek und Thomas Schmidt-Behounek, haben das Messgerät vor gut fünf Monaten angebracht.

Bei dem starken Verkehr in der Eberhardstraße sind die Werte hier sicher katastrophal. Oder? Erstaunlicherweise leuchtet die Kachel des Drachenstuben-Sensors die meiste Zeit grün. Mit dieser Farbe wird eine Feinstaubkonzentration von weniger als 30 Mikrogramm angezeigt - also deutlich unter dem Tagesgrenzwert, der für die Partikelgröße PM 10 gilt.

Beim Blick auf die Feinstaubkarte im Internet, der die Werte für diese Partikelgröße zeigt, wird deutlich, dass sie fast durchgängig unter dem von der EU festgelegten Grenzwert liegen. Tatsächlich sind zu Hauptverkehrszeiten aber vereinzelt Überschreitungen zu sehen. Ähnlich ist das bei den Werten für Feinstaub der Partikelgröße PM 2,5. Diese liegen dennoch fast durchgängig unter dem einzuhaltenden Jahresmittel von 25 Mikrogramm.

Auch der Ebersberger Internist und Kardiologe Marc Block hat vom "Citizen Science"-Projekt gehört. Die Aktion sei interessant und informativ, sagt Block, der in Zorneding praktiziert. So könne man ja auch Brennpunkte entdecken. Grundsätzlich aber warnt er davor, sich zu sehr in eine Grenzwertdebatte zu verwickeln - besonders, wenn sie so emotional aufgeladen wird, seit über Fahrverbote geredet wird. Denn selbst wenn die Grenzwerte eingehalten würden, hieße das noch lange nicht, dass die Lage unbedenklich sei.

"Es gibt keinen Schwellenwert, bei dem man sagen kann, es sei ungefährlich. Jede Belastung zählt." Block berichtet, dass man dies sogar im Alltag in der Praxis bemerke. Sobald eine Wetterlage herrsche, die eine hohe Feinstaubbelastung mit sich bringt, kämen vermehrt die Patienten zu ihm, die an Atembeschwerden oder einer Atemwegserkrankung leiden. Nun überlegt sich Block, auch einen Feinstaub-Sensor vor seiner Praxis anzubringen. Nicht nur aus Eigeninteressen, sondern auch in dem seiner Patienten.

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Quelle:
SZ vom 25.02.2019
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