Süddeutsche Zeitung

Kinderbaracken in Markt Indersdorf:Stahlstelen erinnern an das Schicksal von 34 Kindern

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Mindestens 34 Kinder kamen in den sogenannten Kinderbaracken zwischen September 1944 und Mai 1945 ums Leben. Nun, knapp 80 Jahre später, erinnern Stahlstelen an ihr Schicksal. Schüler der Mittelschule Indersdorf haben das Mahnmal gestaltet

Von David Holzapfel, Markt Indersdorf

Er ist wahrlich kein stiller Ort, der alte Bezirksfriedhof an der Maroldstraße in Markt Indersdorf. Doch trotz des vorbeirauschenden Verkehrs wird es sehr ruhig, als die Schüler der Erzbischöflichen Realschule Vinzenz von Paul die Namen jener 34 Säuglinge vorlesen, die während der Zeit des Nationalsozialismus' in der Indersdorfer Kinderbaracke umgekommen sind. Sie alle wurden nur wenige Tage bis Wochen alt. Nun, knapp 80 Jahre später, erinnert ein stählernes Denkmal an ihr Schicksal.

Steter Regen weicht den Boden des Friedhofes auf. Die etwa 70 Anwesenden, die an diesem Vormittag trotzdem zur Gedenkfeier erschienen sind, haben einen Regenschirm dabei. Drei große Edelstahlrohre ragen unweit der kleinen Friedhofskapelle aus der Erde empor. In sie eingebrannt sind die Namen der 34 Kleinkinder, mit Kerzenfächern laden sie zum individuellen Gedenken ein. Die Säulen wurden von Schülern der Indersdorfer Mittelschule gestaltet. An diesem Mittwochmorgen werden sie feierlich eingeweiht.

Heimatforscherin Anna Andlauer sagt, man wisse leider nur wenig über die Kinder.

Hans Holzhaider hat zu den Kinderbaracken geforscht.

Lange Zeit waren die Geschichten der Kinder osteuropäischer Zwangsarbeiter aus der kollektiven Erinnerung gelöscht - und mit ihnen ihre Schicksale. Im Jahr 1986 jedoch machte Hans Holzhaider, Autor der Süddeutschen Zeitung, die Grundlagenforschung zu der Indersdorfer Kinderbaracke. Nun steht Holzhaider vor dem vom Regen glänzenden Denkmal und berichtet von seinen Erkenntnissen.

An der Indersdorfer Klostermauer, etwa dort, wo heute der Kindergarten Sankt Vinzenz ist, befand sich im letzten Kriegsjahr eine berüchtigte Einrichtung. Auf Anweisung von Heinrich Himmler, Reichsführer der SS und Chef der deutschen Polizei, waren hier ausländische Kleinkinder unter menschenunwürdigen Bedingungen untergebracht. Ihre Mütter, Zwangsarbeiterinnen aus Polen oder der damaligen Sowjetunion, arbeiteten in wirtschaftlichen Betrieben und Privathaushalten in der Umgebung. Brachten sie ein Kind auf die Welt, mussten sie das Neugeborene sofort in "Ausländerkinderpflegestätten" bringen, Einrichtungen wie die Indersdorfer "Kinderbaracke".

Von den 63 in Indersdorf registrierten Kindern kamen zwischen September 1944 und Mai 1945 mindestens 34 ums Leben, sie sind auf dem Bezirksfriedhof an der Maroldstraße anonym beerdigt. Zynisch muten die in den Sterbeurkunden angegebenen Todesursachen der Kinder an: Brechdurchfall, Magen- und Darmerkrankungen, Herzschwäche, einigen von ihnen wurde eine "angeborene Lebensschwäche" attestiert. Die Wahrheit, sagt Hans Holzhaider, sei jedoch, dass der Großteil der Säuglinge an den Folgen von massiver Mangelernährung ums Leben gekommen sei. Das Schicksal von 23 der in Indersdorf untergebrachten Kinder kann bis heute nicht aufgeklärt werden, nur mutmaßlich sechs überlebten die Unterbringung in der Baracke. Um all diesen so jungen Opfern der NS-Zeit ein Gesicht zu geben, hatten Schüler des Indersdorfer Gymnasiums bereits im Jahr 2006 die Namen der Kinder auf Eichenstelen graviert. Doch diese wurden im Laufe der Jahre marode. Mit dem neuen, stählernen Denkmal haben die Schüler der Mittelschule Markt Indersdorf einen wetterbeständigen Ersatz geschaffen.

Der Regen, er will einfach nicht nachlassen an diesem Mittwochmorgen. Trotzdem stellen Schüler brennende Kerzen in die Stelen und erinnern mit kurzen Vorträgen an die 34 verstorbenen Kleinkinder: etwa an Valentin Iwankowitsch, der am 19. Februar 1945 in Dachau geboren wurde und schon wenige Tage später starb, am 7. März, Todesursache "unbekannt". Oder an Manfred Kraut, unter dessen Namen im Sterberegister vermerkt wurde: "26. Januar, Todesursache: angeborene Lebensschwäche". An Manina Gajewska, ein Ostarbeiterkind, welches nur zwei Monate alt wurde und am 10. Dezember 1944 starb. Und an all die anderen Kinder, deren Namen so lange vergessen waren, und deren Schicksale zeigen, wohin Rassismus und Ausgrenzung führen können. Man wisse nur wenig über diese Kinder, sagt Heimatforscherin Anna Andlauer. "Nur, dass sie gelacht und gestrampelt haben, bevor sie in die Baracke nach Indesdorf kamen." Die Stelen, sie sollen erinnern und mahnen, wie der Indersdorfer Bürgermeister Franz Obesser (CSU) in seiner Rede sagt. "Die Schicksale sind ein Teil unserer Geschichte, wir stellen uns gegen das Vergessen, hier, heute, bewusst und öffentlich." Der Regen hat mittlerweile nachgelassen, über den Bezirksfriedhof wehen die Zeilen eines Liedes: "Und hoffet auf Gott alle Zeit, in aller Not und Traurigkeit. Wer ihm, dem Allerhöchsten traut, der hat auf keinem Sand gebaut." Die Schüler tragen Fürbitten vor. Sie wünschen sich Frieden für die 34 verstorbenen Säuglinge und für alle anderen Opfer der NS-Zeit.

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Quelle:
SZ vom 14.11.2019
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