Süddeutsche Zeitung

Punkband aus Dachau:Alles auf Apokalypse

Lesezeit: 3 min

An "Sabot Noir" hat sich in Dachau ein politischer Streit entzündet. Doch wie viel Hass steckt wirklich in der Musik der Punkband?

Von Thomas Balbierer, Dachau

Alles ist schwarz, die Erde verkohlt, die Menschheit zu Asche zerfallen. Es gibt keine Systeme mehr, keine Macht, kein Geld, keine Gewalt, keine Gier, kein Leid, kein Zwang. Die Welt, wie sie einmal war, ist tot. Und aus dem Staub des Untergangs erhebt sich neues Leben. Ein Vogel befreit sich aus der Asche und steigt mit zärtlichem Gesang in die Luft. Die Tyrannei ist vorbei. Es könnte ein friedliches, ein sanftes Bild sein, das die Punkband Sabot Noir am Ende ihres neuen Albums und des gleichnamigen Schlusssongs Kollaps zeichnet - wären da nicht der brüllende Gesang und die dröhnenden Schlagzeugschläge, die die märchenhafte Harmonie konterkarieren. Aber wer auf der Suche nach der heilen Märchenwelt ist, sollte sowieso lieber die Finger von der Musik der Anarchogruppe lassen.

Am 31. Juli veröffentlichte die dreiköpfige Punkband aus dem Landkreis Dachau ihr neues Werk via Online-Konzert, das im Freiraum aufgenommen wurde und auf Youtube zu sehen ist. Das Konzert hatte im Vorfeld einen Eklat verursacht, weil sich konservative und rechte Politiker sowie zahlreiche Bürger über den vom Kulturausschuss genehmigten 750-Euro-Zuschuss empörten. Der CSU-Landtagsabgeordnete Bernhard Seidenath schrieb in einem Brief an die Dachauer Polizei, er halte die Förderung für "falsch und bedauerlich, ja für beschämend". Der Streit drehte sich in erster Linie um das Lied Fuck Cops, das auf dem 2018 erschienenen Album Schattenfarben zu hören ist und laut Band die Sicht eines Opfers von Polizeigewalt darstelle. Gegner des Zuschusses kritisierten das Lied hingegen als Aufruf zum Hass gegen die Polizei und bezeichneten die Band als linksextrem. Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD), der im Ausschuss noch für den Zuschuss gestimmt hatte, regte im Zuge der Diskussion an, die Kulturförderrichtlinien der Stadt auf den Prüfstand zu stellen, um die Bezuschussung von Hassbotschaften künftig zu verhindern. Aber wie viel Hass steckt überhaupt in dem Werk von Sabot Noir? Wer das herausfinden will, hört sich am besten das neue Album an.

Ungeübte Punkhörer kostet es zugegebenermaßen etwas Überwindung, die schrillen, lauten, teilweise dissonanten Lieder mit kreischendem Gesang zu hören, ohne direkt wieder abzuschalten. Doch wer sich auf das Experiment einlässt (und die online verfügbaren Songtexte zur Hilfe nimmt), merkt, dass die Musik von Sabot Noir tief politisch ist und eine klare Botschaft vermittelt. Sie lässt sich im Kern so zusammenfassen: Der Mensch hat sich die Erde Untertan gemacht, beutet sie und sich selbst bis zur Erschöpfung aus und schaufelt sich damit sein eigenes Grab. "Alles stirbt", heißt es etwa an einer Stelle im Titelsong Kollaps.

Es sind keine neuen oder besonders originellen Ideen, die die Musiker da entwerfen. Stattdessen folgen sie treu der Logik der Anarchie, wonach nur das Ende aller Herrschaft Erlösung bringen kann. Sie prangern Diskriminierung, Rassismus, Tierquälerei und Umweltverschmutzung an, singen gegen erdrückenden Leistungszwang und thematisieren Alkoholsucht. In einer Strophe des Liedes Gewalt blitzt erneut auch die zuletzt umstrittene Polizistenschelte auf: " Knarren - Schlagstock - Uniform - Bullenschweine - Pfefferspray - Kabelbinder - Staatsgewalt - Gewalt!" Ob so eine Strophe zukünftig schon ausreichen würde, einen städtischen Kulturzuschuss zu versagen?

Wer möchte, entdeckt hier sogar eine Spur von Kant

In der Erzählung der Band scheint das selbst verschuldete Ende des Menschen unausweichlich, er ist für sie " das Ungetier auf dieser Welt!" Aber auch die den Punk charakterisierende Kritik am Staat kommt nicht zu kurz. Schon im ersten Track Aufbruch, der mit verheißungsvollen Klaviertönen ruhig beginnt und bald in rasantes Gitarren- und Schlagzeugspiel umschlägt, wird der Staat als gewalttätiges und grausames System überzeichnet, "das die Umwelt und unsere Zukunft zerstört, und überhaupt nicht anders kann". Es folgt - ein weiterer Wesenskern des Punk - der Aufruf zur Anarchie. " Erhebe deine Stimme/erhebe deine Faust/erhebe dein Kopf." Wer möchte, entdeckt hier sogar eine Spur von Kant, der in der Aufklärung des 18. Jahrhunderts die Befreiung des "Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit" sah. Nur dass die Aufklärung für die Punker hier eben in der Überwindung von herrschenden Machtstrukturen steckt.

Musikalisch und textlich schwankt das Album zwischen Wut, Verzweiflung und Hoffnung. Geigen und Klavier verleihen den zornigen Schlagzeug- und E-Gitarrensounds einen melancholischen Rahmen. Sentimentalität spricht etwa aus dem Lied Vert et noir, das in einer Mischung aus Englisch und Französisch gesungen ist, und davon handelt, dass der Mensch die Natur vor seinen Augen zugrunde gehen lässt: " Der Wald stirbt und die Erde weint." Dramaturgisch steuert das Album unweigerlich auf die Apokalypse zu, die wie ein reinigendes Unwetter das Schlechte vom Planeten tilgt und ein hoffnungsvolles Paradies ohne die Übel der Menschheit hinterlässt. "Nie wieder Herrschaft", mit dieser Zeile endet die Platte.

Kollaps ist keine Musik, die Spaß macht, oder die man auf der Autofahrt in den Urlaub aufdrehen würde. Das Album ist laut und anstrengend - und genau das soll es wohl auch sein. Die Kritik darin ist stellenweise scharf, gleitet jedoch immer wieder ins erwartbar Oberflächliche ab. Für den unbedarften Punkhörer ist die Platte dann am eindrucksvollsten, wenn sie Bilder und Metaphern zeichnet und neben all dem Schwarz auch Grautöne zulässt.

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Quelle:
SZ vom 11.08.2020
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