Süddeutsche Zeitung

Krankenhausreform:Gegen die Ökonomisierung eines Systems

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Bund und Länder arbeiten an einer großen Klinikreform, die die Qualität der medizinischen Versorgung wieder in den Vordergrund bringen soll. Die Helios Amper-Kliniken im Landkreis Dachau begrüßen das, sehen sich aber schon jetzt auf einem guten Weg.

Von Ayça Balcı, Dachau

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und die Länder ringen um die Revolution. Genauer: um eine Revolution im Gesundheitssystem, die mit einer großen Krankenhausreform einhergehen soll. Denn die letzte große Reform liegt 20 Jahre zurück, die Probleme des aktuellen Systems sind vielschichtig. Das größte dieser Probleme dürfte jedoch sein, dass in der Bundesrepublik und damit letztlich auch im Landkreis Dachau ein Gesundheitssystem existiert, in dem die ökonomischen Aspekte dominieren. Die neue Krankenhausreform soll dazu führen, dass in diesem System "medizinische Aspekte wieder stärker im Vordergrund stehen", sagte Lauterbach vergangene Woche in einer Pressekonferenz, nachdem er sich stundenlang mit den Bundesländern über das Mammutprojekt beraten hatte.

Die Helios Amper-Kliniken im Landkreis Dachau teilten auf Anfrage der SZ Dachau mit, dass an der geplanten Krankenhausreform zu begrüßen sei, dass "neben dem Fokus auf mehr ambulante Versorgung künftig insbesondere Qualität ein entscheidendes Kriterium für eine gute Versorgung sein soll". Wie die Reform final aussehen und welche Auswirkungen sie konkret auf die Kliniken im Landkreis Dachau haben wird, ist zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht absehbar. Denn bislang liegen nur die Vorschläge der Kommission auf dem Tisch; in Form ist die Reform noch nicht gegossen. Gesundheitsminister Lauterbach muss zunächst eine gesetzliche Regelung formulieren. Dabei hat er auch die Länder einzubeziehen, denn die Krankenhausplanung ist verfassungsrechtlich Ländersache. Widerstand kommt vor allem aus den unionsgeführten Bundesländern Bayern und Nordrhein-Westfalen, die Eingriffe durch den Bund befürchten. Es kann also dauern. Die Kommission schlägt eine Übergangsphase von fünf Jahren vor.

In welche Versorgungsstufe die Helios-Amper-Kliniken fallen, ist noch nicht bekannt

Nach der Reform sollen Kliniken unter anderem spezialisierter arbeiten. Nicht zuletzt deshalb, weil trotz einer guten Ausstattung nicht jede Klinik über alle speziellen Medizintechniken verfügen kann. In den Helios-Kliniken habe man das, was der Bundesgesundheitsminister nun vor hat, schon früher auf eigene Initiative mit einer sogenannten Cluster-Bildung angestoßen, so ist es einem Statement des Klinikums zu entnehmen. Die vier Helios-Kliniken in Oberbayern - also in Dachau, Markt Indersdorf sowie in München West und Perlach würden einen Verband bilden, in dem es bestimmte Kompetenzzentren gebe, die die Expertise auf verschiedenen Fachgebieten bündle, erklärt Helios-Sprecher Martin Pechatscheck. Ein konkretes Beispiel: Der Standort Dachau verfügt über den "Da Vinci Xi"-Roboter, der unter anderem bei heiklen minimalinvasiven Operationen, etwa bei Bauchspeicheldrüsenkrebs, eingesetzt wird. Da die anderen Standorte des oberbayerischen Clusters diese Medizintechnik nicht besitzen, werden auch ihre Patientinnen und Patienten zur Behandlung und Operation nach Dachau überwiesen.

Im Rahmen der Krankenhausreform sollen Kliniken außerdem je nach ihrer Größe und Bedeutung in verschiedene Versorgungsstufen eingeteilt werden. So sollen kleine Krankenhäuser, die auf lokaler Ebene die wohnortnahe Grundversorgung gewährleisten, die erste Stufe bilden und künftig eng mit niedergelassenen Ärzten zusammenarbeiten. Kliniken der zweiten Stufe sollen die regionale Regel- und Schwerpunktversorgung übernehmen und Kliniken der Stufe drei, etwa Unikliniken, würden die maximale Versorgung bieten. Auskünfte darüber, in welche Kategorie die Helios-Amper-Kliniken im Landkreis Dachau fallen würden, könne man zu diesem Zeitpunkt nicht geben, so der Sprecher der Kliniken. "Die Reform ist ein laufender Prozess", sagt Pechatscheck. Wie sie sich im Detail auf die Krankenhäuser vor Ort auswirke, werde sich im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens und der Umsetzung zeigen.

Die Abschwächung der Fallpauschale könnte den wirtschaftlichen Druck auf Kliniken reduzieren

Das gleiche gelte auch für die Wirkung der geplanten Abschwächung der Fallpauschale - die vielleicht wichtigste Veränderung in der Krankenhausreform. Seit 2004 rechnen Kliniken auf Basis sogenannter diagnosebezogener Fallpauschalen mit den Krankenkassen ab. Wie der Name bereits verrät, werden diese Pauschalen pro behandelten Fall und je nach Diagnosegruppe ausgezahlt. Nicht berücksichtigt wird dabei, wie lange die Behandlung dauert und wie viel Personal dafür eingesetzt werden muss. Je mehr "Fälle" ein Krankenhaus also in einem Zeitraum behandelt, desto mehr Erlöse erzielt es - ein System, das den wirtschaftlichen Druck erhöht. Gerade kleine Kliniken im ländlichen Raum, die Grund- und Notfallversorgung anbieten, können so Schwierigkeiten haben, genügend Fälle zu behandeln, um wirtschaftlich stabil zu sein. Den Reformvorschlägen zufolge soll das Finanzierungssystem über Fallpauschalen künftig abgeschwächt und durch sogenannte leistungsunabhängige Vorhalteleistungen ergänzt werden. Krankenhäuser sollen also auch für das Vorhalten von Personal, einer Notaufnahme oder von bestimmter Medizintechnik bezahlt werden.

Im Idealfall könnte das den ökonomische Druck, der auf Kliniken in ganz Deutschland lastet, minimieren. Ob sich damit auch die angespannte Personalsituation in den bundesweiten Kliniken sowie auch im Landkreis Dachau verbessern lässt, bleibt abzuwarten. In der Vergangenheit haben Helios-Mitarbeitende immer wieder für eine Entlastung des Pflegepersonals gestreikt. Zuletzt prangerten im Mai vergangenen Jahres etwa 30 Pflegekräfte vor der Dachauer Klinik die von ihnen wahrgenommene extreme Belastung im Beruf und die Unterversorgung von Patienten an. Die Klinikleitung widersprach damals.

Privatisierung der Dachauer Kliniken

Vor 18 Jahren entschied der Landkreis Dachau, aus den beiden Kliniken in Dachau und Markt Indersdorf auszusteigen. 2005 wurde das Amper-Klinikum erst zu 94,9 Prozent an die Rhönkliniken verkauft. 2014 ging es an den Konzern Helios, der in ganz Deutschland 87 Kliniken unterhält. Der Landkreis Dachau besitzt heute nur noch 5,1 Prozent der Konzernanteile. Der Dachauer Landrat Stefan Löwl (CSU) ist stellvertretender Vorsitzender der Helios-Amper-Klinikum Dachau AG und sitzt damit im Aufsichtsrat des Klinikums. Immer wieder wird den Helios-Amper-Kliniken vorgeworfen, dass mit der Privatisierung zum Zweck der Kostenminimierung und Profitsteigerung ein Stellenabbau in der Pflege einherging. Diesen Vorwurf wiesen die Amper-Kliniken bisher immer zurück. Ein Bündnis, das aus der "Bürgerinitiative für mehr Pflege" hervorgegangen ist, protestierte 2020 gegen die Privatisierung im Gesundheitssystem. Seitdem sich die Situation in den Kliniken durch die Corona-Pandemie weiter verschärft hat, fordern Pflegekräfte immer wieder höhere Löhne und personelle Entlastung für Krankenhausangestellte.

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