Süddeutsche Zeitung

Fachkräftemangel:Dringend gesucht: Kraftfahrer

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Eine Spedition aus Petershausen hat wie viele andere Unternehmen ein Problem: Es fehlt an Menschen, die ohne fixe Arbeitszeiten und bei niedrigem Lohn Güter durch die Welt fahren wollen. Die Pandemie hat die Lage verschlimmert.

Von Eva Waltl und Julia Putzger, Petershausen

Um 20 Uhr beginnt für gewöhnlich Peter Schindlers Schicht. Acht bis 16 Stunden dauert sie. Fixe Zeiten gibt es keine. Schindler muss sich nach Ab-, Auf- und Fahrzeiten richten. "Wenn nichts dazwischenkommt, endet meine Schicht am nächsten Morgen um sieben Uhr", erzählt er. Der 38-Jährige arbeitet seit vielen Jahren als Berufskraftfahrer, seit sechs Jahren bei der Spedition Kloiber in Petershausen. Er ist der Branche treu und damit eine Rarität. "Wer möchte den Job denn freiwillig machen? Er ist familienunfreundlich, bei manchen Speditionen wird unterirdisch bezahlt, unter Fahrern und mit Kunden herrscht oft ein rauer Ton", beschreibt Schindler seinen Alltag. Erfahrene Fahrer scheiden deshalb immer häufiger aus dem Beruf aus, weniger Nachwuchs wird ausgebildet. Schon seit Jahren klagt die Branche über den Fachkräftemangel. Auch im Landkreis Dachau spüren Speditionen und Betriebe die Auswirkungen, einmal mehr seit Beginn der Pandemie.

Es ist eine Entwicklung, vor der die Industrie- und Handelskammer (IHK) schon lange warnt. "Wir machen seit Jahren auf den Fachkräftemangel aufmerksam", so Florian Reil, Sprecher der IHK für München und Oberbayern. In einer bayernweiten Umfrage aus dem Jahr 2019 geht hervor, dass 78 Prozent der 500 befragten Logistik-Unternehmen in Bayern zwischen einen und fünf Fahrer suchen, zehn Prozent suchen sechs bis zehn Fahrer und zwölf Prozent sogar mehr als zehn Fahrer. Zahlen, die auch zwei Jahre später noch aktuell sind. Im Landkreis sind laut der Agentur für Arbeit derzeit etwa 35 Stellen als Berufskraftfahrer unbesetzt. Reil vermutet, dass diese Zahlen in den kommenden Jahren sogar noch steigen würden.

Auch Spediteur Ferdinand Kloiber von der gleichnamigen Spedition in Petershausen hat mit dieser Entwicklung zu kämpfen. Die Spedition besteht aus etwa 150 Lastwägen. Das Kerngeschäft: Überseetransport in kombiniertem Verkehr, sprich nicht nur auf der Straße, sondern auch auf Schienen oder Wasserstraßen. Etwa 30 Lastwägen davon setzt Kloiber für den Automobil- und Nahverkehr ein. Insgesamt beschäftigt er neben Schindler noch 180 weitere Kraftfahrer. Das seien aber viel zu wenige, erklärt er. Auftrage müsse er immer wieder ablehnen, weil schlicht nicht ausreichend Fahrer zur Verfügung stünden. "Zur Urlaubszeit ist es dann richtig dramatisch", klagt Kloiber.

Es ist kein neues Phänomen, dass sich weniger Menschen für den Beruf Kraftfahrer entscheiden, dennoch hätte die Pandemie die große Lücke deutlich gemacht und auch in der Branche spürbare Auswirkungen hinterlassen, erklärt Kathrin Stemberger, Pressesprecherin der Agentur für Arbeit in Freising. Bei der Antwort auf die Frage, warum sich so wenige Menschen auf den Beruf des Kraftfahrers einlassen, sind sich IHK und Kloiber einig: Das Grundproblem sei nicht ausschließlich, dass Bewerber fehlten. Diese gebe es, sagt Reil, es scheitere aber zu oft daran, dass berufliche Qualifikationen aus dem Ausland in Deutschland nicht anerkannt würden.

Auch die Ausbildungsbedingungen hätten sich in den vergangenen Jahren erschwert und mit der Abschaffung der Wehrpflicht, falle die Bundeswehr als Zahler für den Führerschein Klasse C weg. "Die wenigsten zahlen 6000 bis 8000 Euro, um überhaupt in den Beruf einzusteigen", sagt Kloiber, der die Folgen im eigenen Betrieb feststellt: "Für Quereinsteiger, die wir früher viele hatten, sind die Anforderungen jetzt viel höher." Zwar könnte sich der Spediteur noch mit "Fahrern aus dem osteuropäischen Raum retten", doch auch von dort käme immer weniger Nachwuchs nach.

Was also passiert, wenn es nicht ausreichend Fahrer gibt, die einen 40-Tonner in Bewegung setzen können, kann man seit September dieses Jahres in Großbritannien beobachten. Hier fehlten aufgrund der strikten Brexit-Visabestimmungen etwa 100 000 Fahrer. Die Folge: Lieferprobleme bei Benzin und Lebensmitteln. In Deutschland ist man davon zwar noch entfernt, dennoch warnt die IHK davor, dass Lieferengpässe und Rohstoffmangel auch für hiesige Unternehmen ernstzunehmende Probleme darstellen könnten.

Kloiber jedenfalls kann sich Zustände, wie sie in Großbritannien zu erleben sind, auch im Landkreis Dachau vorstellen. Als Spediteur bemerke er bereits in "nahezu allen Branchen Lieferengpässe." Grund sei, erklärt Kloiber, dass aufgrund der Sperrung großer Hafenanlagen in China während der Pandemie die Lieferkette seit über einem Jahr nicht mehr im Gleichgewicht sei und wenn der Rohstoff dann in Deutschland ankomme, könne er wegen fehlender Kraftfahrer nicht an den jeweiligen Ort gebracht werden. "Wenn wir nicht gegensteuern und die Rekrutierung von zusätzlichen LKW-Fahrern erleichtern, steuern wir definitiv auf einen Engpass zu. Es gibt ja keine Alternative zum Transport."

Peter Schindlers Schicht endet nach etwa zwölf Stunden. Warum er den Job auch nach vielen Jahren und trotz beschwerlicher Umstände noch macht, ist der Leidenschaft geschuldet, die er dafür hegt. "Als Kind saß ich oft auf dem Beifahrersitz meines Großvaters. Das hat mich begeistert und hält bis heute an", erzählt er. Wenn er an die Zukunft der Logistikbranche denkt, ebbt aber auch seine Euphorie ab: "Es hat sich viel verändert, der Zusammenhalt unter Fahrern ist nicht mehr vorhanden." Schindler sieht ebenso wie sein Chef Handlungsbedarf, um den Beruf des Kraftfahrers attraktiver zu machen. Dies beginne, sagt Kloiber, mit Wertschätzung durch mehr Bezahlung: "Transport ist eine wichtige Dienstleistung, dessen Lohnniveau angehoben werden muss, damit wir unseren Fahrern langfristig mehr Geld zahlen können."

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SZ vom 05.11.2021
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