Süddeutsche Zeitung

SZenario:"Gescheitert bin ich, wenn ich tot bin"

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Er ist ein konsequenter Nicht-Selbstinszenierer. Dass es nun einen Dokumentarfilm über ihn gibt, ist dem Extrembergsteiger Ralf Dujmovits fast peinlich.

Von Thomas Becker, München

Mama Hildegard hat es kommen sehen: "Schon als Kind musste der Ralf überall hochklettern." Wohl wahr: Ein paar Jährchen später lässt der Filius die heimischen Sofa-Berge hinter sich und kommt als Höhenbergsteiger zurück, als erster und bislang einziger Deutscher, der alle 14 Achttausender bestiegen hat. Das Auge einer Mutter ist halt unbestechlich.

Trotz der Erfolge am Berg ist Ralf Dujmovits nie ein Talkshow-Star geworden, fällt mit der konsequenten Nicht-Selbstinszenierung (abgesehen von der 33-stündigen Live-Durchsteigung der Eiger-Nordwand 1999) aus der Zeit. Und wenn Sponsor Schöffel, mit dem er seit 26 Jahren zusammenarbeitet, ihm nun den Dokumentarfilm "Oben angekommen" widmet und zur Premierenfeier ins Popup-Sommerkino der Filmhochschule einlädt, dann ist es dem Schwarzwälder "fast ein bisschen peinlich, dass so ein Aufwand für mich betrieben wird". Ins Zeug gelegt haben sich die Veranstalter: große Leinwand aufgebaut, schön viele Liegestühle und Sitzsäcke hingestellt, Häppchen, Getränke und die Indie-Folk Band "Balloon Pilot" organisiert - und dann zieht doch glatt ein Regenband durch und vermasselt die lauschige Kino-Nacht. Absagen hätte aber auch nicht zu dem Outdoor-Ausrüster gepasst, und so trotzt dann ein überschaubares, aber unverfrorenes Outdoorfilmpublikum dem Schnürlregen.

Dass der Protagonist vorher noch mit dem Deutschen Wetterdienst gesprochen hat, überrascht nur den, der seinen Hang zum Perfektionismus nicht kennt. Was Schlechtwetter angeht, kann einen, der 50 Expeditionen im Himalaya und Karakorum in den vergangenen 36 Jahren hinter sich hat, natürlich nichts mehr schocken. Die grenzwertigste Erfahrung in dieser Hinsicht hat er am Kangchendzönga gemacht, dem mit 8586 Metern dritthöchsten Berg der Erde. "Erst hundert Meter unterm Gipfel kamen wir aus der Wolkendecke raus, doch auf dem Rückweg gab's in den Wolken ein Gewitter, was dort sehr selten passiert", erzählt Dujmovits. Dann ist er mit Partnerin Gerlinde Kaltenbrunner auch noch in die Dunkelheit geraten - und hundert Meter vor dem Lager in eine Spalte gestürzt: "Da saß ich dann, über mir hat's geblitzt, gedonnert und geschneit." Seine spätere Ehefrau kann ihn aus der Spalte retten, doch als das Paar endlich am Zelt ankommt, hat der Sturm bis auf den Kocher alles weggeweht, kein Schlafsack mehr da, nichts. "Wenn da am nächsten Tag das Wetter nicht besser geworden wäre..."

Vor solchem Unbill ist auch der umsichtigste Bergsteiger nicht gefeit, und zu denen zählt Dujmovits mit Sicherheit. "Als Höhenbergsteiger war er seiner Zeit voraus", schwärmt Thomas Huber, die eine Hälfte der Huberbuam, "Mitte der 90er war er der Erste, der im Himalaya ein Satellitentelefon für den Wetterbericht dabei hatte." Huber weiter: "Der Ralf ist demütig, am Boden geblieben - und ein feiner Mensch. So was schätze ich mehr als einen, der Großartiges erreicht hat. Er ist ein typischer Bergführer, ein Dienstleister für Menschen, die Großes erleben wollen. So hat er auch der Gerlinde den Weg bereitet. Ob sie den Weg so ohne ihn gefunden hätte?" Über die Trennung von Kaltenbrunner, die als erste Frau auf allen Achttausendern stand, möchte Dujmovits nicht reden, im Film spricht er von noch mehr Druck und Stress, den der Erfolg der Partnerin mit sich gebracht habe.

Den Umgang mit Niederlagen und die Lektion "umdrehen können" musste der 60-Jährige mehr als einmal lernen, allein sieben Mal am Everest. "Das ist sein blaues Auge", sagt Lebensgefährtin Nancy Hansen, mit der er seit sieben Jahren zusammen ist. 1992 stand er ganz oben, brauchte ab dem Südsattel aber Flaschensauerstoff. Das Ziel, den höchsten aller Berge ohne diese Hilfe zu bezwingen, hat Dujmovits abgehakt: "Das Kapitel ist durch. Die Chance, dass ich mich da oben umbringen könnte, ist mir einfach zu groß. Gescheitert bin ich, wenn ich tot bin." Womit wir wieder bei Mama Hildegard sind, die im Film sagt: "Ich bete jeden Abend."

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