Süddeutsche Zeitung

Neuer Bahnknoten:Aufs falsche Gleis gesetzt

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Der Stadtrat macht seinem Ärger über die Planungen der Bahn für den Ausbau im Osten Münchens Luft. Doch der Vertreter des Konzerns lässt alle Vorwürfe abtropfen. Zur Not wollen die Politiker nun klagen.

Von Heiner Effern

Als die ersten Bälle im Verantwortungs-Ping-Pong der Deutschen Bahn (DB) und des Bundesverkehrsministeriums hin und her flogen, gab Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) schnell den Spielverderber. "So geht es nicht. So sollten wir uns in Zukunft nicht mehr behandeln lassen." Zwei große Bauvorhaben der Bahn standen auf der Tagesordnung des Stadtrats: der Ausbau der Strecke zwischen Daglfing und Johanneskirchen von zwei auf vier Gleise sowie die neue Trassenführung der Bahn im Gleisdreieck Trudering. Die Bedeutung geht weit über den regionalen Verkehr hinaus, hier sollen auch die Güterzüge passieren, die weiter durch den Brennerbasistunnel in den Süden rollen oder von dort in den Norden fahren. Beide Planungen der Bahn findet die Stadtpolitik unmöglich, und bei beiden zuckten die Vertreter der DB nur mit den Schultern. Sie dürften nichts ändern, Entscheidungen fielen nur im Ministerium.

Reiter kündigte einen Gipfel mit Ministerpräsident Markus Söder an, der Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) und seine Bahn in Bewegung setzen soll. Der Stadtrat will das zur Not mit Hilfe von Gerichten erreichen. Das hielt er eigens in einem Beschluss fest. Fast alle Fraktionen teilten OB Reiters Ärger, der sich schon an der Diskussion zum ersten Projekt entzündete. Die Bahn bestätigte nochmals, dass sie den Ausbau der Strecke zwischen Daglfing und Johanneskirchen an der Oberfläche verwirklichen will. Der Stadtrat bekräftigte, dass für ihn ausschließlich ein Tunnel in Frage komme. Als die Stadträte mit den Vertretern der Bahn darüber diskutieren wollten, ließen die sie abtropfen wie Nieselregen an einer wetterfesten Hochgebirgsjacke. "Wir sind nur die operativen Planer. Wir haben einen Auftraggeber, das ist der Bund", sagte Projektleiter Bernd Pfeiffer. Dieser treffe alleine die Entscheidung, was wie gebaut würde.

Der Bund, in diesem Fall das Bundesverkehrsministerium, hatte es aber vorgezogen, keine Vertreter in die Stadtratssitzung nach München zu schicken. Dort sei man ja durch die Verantwortlichen der Deutschen Bahn bestens vertreten, so hat die Stadt die Haltung der Berliner Behörde verstanden. Als sich Pfeiffer zum wiederholten Mal als machtloser Planer ohne jede Kompetenz hinstellte, konterte Reiter. "Ich habe das Gefühl, wir reden hier nur mit Baggerfahrern."

Von denen werden auch ein paar nötig sein, wenn die Arbeiten erst einmal beginnen. Die DB will an der Oberfläche bauen, weil das schneller und günstiger geht. Der Tunnel würde knapp 2,4 Milliarden Euro kosten und der Bau zwölf Jahre dauern. Die ebenerdige Variante käme auf 894 Millionen und wäre in sechs Jahren fertig. Die Stadt sagt aber, dass vier viel befahrenen Gleise an der Oberfläche für die Anwohner unerträglichen Lärm und für das in der Nähe geplante neue Stadtquartier eine nicht hinnehmbare Abtrennung vom Rest der Stadt bedeuten würden. Nun einigte man sich darauf, dass der Konzern den Tunnel weiter mitplant - und dass die Stadt die nötigen sechs Millionen Euro dafür bezahlt.

Nicht weniger emotional verlief die Konfrontation beim zweiten Großprojekt. Im Truderinger Gleisdreieck direkt im Anschluss an die diskutierte Ausbaustrecke soll der Zugverkehr neu geordnet werden. Die Bahn will eine bestehende eingleisige Verbindung oberirdisch auf zwei Gleise aufrüsten, das ist die sogenannte Truderinger Spange. Dazu sollen in zwei Schleifen, der Daglfinger und der Truderinger Kurve, die verschiedenen Trassen besser verknüpft werden. Anwohner fürchten eine massive Verschlechterung ihrer Lebensqualität durch deutlich mehr, längere und schnellere Güterzüge praktisch vor der Haustüre. Deshalb haben sie selbst zwei Varianten erarbeitet, in der die Spange gestrichen und der Rest der Gleise weiter von den Häusern abgerückt wird. Die DB hält die Trassen für möglich, hat sie geprüft - und bleibt bei ihrer eigenen Planung.

Das liege daran, dass die eine Variante der Bürger ein Biotop zerschneide, die andere wiederum nur Teilen der Anwohner eine Verbesserung, anderen aber eine Verschlechterung brächte. Und dass mittendrin die Kfz-Verwahrstelle der Münchner Polizei liege, die man dafür verlegen müsste. Das würde zehn Jahre dauern, sagte Projektleiterin Susanne Müller, und das sei für die Bahn nicht akzeptabel. An diesem k.o.-Argument lässt sich das "Misstrauen" festmachen, das Anwohner Peter Brück und seine Mitstreiter mittlerweile gegenüber dem Konzern empfinden. Denn ein Vertreter des Freistaats erklärte im Stadtrat nun, am Land Bayern als Eigentümer dieser Immobilie würden die Alternativen der Bürger nicht scheitern.

Auch bei den angesetzten Zugzahlen in beiden Projekten werfen Bürger und Stadträte der Bahn falsches Spiel vor. Die DB halte stur an den niedrigen, alten Prognosen fest, obwohl es deutlich aktuellere und höhere gebe, die sich auf die Bewertung ihrer Planung negativ auswirken würden. Und die Vertreter der Bahn? Verwiesen auf Berlin und die Gesetze dort, an die sie sich hielten. Trotz allen Ping-Pongs ging Anwohner Brück nicht frustriert aus der Sitzung. "Die Stadt hat sich eindeutig positioniert. Das war ein Schritt in die richtige Richtung", hofft er.

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SZ vom 08.10.2020
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