Süddeutsche Zeitung

Kommunalwahl in Neuhausen-Nymphenburg:Permanenter Straßenkampf

Lesezeit: 3 min

Der Tunnel an der Landshuter Allee und die neben der Paketposthalle geplanten Hochhäuser sind die herausragenden Projekte des Stadtbezirks. Im politischen Alltag lösen vor allem Verkehrsthemen immer wieder kontroverse Debatten aus

Von Sonja Niesmann

In die Tiefe und in die Höhe: Zwei Großprojekte werden in den kommenden Jahren den Blick der Münchner lenken auf diesen Stadtbezirk zwischen Schloss Nymphenburg, dem Leonrodplatz, wo das neue Strafjustizzentrum mit Deutschlands größtem Gerichtssaal entsteht und der Bahntrasse mit ihrem Neubautenband. In die Tiefe: Nach der Kommunalwahl 2014 hatten viele Stadtviertelpolitiker und vor allem Anwohner gehofft, dass sie in den folgenden sechs Jahren den Spatenstich erleben würden für den neuen Tunnel an der Landshuter Allee, per Stadtratsbeschluss priorisiert unter weiteren Tunnel-Vorhaben. Anfang 2020: noch immer kein Zeitpunkt in Sicht, zu dem die Bagger anrollen an diesem Teil des Mittleren Rings. Und je länger es sich zieht, desto stärker scheint die Zustimmung im Viertel zu bröckeln. Manche Neuhauser vergegenwärtigen sich allmählich mit Schrecken die zu erwartende jahrelange Mega-Baustelle mit ihren Staus, Straßensperrungen, dem Lärm, auch den immensen Kosten. Zuletzt hat sich bei zwei Bürgerversammlungen, 2018 und 2019, die Mehrheit gegen die knapp 1,5 Kilometer lange Röhre ausgesprochen; auch die "Initiative für Neuhausen", die durch einen attraktiven Grüngürtel über dem Tunnel den ersehnten Brückenschlag für das durch die breite Verkehrsschneise zerrissene Viertel erhoffte, schlägt nachdenkliche Töne an.

Mit der Kommunalwahl werden die Karten im Rathaus wie im Bezirksausschuss neu gemischt, Vorhaben vielleicht wieder auf den Prüfstand gestellt. Die Grünen waren, auf beiden Ebenen, von jeher überzeugte Tunnel-Gegner. Er verlagere den Verkehr nur, ziehe neuen an - für sie eine unzeitgemäße Mobilitätspolitik. Die SPD im Bezirksausschuss hat einen Pro-Tunnel-Beschluss, zu dem sie - noch - stehe, betont Fraktionssprecherin Anna Lena Mühlhäuser. Man werde das vom Baureferat für 2020 angekündigte Ergebnis der Untersuchung abwarten, wie der Tunnel nun realisiert werden soll, ob er möglicherweise aufwendig unter der Arnulfstraße hindurch bis auf die Donnersbergerbrücke verlängert wird. Dann werde man neu diskutieren, so Mühlhäuser, ob Aufwand und Ziel - die Wiedervereinigung des Viertels, die Reduzierung oberirdischen Verkehrs - im Verhältnis stünden. Ein Wackelkandidat, die SPD, argwöhnt CSU-Sprecher Leo Agerer. "Wir stehen glasklar zum Tunnel!"

Die Verkehrspolitik. Bei all den Schnittmengen zwischen den Parteien in diesem Gremium, das im Viertel fürs Viertel bis hinein ins Kleinklein rackert, bei allem, was gemeinsam gefordert, angestoßen, vorangebracht worden ist (der Taxispark, ein neues Alten- und Service-Zentrum, die Umgestaltungen am Platz der Freiheit und am Romanplatz, die Verschönerung von Fußgängerunterführungen, der Bücherschrank, um nur einige Beispiele zu nennen) - die Verkehrspolitik ist es, die immer wieder Gräben aufreißt. Vor allem in den vergangenen zwei, drei Jahren haben SPD und Grüne im steten Wechsel, fast im Stakkato, Anträge zur Verbesserung der Bedingungen für Radfahrer hinausgefeuert. Von 94 Anträgen der SPD insgesamt und 48 zum Verkehr waren es gut 40, von denen Radler und Fußgänger profitieren sollten, Mühlhäuser hat eigens noch einmal nachgezählt. Radstreifen auf Fahrbahnen, Radabstellplätze, Beschleunigung der Linienbusse, für die CSU darf das keinesfalls auf Kosten der Autofahrer und ihrer Parkplätze gehen, ohne dass sie sich deshalb das Etikett "Autofahrer-Partei" aufpappen lassen will. Und wenn schon oberirdisch Parkplätze wegfallen, müsste das durch neue Anwohner-Tiefgaragen kompensiert werden, fordert Agerer und nennt als Vorbild die 2006 eröffnete Hightech-Anlage an der Donnersbergerstraße.

Aufploppen könnte im neuen Bezirksausschuss auch die Idee, die "Furt" genannte Durchfahrt am Rotkreuzplatz für den Autoverkehr, mit Ausnahme der Linienbusse, zu sperren und das Herz des Viertels damit zu einem wirklich - fast - verkehrsfreien Treffpunkt für die Menschen zu machen. Erste Überlegungen dazu in der Stadtverwaltung sind dem Bezirksausschuss schon, durch ein Versehen, zur Kenntnis gelangt. "Das wird mit der CSU nicht zu machen sein", sagt Agerer. Glasklar.

In die Höhe: Die Pläne des Investors Ralf Büschl, neben der denkmalgeschützten Paketposthalle unterhalb der Friedenheimer Brücke zwei 155 Meter hohe Türme und damit die höchsten Häuser der Stadt plus niedrigere Wohnblöcke drumherum zu errichten, hat die Hochhaus-Diskussion in München neu angefacht - nach dem die Politik rechtlich nicht mehr bindenden Bürgerentscheid von 2004, keine Gebäude über 100 Meter zuzulassen.

Während aus vielen Ecken der Stadt lautstarke, vehemente Protestschreie ertönen, auch die Forderung nach einem neuen Bürgerentscheid, während der Stadtrat eine neue Expertise zu Hochhäusern bestellte, ist sich der Bezirksausschuss Neuhausen-Nymphenburg ziemlich einig über den Masterplan des renommierten Architekturbüros Herzog/de Meuron: Er begrüßt das Projekt, vor allem, weil er die Chance wittert, die Paketposthalle endlich, endlich in eine Kultureinrichtung umzumodeln; Pläne, dort einen Konzertsaal anzusiedeln, blieben ein Wunschtraum. Er will aber genau hinschauen, dass das Viertel auch kulturell profitiert, dass die Halle nicht nur eine Art Kongresszentrum wird. Und außerdem, ergänzt die Gremiumsvorsitzende Anna Hanusch (Grüne), müsse man den Investor auf sein Versprechen festnageln, dort über die Sobon, die Soziale Bodennutzung, hinauszugehen. "Da muss man ihm schon was abfordern", sagt Hanusch.

Und der Bebauungsplan für das Paketpostareal, merken Agerer und CSU-Listenführerin Gudrun Piesczek an, müsse unbedingt mit dem benachbarten Veranstaltungszentrum "Backstage" verzahnt werden, das seit Jahren mit seinen Neubauplänen arg zäh vorankommt und allmählich immer mehr in die Zange genommen wird von Neubauten drumherum.

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SZ vom 29.01.2020
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