Süddeutsche Zeitung

Warschauer Aufstand:"Jeder Bewohner ist zu töten"

Lesezeit: 3 min

Von Wolfgang Görl

Sechs Minuten dauert der Film, eine Computeranimation, die den Flug einer Militärmaschine über das verwüstete Warschau im Frühjahr 1945 simuliert. Klagende Musik erklingt, kein Wort, keine Erklärung. Braucht es auch nicht. Die Bilder sprechen für sich. Als Erstes gerät die Weichsel ins Blickfeld, der träge dahinfließende Strom. Fast friedlich sieht er aus. Aber nur für einen Moment.

Zerstörte Brücken sind zu sehen, Stahlträger im Wasser. Dann dreht das Flugzeug links ab, fliegt über die Stadt. Aber was heißt da Stadt? Da ist keine Stadt mehr. Warschau ist ausgelöscht. Vernichtet.

Die Bilder sind beklemmend - nein, erschütternd, furcht- und wuterregend. Von den Prachtbauten der ehedem glanzvollen polnischen Hauptstadt, die vielen Europäern als das "Paris des Nordens" galt, sind allenfalls ein paar zerklüftete Außenmauern geblieben. Weite städtische Areale gleichen einem einzigen Schutthaufen, und dann ist da ein Viertel, das aussieht, als wäre es von der Hand eines gigantischen Außerirdischen einfach hinweggefegt worden. Wo einmal Warschau war, ist nur noch eine Wüste aus Trümmern.

Auf Befehl Hitlers und des Reichsführers SS Heinrich Himmler haben die deutsche Wehrmacht sowie SS- und Polizeikräfte die polnische Metropole im Spätsommer 1944 in Schutt und Asche gelegt. Sie haben Zehntausende Aufständische und bis zu 150 000 Zivilisten getötet. Vor dem Zweiten Weltkrieg lebten in Warschau rund 1,3 Millionen Menschen. Am Ende des Krieges waren es nur noch 1000.

Was die Ausstellung bewirken soll

Der Film ist Teil der Sonderausstellung "Der Warschauer Aufstand 1944", die vom 29. Oktober bis 28. Februar nächsten Jahres im NS-Dokumentationszentrum zu sehen ist. Konzipiert hat die Ausstellung das "Museum des Warschauer Aufstands", das im Jahr 2004 in der polnischen Hauptstadt gegründet wurde. "Der Warschauer Aufstand", sagt Jan Oldakowski, der Direktor des Museums, "ist eines der wichtigsten Ereignisse in der polnischen Geschichte des 20. Jahrhundert".

In Deutschland weiß man allerdings wenig darüber - "viel zu wenig", bedauert Winfried Nerdinger, der Direktor des NS-Dokumentationszentrum, bei der Pressekonferenz am Mittwoch. Und er fügt hinzu: "Wer die furchtbaren Verbrechen, die von Deutschen begangen wurden, gesehen hat, wird anders auf Polen schauen." Das hofft auch Andrzej Osiak, der polnische Generalkonsul in München: "Ich bin davon überzeugt, dass durch die Darstellung des Warschauer Aufstands nicht nur die Geschichte von Warschau, sondern auch die polnische Geschichte verständlicher sein wird."

"Es ist verboten, Gefangene zu machen"

Die Besucher erwartet eine Dokumentation, die auf 200 Quadratmetern vorwiegend mit historischen Fotos, Texten und interaktiven Elementen die Entwicklung Warschaus von 1918 an zeigt, vor allem aber die deutsche Besetzung 1939, den anschließenden Terror, die systematische Ermordung der jüdischen Bürger, deren Aufstand im Warschauer Ghetto im Frühjahr 1943 blutig niedergeschlagen wurde, bis hin zu den Ereignissen im Sommer 1944. Damals stand die Rote Armee bereits vor den Toren der Stadt, was die Anführer des polnischen Untergrundstaates und der subversiv operierenden "Heimatarmee" veranlasste, den Aufstand gegen die deutschen Besatzer zu wagen.

Am 1. August starteten die polnischen Kämpfer den Angriff und eroberten Teile der Stadt. Auf Hilfe von der sowjetischen Truppen warteten sie jedoch vergebens: Stalin hielt die Rote Armee zurück, damit die deutschen Truppen ungehindert zuschlagen konnten. Warschau, so hatten Hitler und Himmler befohlen, muss "restlos zerstört" werden, "jeder Bewohner ist zu töten, es ist verboten, Gefangene zu machen".

Wehrmacht und SS hielten sich mit deutscher Gründlichkeit daran, ohne Gnade, ohne jegliche Rücksicht auf moralische Werte. Nach 63 Tagen waren die schlecht bewaffneten Aufständischen am Ende. In dieser Zeit hatten etwa 180 000 Polen ihr Leben verloren, rund 200 000 wurden in der Folge vertrieben oder deportiert, davon 60 000 in Konzentrationslager. Während die Rote Armee am anderen Ufer der Weichsel in Ruhe wartete, vollendeten die deutschen Truppen die totale Zerstörung der polnischen Hauptstadt.

Die überlebenden Hauptverantwortlichen der Massaker kamen nach dem Krieg glimpflich davon. Der SS-Offizier Heinz Reinefarth etwa, Kommandeur der Einheiten, die in wenigen Tagen 40 000 Zivilisten im Stadtteil Wola ermordeten, machte in der Bundesrepublik als Bürgermeister von Sylt Karriere. Angeklagt wurde er nie.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2712484
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 29.10.2015
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.