Süddeutsche Zeitung

Ärger um Immobilien:SOS-Kinderdorf: Mildtätigkeit auf Kosten der Mieter

Lesezeit: 3 min

Von Isabel Bernstein, München

Das Schreiben, das die Modernisierungsarbeiten in dem Mietshaus an der Sternstraße ankündigte, kam mit der Post. Und mit ihm der Hinweis, dass die Miete steigen werde. Inzwischen stehen bis zu 665 Euro im Raum, pro Monat und zusätzlich zur bisherigen Miete von 935 Euro.

Hinter der Forderung steht SOS-Kinderdorf, ein gemeinnütziger Verein, der weltweit Kindern in Not hilft. 2014 hatte er die Immobilie im Lehel vererbt bekommen. Von den fünf Mietparteien lebt heute nur noch eine im Haus, der Verein muss sich gegen Gentrifizierungsvorwürfe wehren. "Grundsätzlich lässt sich schon sagen, dass das SOS-Kinderdorf alles andere als ein sozialer Vermieter ist", teilt der Mieterverein München mit, der die letzten langjährigen Bewohner vertritt.

Der SOS-Kinderdorf-Verein steht nicht zum ersten Mal wegen seines Umgangs mit Mietern in der Kritik: An der Hans-Mielich-Straße in Untergiesing wehren sich Bewohner ebenfalls mit Anwälten gegen geplante Sanierungen und damit verbunden starken Mieterhöhungen. Auch sie werfen dem Verein vor, sie mittels Luxussanierungen vertreiben zu wollen. SOS-Kinderdorf bestreitet das. Man setze auf langjährige Mietbeziehungen, sieht sich aber auch in der Bredouille: Als gemeinnützige Organisation müsse man "ererbte Häuser so bewirtschaften, dass sie angemessene Einnahmen erbringen".

In einem Kündigungsschreiben, das eine frühere Mieterin einer Dachgeschosswohnung an der Sternstraße erhalten hat, hört sich das so an: Seine Mandantschaft werde "durch die Fortsetzung des Mietverhältnisses an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung ihres Grundbesitzes gehindert", heißt es in dem Brief des Anwaltsbüros Bonn&Friedl, das von SOS-Kinderdorf beauftragt wurde.

Im Folgenden wird genau vorgerechnet: Die 80 Quadratmeter große Wohnung solle saniert und mit dem angrenzenden Speicherabteil zusammengelegt werden. Anschließend könne sie für mindestens 1000 Euro pro Monat mehr, also 12 000 Euro jährlich, neu vermietet werden. Die Investitionskosten seien somit nach etwa dreieinhalb Jahren wieder hereingewirtschaftet.

Als die Mieterin die Kündigung erhielt, lebte sie bereits seit mehr als 20 Jahren an der Sternstraße. Entsprechend günstig war ihre Miete: Pro Quadratmeter zahlte sie nicht einmal acht Euro warm. Mieterhöhungen gab es keine, Renovierungsarbeiten aber auch nicht. Das betont auch der SOS-Kinderdorf-Verein: Seit Jahrzehnten sei an dem Haus nichts mehr gemacht worden, die Arbeiten daher dringend notwendig. Das Dach ist laut einem Gutachten undicht, der Keller feucht, die Holzfenster sind kaputt, auch gibt es statische Probleme und Risse in den Wänden. Wie aus einem Brief an den Verein hervorgeht, war die Hausgemeinschaft bereit, höhere Mieten zu akzeptieren, wenn diese Mängel beseitigt werden. Andere Pläne dagegen lehnte sie ab, etwa den Bau eines Außenlifts.

Über die Sanierungspläne war die Mieterin erst zweieinhalb Monate vor der Kündigung schriftlich informiert worden. Diese Arbeiten könnten "ohne eine Beendigung des bestehenden Mietverhältnisses nicht ausgebaut werden", hieß es in dem Schreiben, das die Immobilienfirma Grosdidier im Auftrag von SOS-Kinderdorf verschickt hatte. Dass die Mieterin die ausgebaute und sanierte Wohnung übernehmen kann, wurde ihr nicht angeboten.

Stattdessen wurde eine "Verwertungskündigung" in Aussicht gestellt, verbunden mit dem Angebot, "im Fall einer einvernehmlichen Beendigung des Mietverhältnisses" eine Abfindung zu zahlen. Falls es dazu nicht komme, müsse mit einer Modernisierungsumlage und einer 21-monatigen Bauzeit gerechnet werden. Im Übrigen werde die Miete in eineinhalb Monaten um 15 Prozent erhöht. "Man hat das Gefühl, man ist nicht mehr erwünscht", sagt die Betroffene.

Sie ist 2016 ausgezogen. SOS-Kinderdorf wirbt offensiv um Erbschaften und hat dafür sogar ein eigenes "Nachlass-Team" gegründet. In München erbte der Verein fünf Mietshäuser. Auf Nachfrage räumt der Verein "Defizite in der persönlichen Kommunikation" ein und verspricht: "Gerade im aufgeheizten Münchner Immobilienmarkt wollen wir sensibler mit den Ängsten und Sorgen unserer Mieter umgehen."

Im Fall der Hans-Mielich-Straße wolle man sich von Hausverwalter Grosdidier trennen. Dort war in einem Schreiben angekündigt worden, dass sämtliche Modernisierungskosten auf die Mieter umgelegt würden, wenn nicht alle Parteien den Modernisierungsplänen zustimmten.

Diese hätten für einzelne Bewohner zur Folge gehabt, dass durch den Neubau eines Außenaufzugs Fenster zugemauert oder Wohnung verkleinert worden wären. Das Bündnis Bezahlbares Wohnen warf dem SOS-Kinderdorf daraufhin vor, alle Bewohner in "Sippenhaft" nehmen zu wollen. Auch hatte es Kritik dafür gegeben, dass Grosdidier eine neu sanierte 131-Quadratmeter-Wohnung zunächst für 2830 Euro auf dem Mietmarkt feilbot und sich dann schrittweise von oben an den Preis von letztlich 2400 Euro herantastete.

Für dieses Vorgehen hat sich SOS-Kinderdorf bei den Mietern der Hans-Mielich-Straße in einem Brief entschuldigt. Darin kündigte der Verein an, künftig selbst Ansprechpartner für die Bewohner sein zu wollen. Für die Sternstraße prüfe man noch, ob man die Zusammenarbeit mit Grosdidier weiterführe. Die Zusammenarbeit mit Bonn&Friedl bleibt dagegen bestehen. Die Immobilienfirma Grosdidier selbst sieht sich zu Unrecht in der Kritik: Man habe "in keiner Weise versucht, Mieter zu vertreiben". Alle Schritte seien mit SOS-Kinderdorf abgestimmt worden.

Für die Sternstraße hat der Verein inzwischen angekündigt, der letztverbliebenen Mietpartei bei der Modernisierungsumlage entgegenkommen zu wollen. Auch sollen sich die Preise für die neuvermieteten Wohnungen am Mietspiegel orientieren. Und für die Zukunft arbeite die Organisation an einem Wertekodex, der für ihre Mietshäuser gelten soll. Darin steht in der ersten Fassung: Es sei dem Verein ein großes Anliegen, dass seine Werte auch im Umgang mit den Mietern deutlich werden.

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Quelle:
SZ vom 02.01.2018
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