Süddeutsche Zeitung

USA:Mit voller Fahrt gegen den Eisberg

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Die Gouverneurswahl in Virginia ging krachend verloren - ein Schlag für die Demokraten. Vor allem aber beschädigt das Ergebnis Joe Biden und seine Präsidentschaft.

Kommentar von Hubert Wetzel, Washington D.C.

Joe Biden war irgendwo über dem Nordatlantik auf dem Heimflug von Schottland nach Washington, als sich das Ergebnis der Gouverneurswahl in Virginia abzuzeichnen begann. Das passte insofern gut, als die Titanic damals ebenfalls in diesen kalten Gewässern unterwegs war, als sie den Eisberg rammte. Und Kapitän Joseph Robinette Biden Jr. ist am Dienstag gegen einen Eisberg gekracht, daran besteht kein Zweifel. Die Niederlage der Demokraten in Virginia hat ihn und seine Präsidentschaft schwer beschädigt.

Die Tragödie in Zahlen: Vor einem Jahr hat Biden in Virginia mit 54 zu 44 Prozent gegen Donald Trump gewonnen. Am Dienstag besiegte der Republikaner Glenn Youngkin den Demokraten Terry McAuliffe mit 51 zu 49 Prozent - ein Umschwung von zwölf Prozentpunkten. Irgendetwas ist in den vergangenen zwölf Monaten passiert, das die Wähler zu diesem Meinungswechsel getrieben hat. Und wenn die Demokraten das nicht schnellstens korrigieren, sieht es übel aus für die Kongresswahl im kommenden Jahr und die Präsidentenwahl 2024.

Warum die Strategie der Demokraten nicht aufging

Die Demokraten haben versucht, in Virginia die Wahl vom vergangenen November noch einmal zu inszenieren: Joe Biden gegen Donald Trump. Das war verständlich, denn sie haben diese Wahl gewonnen. Also haben sie Biden für Wahlkampfauftritte nach Virginia geholt und sich zugleich bemüht, Youngkin als eine Art Tarnkappen-Trumpisten darzustellen, der so tut, als sei er ein netter Vorstadtpapa mit roter Fleece-Weste, der in Wahrheit aber nicht besser sei als das orangefarbene Original.

Doch dieser Plan ist gescheitert. Zum einen, weil Youngkin eben kein Trumpist ist und die Wähler das sehen konnten. Zum anderen aber auch, weil Biden in den vergangenen Monaten deutlich an Strahlkraft verloren hat, so er diese denn je besaß.

Das Desaster in Afghanistan, die Migrantenströme an der Grenze zu Mexiko, die steigenden Benzinpreise, die hohe Inflation, der Anstieg der Morde und Gewaltverbrechen, die verdammte Corona-Pandemie, die immer noch nicht vorbei ist, die immer noch die Wirtschaft bremst und die Menschen irre macht - all das hat sich zu einer finsteren Wolke zusammengeballt, die über Biden hängt. Dass die Demokraten im Kongress in den vergangenen Wochen hauptsächlich damit beschäftigt waren, sich untereinander über ihre eigenen Gesetzespakete zu streiten, anstatt diese zu verabschieden, war auch nicht hilfreich.

Die Menschen wollten endlich Normalität, bekommen haben sie etwas ganz anderes

Die Amerikaner haben Biden im vergangenen November gewählt, weil sie sich nach vier Jahren Trump'schem Wahnsinn und einem Jahr Pandemie-Elend nach Normalität sehnten. Sie wollten endlich wieder ruhig und kompetent regiert werden. Doch statt Normalität haben sie bekommen: Delta-Welle, tote GIs in Kabul, Gezänk zwischen "Progressiven" und "Zentristen" in Washington, eine Demokratische Partei, die - so zumindest die Wahrnehmung - immer weiter nach links rückt, Kulturkämpfe ums Maskentragen, ums Impfen und darum, was man Fünftklässlern über die Sklaverei erzählen darf.

Biden trägt nicht für alle diese Probleme die Schuld. Im Gegenteil, ein guter Teil davon geht auf die Kappe der Republikaner. Würden sie sich zum Beispiel so eifrig impfen lassen, wie sie derzeit Frauen das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch zu nehmen versuchen, wäre die Delta-Welle weniger tödlich verlaufen. Aber das ändert nichts daran, dass Biden der Präsident ist. Er profitiert, wenn die Stimmung im Land gut ist, und er leidet, wenn sie schlecht ist. In Virginia war sie am Dienstag miserabel.

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