Süddeutsche Zeitung

Gewalt in den USA:Bis an die Zähne bewaffnet - und eine Lösung ist nicht in Sicht

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Da es in Amerika keine politische Mehrheit gibt, den Waffenbesitz einzuschränken, kann man realistisch betrachtet nur versuchen, den Zugang zu erschweren. Sogar manche Vorschläge der Waffenlobby erscheinen sinnvoll.

Kommentar von Hubert Wetzel

Von dem früheren israelischen Präsidenten Schimon Peres stammt die weise Erkenntnis, wonach ein Problem, zu dem es keine Lösung gibt, vielleicht gar kein Problem ist, sondern einfach eine Tatsache. Etwas, das man nicht beseitigen kann, sondern mit dem man umgehen muss, so gut es eben geht. Peres sprach über die Gewalt im Nahen Osten. Er hätte aber genauso gut über die Gewalt in den Vereinigten Staaten reden können.

Nun ist es nach gängigem Verständnis natürlich ein Problem, wenn in einem Land jedes Jahr 40 000 Menschen durch Schusswaffen sterben. Wenn diese Toten Kinder sind, Grundschüler, die in ihrem Klassenzimmer hingerichtet wurden, dann ist es sogar mehr - eine furchtbare Tragödie.

Probleme in der Praxis

Und natürlich ist es verständlich, dass dann nach Lösungen für dieses Problem gerufen wird, damit eine Tragödie wie die in Uvalde sich nicht wiederholt. Vorige Woche hat Präsident Joe Biden das in einer Rede getan. Er forderte den Kongress auf, die berüchtigten Sturmgewehre vom Typ AR-15 zu verbieten oder zumindest große Patronenmagazine. Es seien genug Kinder gestorben, sagte Biden, die Politik müsse endlich etwas tun.

Biden hat nicht unrecht. In der Theorie wäre es die beste Lösung für Amerikas Waffenproblem, jene Waffen, mit denen tausendfach gemordet wird, zu verbieten und zu beseitigen. In der Praxis ist das allerdings unmöglich. Nach der geltenden Auslegung der Verfassung hat jeder Amerikaner das Grundrecht, eine Schusswaffe zu besitzen. Eine politische Mehrheit dafür, dieses Recht nennenswert einzuschränken oder per Verfassungsänderung abzuschaffen, existiert nicht. Ganz abgesehen davon, dass in den USA bereits geschätzt 400 Millionen Schusswaffen im Umlauf sind, darunter 20 Millionen Sturmgewehre. Wie will man die je wieder einsammeln? Insofern ist das, was Biden als Lösung des Problems anbietet, allenfalls eine Scheinlösung - wünschenswert, aber illusorisch.

Bittere Lehre aus den Schießereien

Die bittere Lehre aus all den Schießereien, bei denen jeden Tag Amerikaner umgebracht werden, und aus all den ebenso heftigen wie ergebnislosen Debatten darüber, wie man dieses Töten und Sterben beenden kann, ist diese: Es gibt keine Lösung. Man kann nur versuchen, mit der Tatsache umzugehen, dass die USA ein gewalttätiges und zudem bis an die Zähne bewaffnetes Land sind.

Das heißt nicht, dass sich der Zugang zu Waffen nicht zumindest etwas erschweren ließe. Einige Maßnahmen, die Waffengegner fordern, sind durchaus sinnvoll: ein höheres Mindestalter für den Kauf von Sturmgewehren oder sogenannte Red-Flag-Gesetze, die es ermöglichen, gefährlichen Menschen die Waffen abzunehmen.

Doch vielleicht muss sich das Land auch die Vorschläge der Waffenlobby anschauen; nicht, weil diese sympathisch oder erstrebenswert wären, sondern weil die Alternative - nur zu streiten und nichts zu tun - ja auch kein einziges Leben rettet. Vielleicht ist es tatsächlich notwendig, an jeden Schuleingang eine bewaffnete Wache zu stellen oder einzelne Lehrer dafür auszubilden und auszurüsten, sich einem Attentäter in den Weg zu stellen. Auch das Argument, dass manch problematische Jugendliche früher erkannt und behandelt werden müssen, bevor sie gewalttätig werden, ist nicht falsch.

Das mag hilflos klingen - wie eine Kapitulation vor der Gewalt und denen, die den Tätern ihr Mordwerkzeug verkaufen. Aber wie viel hilft ein Präsident, der am Mikrofon steht und "genug, genug" sagt? Und wie hilflos ist ein Drittklässler, der in die Mündung einer AR-15 schaut?

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