Süddeutsche Zeitung

Flüchtlingskompromiss:Die Grenzen der Großzügigkeit

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Der Kompromiss des Bund-Länder-Treffens hilft Geflohenen aus der Ukraine und erleichtert deren Integration. Menschen aus anderen Weltregionen dagegen warten weiter vergeblich auf solche Hilfe.

Kommentar von Markus Balser

Vieles in Deutschland erinnert derzeit an die Lage im Herbst 2015. Wieder öffnen Menschen angesichts eines Kriegs ihre Türen für jene in Not. Wieder empfangen Freiwillige Geflohene an Bahngleisen. Nur ist das Ausmaß der Krise in Europa diesmal ungleich größer. Der Kontinent erlebt mit vier Millionen geflohenen Ukrainern die größte Massenflucht seit dem Zweiten Weltkrieg.

Die deutsche Politik will lieber keine Erinnerungen an 2015 aufkommen lassen. Zu spät hatte sie damals auf stark steigende Flüchtlingszahlen reagiert. "Wir haben gelernt" - so lautet die gemeinsame Botschaft von Bundeskanzler Olaf Scholz und den Länderchefs nach stundenlangen Beratungen im Kanzleramt. Der Kompromiss zur Verteilung der Flüchtlingskosten mache klar: "Wir machen es besser", sagte Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey in der Nacht nach dem Treffen.

Die Kosten für die Grundsicherung trägt der Bund

Tatsächlich bringt der Kompromiss den mindestens 320 000 geflohenen Ukrainern in Deutschland von Juni an unbürokratisch Vorteile. Technisch erhalten sie dann Hartz IV statt Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Praktisch bedeutet das nicht nur etwas mehr Geld und einen besseren Zugang zur Gesundheitsversorgung. Sie werden auch automatisch von den Jobcentern im Land betreut, haben leichteren Zugang zu Deutschkursen, Vermittlungsangeboten und Arbeitsmarktprogrammen. Die Chancen auf schnelle Integration steigen deutlich. Für Kommunen und Länder war das kein schwerer Handschlag. Denn die Kosten für die Grundsicherung trägt der Bund.

Dessen zusätzliche Milliarden sind gut angelegt. Unter menschlichen Gesichtspunkten ohnehin. Aber auch ökonomisch. Denn die vielen gut ausgebildeten Geflohenen aus der Ukraine könnten helfen, den massiven Personalmangel in vielen Branchen zu lindern. Gelingt es, die Hälfte der Geflohenen auf dem Arbeitsmarkt zu integrieren, dreht sich die Bilanz Forschern zufolge schon nach wenigen Jahren ins Positive. Dann würde der Staat auch finanziell von dieser Eingliederungshilfe profitieren. Zur Unsicherheit gehört natürlich, dass derzeit niemand weiß, wie lange der Krieg dauert und wann die Menschen wieder zurück in ihre Heimat können und wollen.

Ein echtes Umdenken in der Flüchtlingspolitik? Bisher nicht in Sicht

Doch Empathie und Großzügigkeit, auch das zeigt der Kompromiss, haben weiter Grenzen. Ein echtes Umdenken in der Flüchtlingspolitik ist noch immer weit entfernt. Zwar fliehen auch aus anderen Weltregionen Menschen vor Kriegen, vor russischen Bomben oder politischer Verfolgung nach Deutschland. Zuletzt stieg die Zahl der Asylanträge von Menschen aus Afghanistan oder Syrien wieder. Für sie ändert sich jedoch nichts. Es bleibt bei niedrigeren Leistungen und oft langen Wartezeiten auf Arbeit. Viele Geflüchtete werden über Jahre hinweg nicht als Asylbewerber anerkannt.

Auch die Fluchtrouten bleiben weiterhin höchst gefährlich. Im Mittelmeer sterben unvermindert Menschen auf ihren dramatischen Überfahrten. Und in Südosteuropa verfolgen viele Hauptstädte weiter das Ziel, Europas Grenzen zu schließen, koste es, was es wolle. "Wir sind ein Einwanderungsland. Und wir wollen endlich ein gutes Integrationsland werden", so hat es Bundesinnenministerin Nancy Faeser zum Start in ihr neues Amt versprochen. Von einer echten Wende in der Asyl- und Flüchtlingspolitik ist Deutschland auch nach diesem Kompromiss noch immer weit entfernt.

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