Süddeutsche Zeitung

Energiepolitik:Grüne Kamikaze

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Die Bundesregierung verlangt mehr Spielraum für Erdgas in den EU-Regeln für grüne Investitionen. In der Sache ist das pragmatisch. Doch die Grünen riskieren damit einiges.

Ein Kommentar von Michael Bauchmüller, Berlin

Deutschland hat Stellung bezogen zur grünen Taxonomie der EU, und rein inhaltlich ist nicht viel daran auszusetzen. In ihrem Brief an Brüssel stellt sich die Bundesregierung gegen den Kommissions-Plan, auch Atomenergie zu einer nachhaltigen Technologie zu stempeln, um ihr so den Zugang zu Finanzmitteln zu erleichtern. Und sie verlangt gleichzeitig, die Regeln bei Gas zu lockern. Denn tatsächlich sind die so rigide, dass sie Investitionen oder öffentliche Hilfen für Gaskraftwerke vereiteln könnten. Für die Energiewende aber wird es solche Kraftwerke brauchen.

Alles richtig also, aber am Makel der Taxonomie ändert das nichts: Strom aus Gaskraftwerken mag nachhaltiger sein als Kohlestrom, aber wird dadurch noch lange nicht per se nachhaltig. Ein Brennstoff, bei dessen Förderung große Mengen klimaschädliches Methan frei werden, und dessen Verbrennung die Atmosphäre mit Kohlendioxid belastet - so ein Brennstoff verdient ein grünes Label so wenig wie Atomstrom. Fossiles Gas und Kernkraft zusammen mit wahrhaft nachhaltigen Energien regeln zu wollen, das bleibt der Kardinalfehler dieser "grünen" Finanzregeln.

Die Bundesregierung, die derzeit jeden Hauch von Uneinigkeit scheut, ist pragmatisch damit umgegangen. Sie äußert ihre Meinung zum Taxonomie-Entwurf der Kommission, ohne auf den Kardinalfehler auch nur einzugehen. Doch auf die Füße fallen wird derlei Pragmatismus allein den Grünen. Die Causa könnte noch bitter beweisen, auf welche Kamikaze-Aktion sie sich im Klimaschutz eingelassen haben.

Klar, die Taxonomie hat diese Regierung von ihren Vorgängern geerbt. Auch für die absehbare Verfehlung der Klimaziele kann sie nichts, und der Umbau der Wirtschaft ist eine zähe Angelegenheit. Wenn aber die deutsche Klimabilanz mau bleibt, wird auch die Taxonomie zum Bumerang. Man wird der Bundesregierung vorwerfen, sie habe fossilen Energien sogar noch den roten Teppich ausgerollt. Schmerzen wird das keinen mehr als die Grünen.

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