Süddeutsche Zeitung

Sicherheitspolitik:Meine Rakete, deine Rakete

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China, Russland, Amerika: Viele Länder rüsten auf, um ihre Gegner einzuschüchtern. Es ist fast wie im Kalten Krieg, die Logik des Schreckens ist zurück. Aber in einem Punkt war die Welt früher weiter.

Kommentar von Stefan Kornelius

Zu den segensreichen Instrumenten der militärischen Kontrolle gehört der Bericht des Pentagon an den US-Kongress über die Stärke Chinas. Dieser Bericht ist öffentlich und deshalb mit Vorsicht zu genießen, weil er aus vielen Gründen unter- oder übertreiben dürfte. Aber er liefert einen kleinen Einblick in die verschlossene Welt des chinesischen Militärs und einen großen in die Welt der Militärstrategen.

Dank dieses Berichtes ist nun bekannt, dass China in zehn Jahren über eintausend Nuklearsprengköpfe verfügen könnte, legt man das derzeitige Wachstum des Arsenals von jetzt 350 Sprengköpfen zugrunde. Natürlich ist es aus einer reinen Vernichtungslogik egal, ob man ein paar Hundert Atomwaffen mehr auf Lager hat, wenn schon die USA mit 5550 oder Russland mit mehr als 6000 Sprengköpfen die Welt Dutzende Male pulverisieren können.

Aber darum geht es in der Logik der Militärstrategen nicht. Der nukleare Wettlauf zeigt in bestechender Schärfe, wie die Rüstungslogik aus dem Kalten Krieg und die althergebrachte Vorstellung von Abschreckung gerade ins 21. Jahrhundert überführt werden. Allerdings ist kein vergleichbares politisches Gerüst wie in Zeiten der Ost-West-Konfrontation, geschweige denn ein Wille zur Rüstungskontrolle zu entdecken.

Nur eine glaubwürdige Abschreckung führt einen Krieg ad absurdum

Übersetzung für alle, die den Kalten Krieg nur als Relikt aus dem vergangenen Jahrhundert kennen: Die Idee vom militärischen Gleichgewicht und von der abschreckenden Wirkung dieser Parität erlebt ihre Wiedergeburt. Du hast eine Überschallwaffe, ich habe eine Überschallwaffe - dann werden wir uns schon nichts antun. Diesen Wettlauf zum Gleichgewicht erlebt die Welt momentan überall - auch in allen Waffenkategorien: U-Boot, Flugabwehr, satellitengestützte Laser, Raketen aller Reichweiten, Drohnenarmeen für Luft, Land und Meer sowie natürlich die Digitalarsenale zur Beherrschung oder Zerstörung des Cyberspaces. Solange der Mensch Waffen zur Durchsetzung seiner Überlegenheit benutzt, wird er sie weiterentwickeln, genauso wie die Werkzeuge zu deren Abwehr.

Deutschland sollte nicht verzichten auf den nuklearen Schutz der Verbündeten

Abschreckung und das Gleichgewicht der Kräfte gehören prinzipiell zu den Guten im Kampf um militärische Dominanz. Nur durch eine glaubwürdige Abschreckung wird ein Krieg ad absurdum geführt. Deswegen wäre der einseitige Verzicht Deutschlands auf den nuklearen Schutz der Verbündeten - so wie ihn die Neukoalitionäre gerade diskutieren - ein gefährlicher Schritt hin zur Instabilität. Nächstes Beispiel: In einer der momentan gefährlichsten Konfliktregionen um Taiwan geht es um die Abwehr einer theoretischen militärischen Intervention Chinas. Hätte Taiwan nicht mehr die militärische Rückendeckung Washingtons, wäre ein Anschluss für Peking deutlich leichter zu erzwingen - am Ende gar ohne Militär.

Ihre Brisanz erhält die Wiederentdeckung der Parität und der Abschreckung aber durch die Abwesenheit ihrer Zwillingsschwester: der Rüstungskontrolle. Frühere Phasen der Hochrüstung und des technologischen Wettlaufs endeten immer dann, wenn Kontrolle, Vertrauensbildung und Abrüstungsverträge hinzukamen. Momentan aber wird weder in China noch in den USA oder in Russland kontrolliert, Vertrauen aufgebaut oder gar abgerüstet. Die großen und viele kleine Mächte greifen aus Angst oder Überlegenheitsbedürfnis zur Waffe. Sie sollten sich mit gleicher Entschlossenheit auch der Kontrolle ihrer Arsenale widmen.

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