Süddeutsche Zeitung

Lebenslange Haft für Ratko Mladić:Sein düsteres Werk lebt fort

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Das Urteil gegen Ratko Mladić bringt das Mindeste an Gerechtigkeit für die Angehörigen der Opfer. Ob es der Gesellschaft des gespaltenen Bosnien-Herzegowina zu innerem Frieden und Versöhnung verhilft, ist eine andere Frage.

Kommentar von Tobias Zick

Der Mann, den die einen "Schlächter vom Balkan" nennen und den die anderen als Volkshelden verehren, bleibt lebenslang hinter Gittern, das haben jetzt die Richter in Den Haag bestätigt. Das Massaker von Srebrenica, die Belagerung von Sarajevo: Ratko Mladić hat die schwersten Verbrechen in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg zu verantworten; das Urteil gegen ihn, auch wenn es ein Vierteljahrhundert nach den Taten kommt, bringt das Mindeste an Gerechtigkeit und Genugtuung für die Angehörigen der Opfer. Ob es der Gesellschaft des gespaltenen Bosnien-Herzegowina zu innerem Frieden und Versöhnung verhilft, ist eine andere Frage. Vielmehr darf man erwarten, dass jene nationalistischen Aufpeitscher, die bis heute in höchsten politischen Ämtern sitzen, den Richterspruch als weiteren vermeintlichen Beleg dafür vorführen werden, dass sich "der Westen" gegen ihre gesamte Volksgruppe verschworen habe.

Auch wenn Mladić im Gefängnis bleibt: Sein düsteres Werk lebt fort. Die bis heute festgeschriebene Teilung des Landes ist das Produkt jener ethnischen "Säuberungen", die er und seine Komplizen in den 1990er-Jahren betrieben haben. Das heutige Staatsgebilde Bosnien-Herzegowina gründet sich auf den seinerzeit per Dayton-Vertrag eingefrorenen Kriegszustand. Und so wie der Permafrostboden in Sibirien und in den Alpen unter dem Einfluss der Erderwärmung allmählich taut, so bleibt auch der Konflikt in Bosnien-Herzegowina nicht auf ewig eingefroren. Der politische Klimawandel der jüngsten Zeit lässt ihn antauen; Serbenführer Milorad Dodik spielt immer ungehemmter - mit Rückendeckung aus Moskau - mit dem Szenario einer Abspaltung der serbischen Teilrepublik, deren Territorium viele Städte und Dörfer umfasst, wo bis in die 1990er-Jahre bosnische Muslime lebten. Dodik leugnet den Genozid von Srebrenica, er verherrlicht die Täter von damals.

Dauerhafte Gerechtigkeit für die Menschen hieße, in einem Land leben zu können, das frei von Hassrhetorik ist

Solche vorgestrigen Nationalisten haben in der Region auch deswegen Zulauf, weil es den Menschen an alternativen Perspektiven mangelt. Ein Beitritt zur EU, besonders von vielen Jüngeren erhofft, ist in den vergangenen Jahren immer mehr in die Ferne gerückt, auch weil die EU verstärkt mit sich selbst und ihren inneren Sorgen beschäftigt war. Das "Versprechen von Thessaloniki", verfasst 2003 unter dem noch frischen Trauma der jugoslawischen Zerfallskriege, wonach "die Zukunft der Balkanstaaten" in der EU liege: verblasst und verstaubt.

Dabei ist die Tatsache, dass Mladić 2011 überhaupt aus Serbien, wo er seinerzeit öffentlich gefeiert wurde, nach Den Haag ausgeliefert wurde, letztlich der EU zu verdanken. Brüssel hatte es zur Bedingung für weitere Aufnahmegespräche gemacht, dass die Länder mit dem Tribunal kooperieren. Die Aussicht, nicht nur geografisch, sondern auch politisch zur Gemeinschaft des Kontinents zu gehören, strahlte heller und wärmer als das Flutlicht der Kriegsverherrlicher.

Dauerhafte Gerechtigkeit für die Menschen in Bosnien-Herzegowina hieße, in einem Land leben zu können, das frei von nationalistischer Hassrhetorik ist, dessen eigene Justiz verlässlich die Täter vor Gericht stellt; einem Land, das ihnen Perspektiven für sich und ihre Kinder bietet. Dies sicherzustellen, ist auch die Aufgabe der internationalen Gemeinschaft, allen voran der EU. Dass die ihre Relevanz und ihren Einfluss in der Region nicht unterschätzen sollte: Auch dafür liefert das Mladić-Urteil einen Beleg.

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