Süddeutsche Zeitung

Mode:Kleider machen heute

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Kapuzenpulli und Turnschuhe sind das, was die Leute gerade anziehen.Wer hat schon Anlass, sich zurechtzumachen? Man kann das für undramatisch halten. Aber eine Art Bedrohung ist es auch. Nicht nur für die Hersteller, die in Mailand und Paris ihre neuen Kollektionen zeigen

Von Silke Wichert

Immerhin die passende Garderobe gab es schon. So sehr einen die Pandemie in vieler Hinsicht kalt erwischte, so optimal war die Gesellschaft von der Modebranche auf diese Situation vorbereitet worden. Die Schnitte versprachen in den vergangenen Jahren immer mehr Bequemlichkeit, Kapuzenpullover waren das neue Jackett, Krawatten die Ausnahme, Turnschuhe die Regel. Fast sämtliche Konventionen und Regeln des angeblich guten Geschmacks wurden mit der Zeit über Bord geworfen, eigentlich galt nur noch: Alles darf, nichts muss. Rückblickend wirkt es fast so, als hätte die Gesellschaft zumindest modisch den Ernstfall geprobt, der dann dummerweise tatsächlich eintrat.

Plötzlich saßen alle zu Hause, das soziale Parkett verkleinerte sich auf Zoom-Ausschnitt-Größe, Anlässe, sich zurechtzumachen, erreichten eine historische, wie man heute sagen würde, Niedrig-Inzidenz. Dafür wurden all die bequemen Sachen im unergonomischen Home-Office nun dringend gebraucht, vor allem die Jogginghose natürlich. Zwischen Atemschutzmasken und allgemeiner Überforderung muss endgültig gar nichts mehr. Kein Make-up, kein Bügeln, keine Frisur, gibt ja jetzt wirklich Wichtigeres im Leben. Im schlimmsten Fall kann man im Online-Meeting immer behaupten, die Kamera funktioniere irgendwie nicht.

Ein Jahr schludert der Alltag nun vor sich hin

Und? Fühlt man sich mit diesem Lebensstil wirklich besser? Ziemlich genau ein Jahr schludert der Alltag vielerorts schon so vor sich hin. Ironischerweise brach Corona in Italien ja genau zur Mailänder Fashion Week aus. Am Montag ging die diesjährige, fast ausschließlich digitale Ausgabe zu Ende, jetzt laufen die Pariser Schauen. Die Branche hat schwer gelitten und hofft sehnsüchtig darauf, der Konsum möge sich überall so schnell erholen wie bereits jetzt in China. Aber was, falls viele Konsumenten inzwischen gemerkt haben, dass das Leben auch mit grenzenloser modischer Nichtentfaltung irgendwie weitergeht? Womöglich sogar stressfreier ist, weil es irre viel Zeit spart?

Dieses Jahr modischen Teilentzugs hat letztlich zweierlei gebracht. Einerseits die Erkenntnis: Ganz viel von all dem Zeug, das ständig gekauft wurde, braucht man nicht. Es stapelt sich ungenutzt in den Schränken, für die Umwelt ist eine weiter wachsende Textilindustrie ohnehin fatal, und das Gesparte lässt sich wunderbar in eine neue Sofalandschaft investieren.

Das Auftreten ist der erste Ton, den man bei einer Begegnung von sich gibt

Andererseits hat die Pandemie vielleicht überdeutlich gezeigt, wie sehr Mode auch eine Sprache ist, eine Ausdrucksform, die alle gebrauchen - ob sie wollen oder nicht. Angezogen wird sich schließlich immer, und das Auftreten ist gewissermaßen der erste Ton, den eine Person bei einer Begegnung von sich gibt. "Der Mode entkommt man nicht", sagte Karl Lagerfeld einmal sehr treffend. Auch demonstrative "Nichtmode", wie sie in Deutschland ohnehin gerne gepflegt wird, ist letztlich eine Haltung. Eine sehr narzisstische und ignorante obendrein, die sagt: Ich habe Wichtigeres im Kopf als die Frisur auf demselben. Momentan signalisiert das Auftreten vieler vor allem: Mir ist alles egal. Letztlich zeigt sich darin eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber sich selbst - und auch der Allgemeinheit; selbst wenn dieser gerade nur im Supermarkt begegnet wird. Jeder kann jetzt mal kurz an sich runterschauen und fragen: Ist das wirklich das Bild, das ich abgeben möchte?

Wer früher, man erinnere sich, diese Zeit, als noch gereist wurde, in Paris oder Mailand durch die Straßen lief, schwärmte oft davon, wie gut sich die Leute dort kleiden, wie viel Stil sie haben. Sie sprechen die Sprache der Mode oft sehr gut, weil sie ein Talent dafür haben, aber auch, weil sie traditionell gern damit spielen. Selbst wenn die eigenen Mittel begrenzt sind, kann es Spaß machen und ein Genuss sein, anderen bei dieser Ausdrucksform zuzusehen. Muss ja auch nicht jeder sofort selbst zum Malkasten greifen, der sich gern einen Velázquez anschaut.

Einerseits Mode ablehnen - andererseits das Sterben der kleinen Läden bejammern? Hm

Aber Sprache verkümmert, wenn man sie nicht gebraucht. Mit der Mode ist es genauso. Und auch eine Branche verkümmert, wenn sie nicht geschätzt und gefördert wird. Wer die vergangenen Monate ständig verkündete, er brauche den ganzen Quatsch nicht, und gleichzeitig das Sterben der kleinen Läden und die Verödung der Innenstädte bejammert: Das passt nicht ganz zusammen. Der Konsum muss, wenn wieder mehr soziales Leben möglich ist, mitnichten das Vorniveau erreichen. Die Kunden sollten tatsächlich bewusster kaufen - aber wenn sie sich auch ihres Auftretens wieder bewusster werden, wäre das gewiss nicht schlecht.

Prada zeigte bei den Mailänder Schauen gerade Blazer mit sehr hochgekrempelten Ärmeln, bis über die Ellenbogen! Die Models wirkten wie zutiefst entschlossene, moderne Trümmerfrauen. Der ganze Auftritt sagte: Auf geht's! Vielleicht ist es Zeit, auch mal wieder selbst mit anzupacken.

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