Süddeutsche Zeitung

Infektionskrankheiten:Hoffnung für die Welt

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Der neue Malaria-Impfstoff ist ein historischer Erfolg - und lenkt den Blick auf fast vergessene Probleme

Von Werner Bartens

Als "historisch" gilt mittlerweile viel. Der Pokalsieg des Drittligisten. Das Comeback einer Band. Und manches andere, nicht so Wichtige. Wenn der Chef der Weltgesundheitsorganisation anlässlich der erfolgreichen Erprobung eines Malaria-Impfstoffs aber von einem "historischen Moment" spricht, ist es ausnahmsweise berechtigt, das inflationäre Adjektiv zu benutzen. Endlich steht ein Vakzin gegen das "Wechselfieber" zur Verfügung, und das kann in seiner Bedeutung für die Gesundheit der Welt kaum überschätzt werden.

Malaria ist die tödlichste Infektionskrankheit überhaupt. 200 Millionen Menschen stecken sich jedes Jahr an, 400 000 sterben jährlich an der Krankheit, womöglich sogar bis zu einer Million. Mehr als 90 Prozent der Fälle ereignen sich in Afrika; Kinder erleiden besonders häufig tödliche Verläufe. Die WHO-Empfehlung, in Afrika die Jüngsten zu impfen, legt - besonders angesichts der hiesigen Debatte um die Corona-Impfung - offen, wie sehr der eurozentrische Blick während der Pandemie dominiert hat.

Erstens, und das ist seit Jahrzehnten zu beklagen, interessiert sich der reiche Norden kaum für die gefährlichste Infektionskrankheit der Welt, die fast nur den armen Süden befällt. Dass die Pharmaindustrie doppelt so viel für die Erforschung von Haarausfall und Erektionsstörungen ausgebe wie für den Kampf gegen Malaria oder Gelbfieber, hat Norbert Blüm schon vor 20 Jahren festgestellt. Medikamente und Impfungen gegen Malaria & Co. sind nicht lukrativ. Es hat die kräftige Finanzspritze des von hiesigen Impfskeptikern gerne verteufelten Bill Gates gebraucht, damit an 800 000 Kindern in Kenia, Malawi und Ghana die Impfung gegen Malaria getestet werden konnte.

Es liegt, zweitens, aber nicht nur an der "bösen" Industrie und dem Markt, dass die Behandlung von Tropenkrankheiten schleppend vorankommt. Für Menschen aus den industrialisierten Ländern geraten die Leiden im Süden allenfalls kurz in den Fokus, nämlich dann, wenn sie als Touristen dorthin wollen. Bezeichnend sind Reaktionen in den sozialen Netzwerken, wonach mit dem neuen Impfstoff endlich die Malaria-Prophylaxe beim Tropen-Trip entfallen könnte. Nehmen Reisende vorbeugend Medikamente zum Schutz vor Malaria, setzten sie sich - freiwillig - übrigens größeren gesundheitlichen Risiken aus als von den Corona-Impfstoffen erwiesenermaßen bekannt sind. Für Bewohner der endemisch betroffenen Gebiete geht es aber nicht um Urlaub, sondern um Leben oder Tod. Allein in Afrika sterben jährlich 260 000 Kinder an Malaria.

Dass die Impfung gegen Malaria so euphorisch begrüßt wird, zeigt, drittens, wie abgehoben die Diskussion über die Corona-Vakzine hierzulande teilweise ist. Während darum gerungen wird, ob die Wirksamkeit der Impfstoffe gegen Sars-CoV-2 bei 85, 9 oder 95 Prozent liegt, zeigen die Malaria-Studien, dass 30 Prozent weniger tödlicher Verläufe mit der Impfung zu erwarten sind. Die Impfung ist nicht so effektiv wie jene gegen Corona, trotzdem bedeuten die Zahlen, dass Zehntausende Kinder weniger sterben.

Diese Quote ist ein Grund zur Freude. Als erwünschte Nebenwirkung bringt es der Malaria-Impfstoff hoffentlich mit sich, dass sich der während der Pandemie so egozentrisch gewordene Blick weitet und wieder darauf geachtet wird, wo die Not besonders groß ist - und dass auch ein Fortschritt, der keineswegs perfekt ist, nicht schlecht geredet werden muss, sondern unendlich viel Leid lindern und als, genau: historisch gelten kann.

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