Süddeutsche Zeitung

Kohleausstieg:Nur ein Symbol verloren

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Das Dorf Lützerath, Ort und Hort des Widerstands gegen die Braunkohle, wird fallen. Die Klimabewegung schreit Verrat - statt ihren Sieg zu feiern.

Kommentar von Christian Wernicke

Die Antwort von der Abbruchkante kam prompt: "Wir sind wütend!", riefen am Dienstag die Aktivisten aus dem Weiler Lützerath in die Welt. Keine volle Stunde war da vergangen seit der Berliner Entscheidung, Deutschlands zentralen Ort allen Widerstands gegen Braunkohle und Klimazerstörung demnächst räumen, abreißen und abgraben zu lassen. "Lützi" stirbt, da sind Trauer und Zorn verständlich. Doch die Trotzreaktion im Schatten der Schaufelrad-Bagger ist nur ein Reflex ohne Reflektion. Denn eigentlich müsste die Klimabewegung jubeln: Sie mag mit Lützerath ein Symbol verlieren - aber sie hat gewonnen.

Es ist - nach der Rettung des Hambacher Forsts 2018 - bereits der zweite Sieg der Klima-Proteste im Rheinischen Revier. Zur Erinnerung: Vor mehr als zwei Jahren war der Protest eher zufällig in Lützerath angekommen. Ursprünglich wollten die Aktivisten ihre Baumhäuser und Zelte in einem jener fünf Dörfer aufschlagen, die nach bisherigen Planungen als Nächstes für den Tagebau hätten geopfert werden müssen. Genau diese fünf Dörfer (sowie obendrein drei jahrhundertealte Bauernhöfe) sind seit Dienstag nun gerettet. Um geschlagene acht Jahre wird der Kohleausstieg im Westen Deutschlands auf 2030 vorgezogen, geschätzte 280 Millionen Tonnen CO₂ bleiben deshalb unter der Erde. Und das geschieht in Zeiten, da die Angst vorm Blackout umgeht und die Bundesrepublik kurzfristig sogar mehr Strom aus Kohle braucht.

Nein, ohne das Protestcamp auf einer matschigen Wiese südlich von Mönchengladbach, ohne den Starrsinn von Lützeraths letztem Bauern, ohne den steten Bürgerprotest im Rheinischen Braunkohle-Revier hätten Mona Neubaur und Robert Habeck, die Klimaschutzminister in Land und Bund, dem Energiekonzern RWE diesen Kompromiss niemals abringen können. Und ja, das ist ein Verdienst auch jener Klimabewegung, die jetzt tobt. Wut macht blind - leider auch für den Blick auf den eigenen Erfolg.

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