Süddeutsche Zeitung

Parlamentswahl in Frankreich:Und freuen darf sich Le Pen

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Emmanuel Macrons Bündnis hat die absolute Mehrheit im Parlament verloren. Jetzt muss er es mit einer bürgerlichen Koalition versuchen - die den Radikalen Aufwind geben dürfte.

Kommentar von Stefan Kornelius

Frankreichs Präsident wird für seine zweite Amtszeit halbiert, die Wähler nehmen ihm das wichtigste Werkzeug seiner Macht - das Parlament und die absolute Regierungsmehrheit. Das ist ein Schlag für Emmanuel Macron, ein unerwarteter zudem. Die Parlamentswahl wurde zum Strafwerkzeug für den ungeliebten Mann an der Spitze. Nun beginnt er die zweite Periode gefesselt an eine schwankende Mehrheit, die jedes Mal neu beschafft werden will. Das konservative Lager wird sich die Duldung teuer bezahlen lassen.

20 Jahre lang war das französische System von seiner größten Dysfunktionalität verschont geblieben - der "Cohabitation". Auch diesmal gibt es technisch betrachtet dieses gespaltene Mehrheitssystem nicht. Prinzipiell ließe sich das Land auch mit einem Präsidenten und einem Premier aus opponierenden Lagern regieren. Dreimal hat das mehr schlecht als recht funktioniert.

Aber 2022 ist nicht 2002, der Extremismus hat in den vergangenen 20 Jahren vom Land Besitz ergriffen, die Rechtsextremen werden von nicht weniger radikalen Kräften von links gespiegelt: gegen Europa, gegen die Partnerschaft mit Deutschland, gegen die Nato. Die Franzosen wählen Dagegen-Parteien, sie haben keine Idee mehr, wofür sie eigentlich eintreten wollen. Nun muss das bürgerliche Lager notgedrungen zusammenstehen, um den Extremismus im Parlament abzuwehren.

Macron wird diese Kräfte mit der Autorität seines Amtes ein wenig bändigen können. Die Verfassung gibt ihm auch hinreichend Spielraum für außenpolitische Entscheidungen. Aber das ist ein lausiger Ausblick. Frankreich braucht ein Deradikalisierungsprogramm im Inneren, kein Putsch-Parlament und keinen Ersatzkönig im Élysée.

Die geduldeten Macronisten werden mit ihrem Versuch einer bürgerlichen Koalition - in Frankreich alles andere als üblich - die Radikalität in der Wählerschaft lediglich fördern. Die Linke mag also an diesem Sonntag ein bisschen triumphieren, freuen darf sich aber Marine Le Pen.

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