Süddeutsche Zeitung

Aktuelles Lexikon:Spitzenkandidatin

Sie steht normalerweise ganz oben auf der Wahlliste einer Partei. In der EU ist das mal wieder ein bisschen anders.

Von Jan Diesteldorf

In jüngerer Zeit hat kein deutscher Begriff in der EU eine solche Karriere gemacht wie jener des Spitzenkandidaten. Ob im Brüssel-typischen Euro-Englisch, auf Französisch oder Estnisch: Das Wort gehört zum allgemeinen Sprachgebrauch. Es bezeichnet das aus nationalen Wahlen bekannte Prinzip, wonach Parteien jemanden ernennen, der sich um ein Regierungsamt bewirbt. Mit den Europawahlen 2014 sollte das auch auf EU-Ebene zum Standard werden: Der Spitzenkandidat des Wahlsiegers würde Präsident der Europäischen Kommission. Das funktionierte schon 2019 nicht mehr, als die Staats- und Regierungschefs statt EVP-Chef Manfred Weber die deutsche Ex-Ministerin Ursula von der Leyen als Kommissionschefin aussuchten. In einem wenig begeisterten EU-Parlament erhielt sie daraufhin nur eine knappe Mehrheit. Jetzt ist sie zwar Spitzenkandidatin, aber sie kandidiert nicht fürs Parlament und wird Anfang Juni auf keiner Wahlliste stehen. Sieht nach Fake-Kandidatur aus und konterkariert die Idee, wäre anders aber auch merkwürdig. Denn ein Mandat im Parlament träte sie gar nicht erst an, womit ein Nachrücker zum Zuge käme. Und auch so muss von der Leyen erst einmal wiedergewählt werden - vom neu zusammengesetzten Parlament, nach einem Vorschlag des Europäischen Rats.

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