Süddeutsche Zeitung

Bundespräsidentenwahl:Ein Mahner gegen die irrationalen Versuchungen der Gegenwart

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Warum Frank-Walter Steinmeier die Chance hat, ein wirklich bedeutendes Staatsoberhaupt der deutschen Republik zu werden.

Von Joachim Käppner

Frank-Walter Steinmeier hat, wie erwartet, eine überwältigende Mehrheit in der Bundesversammlung erhalten, der Bundespräsident tritt nun seine zweite Amtszeit an. Ein Vergleich zu seinen Vorgängern lässt sich naturgemäß auf halber Strecke noch nicht wirklich ziehen. Deutschland hat meistens Glück gehabt mit seinen Bundespräsidenten. Sehr bedeutende von ihnen wie Gustav Heinemann von der SPD, der Christdemokrat Richard von Weizsäcker und der ostdeutsche Pastor Joachim Gauck erlebten während ihrer Amtszeit viel Kritik; was die deutsche Demokratie an ihnen wirklich gehabt hatte, wurde vielen Menschen erst nachher klar.

Steinmeier hat das Zeug dazu, in ihre Riege aufzusteigen. Wohl weniger als Mahner des Berliner Politikbetriebes, aus dem er kommt. Aber er hat, was viel wichtiger ist, sein großes Thema gefunden, und es ist sehr nah an dem, was das Verdienst der Genannten ausmacht: die Freiheit und die Gemeinsamkeit ihrer Verteidiger. Heinemann erinnerte an die deutschen Demokratiebewegungen als wahre Vorgänger der Republik, Weizsäcker nannte die Selbsttäuschungen im Umgang mit der Nazidiktatur beim Namen, Gauck warb für Einheit und Freiheit der Deutschen als Werte, die zusammengehören. Steinmeier führt diese Stränge oft zusammen: Gegen den Rechtspopulismus, die irrationalen Versuchungen der Gegenwart, die Autokratien setzt er eine starke, wehrhafte Demokratie, die sich ihrer selbst viel gewisser sein sollte, als es ihr oft gelingt.

Seine Reden in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem oder zur Weimarer Republik waren Glanzlichter, gaben Orientierung inmitten all der verworrenen und schrillen Debatten, die nach zwei Tagen vergessen sind, wenn die nächste Empörung durch Twitter fegt. In seinen hohen Zustimmungswerten schlägt sich das nieder. Wer die Demokratie angreife, sagte Steinmeier am Sonntag nach seiner Wiederwahl, "der wird mich als Gegner haben". Vielleicht wird man einmal über seine Präsidentschaft sagen: Er war eine Stimme der Vernunft in einer Zeit voller Unvernunft.

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