Süddeutsche Zeitung

Abgeordnete nach der Bundestagswahl:900 plus X

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Der Bundestag wird noch größer. Auch in den Debatten um das Wahlalter 16 und um den Frauenanteil im Parlament gibt es keine Fortschritte. Schuld daran sind Union und SPD.

Kommentar von Robert Roßmann

Wenn am 26. September die Wahllokale schließen, werden alle auf die Balken in den Prognosen schauen: Wird der rote diesmal tatsächlich größer als der schwarze? Und wo landen die anderen Parteien? Doch es empfiehlt sich, dann auch auf eine Zahl zu achten, die oft nur nebenbei Erwähnung findet: die Zahl der Abgeordneten. Denn wenn die Wahl so ausgeht, wie es einige Umfragen derzeit voraussagen, könnten dem nächsten Bundestag mehr als 900 Abgeordnete angehören. Nur zur Erinnerung: Derzeit sind es 709, und die Normgröße liegt sogar nur bei 598 Sitzen.

Dass derlei passieren kann, wissen alle Beteiligten seit Langem. Der damalige Bundestagspräsident Norbert Lammert hatte die Abgeordneten deshalb schon vor acht Jahren aufgefordert, das Wahlrecht zu ändern. Die Opposition präsentierte vernünftige Vorschläge. Doch die große Koalition hat erst ein halbes Jahrzehnt lang gar nichts getan - und sich dann auf eine praktisch wirkungslose Reform verständigt. Union und SPD hinterlassen viele Baustellen, das Wahlrecht ist eine der größten. Und eine, die dem Ansehen der parlamentarischen Demokratie schadet wie kaum eine andere.

Hunderte Abgeordnete mehr als vorgesehen, das sieht nicht nur nach Selbstbedienung aus, sondern ist auch eine. Parteien können Stimmen verlieren und trotzdem Sitze gewinnen. Wo gibt es derlei sonst? Und es geht ja nicht nur um die zusätzlichen Diäten. Jeder Abgeordnete darf auf Kosten der Steuerzahler mehrere Mitarbeiter beschäftigen, die Büros für alle gibt es kostenlos obendrauf. Dabei hat die Bundestagsverwaltung schon jetzt Probleme, genügend Räume zur Verfügung zu stellen. Die Abgeordneten beschäftigen bereits mehr als 5000 Mitarbeiter - knapp die Hälfte in den Wahlkreisbüros, die Mehrzahl aber in Berlin.

Der Aufwuchs im Bundestag ist aber nicht nur teuer, er gefährdet auch die Funktionsfähigkeit des Parlaments. Das zeigt ein Blick auf die Ausschüsse des Bundestags, in denen im kleinen Kreis effizient beraten werden soll. Im Wirtschaftsausschuss sitzen bereits jetzt fast 50 Abgeordnete. Wie will man konstruktiv arbeiten, wenn es noch mehr werden? Außerdem wären viele Sitzungssäle nicht mehr groß genug.

Union und SPD hatten versprochen, "dauerhaft zu reduzieren"

Union und SPD haben im vergangenen Jahr versprochen, die Größe des Bundestags "dauerhaft zu reduzieren", stattdessen wird er jetzt weiter wachsen. Selbst wenn sich die Verteilung der Erst- und Zweitstimmen gegenüber den Umfragen noch ändert und die Zahl der Überhang- und Ausgleichsmandate dadurch sinken sollte: Mehr als 800 Abgeordnete dürften es in jedem Fall werden.

Union und SPD sind aber auch bei allen anderen Wahlrechtsfragen gescheitert. Soll das Wahlalter auf 16 Jahre gesenkt werden? Soll die Legislaturperiode verlängert werden? Und wie kann der Frauenanteil im Parlament vergrößert werden? Derzeit liegt er nur bei 31 Prozent. Bei keinem dieser Punkte haben sich Union und SPD einigen können. Stattdessen haben sie sich vor einem Jahr auf eine Kommission verständigt, die Vorschläge präsentieren soll.

Eingesetzt hat die große Koalition diese Kommission dann aber erst acht Monate später. Deutlicher kann man kaum zeigen, wie egal einem diese Fragen sind. An diesem Dienstag tagt die Kommission zum letzten Mal vor der Bundestagswahl. Ergebnisse gibt es immer noch keine. Denn Union und SPD haben der Kommission Zeit bis Juni gegeben. Nicht Juni 2022, sondern Juni 2023.

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