Süddeutsche Zeitung

TV-Kritik: "Unser Song für Deutschland":Ein Lied kann eine Krücke sein

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Plattitüden aus dem Plattenschrank - wie Lena und Stefan Raab ein zweites Mal den Grand Prix gewinnen wollen.

Mirjam Hauck

Wundertüten sind kleine billige Tüten, die kleines billiges Plastikspielzeug enthalten. Als Dreingabe gibt es höchstens noch einen Lolli. So eine Wundertüte präsentierte Pro Sieben am Montagabend den Fernsehzuschauern. Bei Unser Song für Deutschland - das erste Halbfinale trug Lena Meyer-Landrut sechs Lieder vor. Ein weiteres Halbfinale mit sechs Songs folgt nächste Woche und irgendwann gibt es dann ein Siegerlied, mit dem Lena am 14. Mai beim Eurovision Song Contest in Düsseldorf ihren Titel verteidigen kann.

Was wurde im Vorfeld der Show nicht alles geunkt: Lena habe ihren Charme, ihre "Unbefangenheit verloren", zitierte der Spiegel ein internes Papier des ARD-Programmbeirats. Zudem würden sich die Karten ihrer Tour nur äußerst schleppend verkaufen, ein Autohersteller habe gar schon Tausende Tickets verschenkt. Sinkt der Stern von "Lovely Lena"?, fragte gar die britische BBC.

Stefan Raab, der selbsternannte Retter des Eurovision Song Contest und einzig legitime Nachfolger Ralph Siegels, will dies natürlich verhindern. Großmäulig verkündete er im vergangenen Jahr, dass es keine andere Möglichkeit gebe - moralisch wie ethisch -, dass die Siegerin bei der Europameisterschaft im eigenen Land den Titel verteidige.

Vortreffliche Banalitäten

Das Ergebnis des Halbfinales: Eine Show mit mehr Werbepausen als Liedern und Plattitüden aus dem Plattenschrank: Um die Sendezeit zwischen den Spots zu füllen, durften die Komponisten der Lieder (zwei Mal Stefan Raab) erzählen, dass sie beispielsweise nachts arbeiten und dass sie die Songs tatsächlich so lange produzieren, bis sie am Ende gut klingen.

Die Jury-Mitglieder, "Der Graf" von Unheilig und Stefanie Kloß, Sängerin von Silbermond, ergänzten die Banalitäten aufs Trefflichste, wenn sie ein "Lied mit Ecken und Kanten" gehört hatten oder gesehen haben wollten, dass "Lena sich neu entdeckt, aber nicht verstellt" habe.

Doch was hatten sie gehört und gesehen? Sechs Songs zwischen poppiger Mitklatschnummer und hollywoodreifer Ballade und sechs Outfits zwischen schlammfarbener Abendrobe und weißem Marlon-Brando-Unterhemdchen. Die One-Woman-Show rief aber allerspätestens beim vierten Lied deutliche Ermüdungserscheinungen hervor - als Lena ein Stück aus der Feder des Komponisten und Textdichters Stefan Raab vortrug, was dieser in den Pausen von TV-Total geschrieben hatte. Es klang wie die TV-Total-Pausenmusik plus ein paar "Da, da, da" für die Singstimme.

Lena mühte sich redlich, aber vielleicht lag es einfach auch an ihrer kaum vorhandenen Singstimme, dass die Lieder trotz der von der Jury so gepriesen stilistischen Vielfalt doch alle recht ähnlich klangen. Und ihre Originalität erschöpfte sich an diesem Abend in den Wörtern "absolutely" und "absolut", mit denen sie auf fast alle Fragen der Moderatoren Sabine Heinrich und Matthias Opdenhövel antwortete.

Ins Finale schafften es schließlich die Mitklatschnummer ( Maybe), die Elektronummer ( Taken by a stranger) und die Stefan-Raab-Lena-Kollaboration ( What happened to me). Die Zuschauer im Studio freuten sich, im besonderem Maße aber die anwesenden ARD-Radio-Chefs, die sich ob der gehörten Wundertüte, die so wunderbar zum Programm der hauseigenen Radiostationen passe, selber auf die Schulter klopften.

Da wünscht man sich fast die alten Ralph-Siegel-Zeiten zurück. Corinna May, Michelle oder Nicole dudelten wenigstens nicht auf dem Popradiosender.

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