Süddeutsche Zeitung

"Tatort" aus Kiel:Wacken mit Macken

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In seinem vorletzten Fall ermittelt Kommissar Borowski im Umfeld des Heavy-Metal-Festivals. Die Episode hat besondere Momente - das Niveau großer Kieler Episoden erreicht sie nicht.

Von Holger Gertz

Am Anfang flüstert eine Frau ihrem neugeborenen Kind: "Alles wird gut." Aber das stimmt ja nie.

Wobei: Kommissar Borowski (Axel Milberg) könnte es sich schon gutgehen lassen, diese Episode aus Kiel ist sein vorletzter Fall, nach zwanzig Jahren Dienst liegt Abschiedsstimmung über der Szenerie. Der Kommissar hat eigentlich Urlaub, und als er gefragt wird, wohin er am liebsten fahren würde, sagt er: "Ins Blaue. Das war ich nämlich noch nie." Bis es so weit ist, wird er noch mal an den Tatort gerufen, das Kind vom Anfang ist nämlich tot, und in diesem Härtefall braucht die Kollegin Mila Sahin (Almila Bagriacik) jede Unterstützung. Als Borowski auf der Bildfläche erscheint, gehen beide zusammen an die Arbeit und entdecken im Tragischen auch immer wieder Leichtes.

Borowski: "Kennst du das? Du siehst etwas, das ist fast perfekt. Trotzdem kannst du dich des Eindrucks nicht erwehren, es stimmt etwas nicht."

Sahin: "Beispiel?"

Borowski: "Ein Pokal. Eine Liebe. Eine Leberwurst."

"Borowski und das unschuldige Kind von Wacken" von Regisseurin Ayşe Polat (Buch: Agnes Pluch) spielt im berühmtesten Metal-Dorf der Welt, da wird die Mutter des Kindes vermutet, aber niemand kriegt auf die Ohren, weil das Festival selbst noch gar nicht angefangen hat. Wacköööön-Fans werden sich mehr Holy-Ground-Atmo erwartet haben, aber Wacken ist hier vor allem ein Verdächtigen-Tableau. Der Metal-Fan und Podcaster Lenny Jensen, Sohn der Dorfpolizistin, ist von vielen Verdächtigen der Hauptverdächtige, schon weil er aussieht wie ein Teufelsbruder. Und weil seine Höhle wirkt, als ob es darin schlecht röche.

War dieser Borowski nicht mal als Misanthrop angelegt?

Ein klassischer Whodunit: Borowski und Sahin fragen hier und klingeln da. War dieser Borowski nicht mal als Misanthrop angelegt? Das hat sich gegeben, er hat seine Mitte längst gefunden. Wobei seine allerstärkste Zeit auch schon wieder eine Dekade her ist. Die von Sascha Arango geschriebenen Folgen "Borowski und die Frau am Fenster", "Borowski und der stille Gast", "Borowski und der Engel" waren Highlights, gerade weil Arango seinen Borowski mit einem Whodunit niemals unterfordert hätte. Ihm ging es um Größeres. Was macht die Tat aus dem Täter? Was macht der Mord mit dem Mörder? Und die intellektuelle Kommissarfigur Borowski war der Richtige für die Suche nach der Antwort auf solche Fragen. Der Wacken-Borowski hat besondere Momente, schwingt sich in derartige Höhen allerdings nicht auf. Der Tragödie auch Leichtes abzugewinnen, ist eine Kunst - aber die Darstellung der anreisenden Metal-Fans ist albern, und die final aufflammende Schwermetaller-Begeisterung der Kommissare wirkt aufgesetzt.

Einen letzten Borowski wird es noch geben, sie drehen schon im Januar. Bevor er dann die Fahrt ins Blaue antritt - gern noch einmal eine einzigartige Geschichte mit einem einzigartigen TV-Kommissar.

ARD, Sonntag, 20.15 Uhr.

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