Tatort Kiel "Borowski und der Engel":Ermittlungen der Seele

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Kommissar Borowski (Axel Milberg) und Altenpflegerin Sabrina Dobisch (Lavinia Wilson) in einer Szene von "Borowski und der Engel". (Foto: dpa)

Das Ratespiel "Wer war denn wohl der Mörder?" ist in diesem Tatort längst beendet. Hier interessieren spannendere Fragen: Was macht der Mord mit dem Mörder? "Borowski und der Engel" ist eine grandiose Philosophie über Gut und Böse, über Schein und Sein.

Von Holger Gertz

Dieser letzte Tatort des Jahres ist zugleich einer der besten, was nicht überrascht, weil Sascha Arango das Buch geschrieben hat. Schon 2011 ("Borowski und die Frau am Fenster", mit Sibylle Canonica ) und 2012 ("Borowski und der stille Gast" mit Lars Eidinger) waren Bücher von Arango die Basis für herausragende Episoden.

Stichwort Figurenentwicklung: Arango hat verstanden, dass die Geschichte eines Kommissars und seiner Assistentin von Folge zu Folge weitererzählt werden sollte, wenn man dem Publikum die Gelegenheit geben will, den Ermittler wiederzuerkennen. Was mit Borowski geschieht, wenn er einem weniger fürsorglichen Autor in die Hände fällt, hat man im vergangenen Jahr gesehen, als er versuchte, den Mord an Barschel aufzuklären. Borowski war rau und beinahe laut, er wirkte auf einmal wie schlecht synchronisiert.

In "Borowski und der Engel" (Regie: Andreas Kleinert) weiß der Zuschauer mehr als der Ermittler, er betrachtet das Geschehen aus privilegierter Position. Arango hat das Sonntagabendratespiel "Wer war denn wohl der Mörder?" längst für beendet erklärt - ihn interessieren spannendere Fragen: Was macht der Mord mit dem Mörder, was macht die Tat aus dem Täter? Die Täterin (oder Unfallverursacherin) hat hier nicht nur einen Menschen auf dem Gewissen, sie versteht es, sich als Retterin und Heldin zu inszenieren. Die Täterin ist auch Lügnerin. Und dass die Medien (und nicht nur die Medien) ihr das gerne abkaufen, ist eine smartere und treffendere Medienkritik als neulich jene im Tatort aus München mit seinen Dreschflegelbotschaften.

Mit dem Tag der Tat tritt der Mörder seine Strafe an, heißt es ja. Arangos Tatorte sind interne Ermittlungen der Seele. Und weil das Publikum so viel weiß, kann es beobachten, wie behaglich sich die Lügnerin mit der Lüge einrichtet, oder wie die Lügnerin schwer zu atmen beginnt unter der Last der Lüge. Eine Frau, die eine Geschichte für sich geschaffen hat, verteidigt diese Geschichte und verstrickt sich immer tiefer in ihr; sie wird von der Handelnden zur Behandelten. Solange sie lügt, muss sie damit leben, dass niemand ihr glaubt - sogar wenn sie die Wahrheit sagt.

Eine grandiose Philosophie über Gut und Böse; über Schein und Sein mit Lavinia Wilson in der Hauptrolle, die einem lange in Erinnerung bleiben wird. Wenn die ARD die Tatort-DVDs nicht so lieblos und ohne erkennbare Struktur in die Läden brächte, sollte sie Arangos Borowskis als Box veröffentlichen. Als Anschauungsmaterial dafür, wie man das macht: Geschichten erzählen.

ARD, Sonntag, 20.15 Uhr.

© SZ vom 28.12.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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