Süddeutsche Zeitung

"Tatort" aus Köln:Jede Träne wert

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In "Abbruchkante" ermitteln Ballauf und Schenk in einem Geisterdorf am Rand des Tagebaus Garzweiler. Ein leiser, packender Film über Schuld und Rache.

Von Claudia Tieschky

In diesem Tatort aus Köln spielt ein riesiges Loch in der Landschaft die heimliche Hauptrolle. Solche enormen Halden vom Kohlebau in der Lausitz knallten schon früher sehr gut, zum Beispiel im RBB- Polizeiruf Abgrund, in der Serie Lauchhammer oder - ganz anderes Genre, viel früher - in Andreas Dresens fantastischem Kinofilm Gundermann. Jetzt erinnert sich der WDR wieder daran, dass es diese menschgemachte Wahnsinnskulisse auch im Westen gibt und schickt die Ermittler Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Schenk (Dietmar Bär) für einen leisen, packenden Film an den Rand des Tagebaus Garzweiler, zum zweiten Mal seit der Episode "Schürfwunden" von 2005. Ein so gut wie entleertes Dorf ist da an der Abbruchkante übriggeblieben, sollte unter den Bagger kommen, steht jetzt nach dem Kohle-Stopp verrammelt rum, bewohnt nur noch von Phantomschmerz und seltsamen Gestalten. Solchen, die trotz Drucks "des Konzerns" nie verkauft haben; und denen, die längst in "Neu-Bützenich" wohnen, aber immer noch nach den Häusern schauen, die ihnen nicht mehr gehören. Und in den verlassenen Straßen patrouilliert - schließlich muss alles seine Ordnung haben - der Geländewagen vom Sicherheitsdienst.

Mal wieder ein Tatort aus dem beliebten Fach der großen deutschen TV-Depression? Überhaupt nicht. Denn neben der Melancholie und der Wucht, menschlich wie landschaftlich, hat die Story Spannung und feinen Witz. Dieser Niemandsland- Tatort von Torsten C. Fischer nach dem Buch von Eva und Volker A. Zahn erzählt eine wilde Geschichte über Schuld, Immobilienspekulation und Rache - ganz ohne die Langeweile, die entsteht, wenn Menschen schnell eine mehr oder weniger absehbare Rolle in der Handlung bekommen.

Werden jetzt die vielen Oldtimer in deutschen "Tatorten" ersetzt?

Darum geht es: Ein altes Paar möchte sterben, aber es stirbt nur die Frau. Dann ist bald der Dorfarzt tot, der den Mann reanimieren konnte und sie nicht. Im schicken Haus des Doktors hängt seine schmuddelige junge Frau schon vormittags am Rotweinglas. Sagen wir so: Ein Werbespot für den Beruf des Hausarztes ist dieser Krimi in absolut keiner Hinsicht.

Der superschlaue Ballauf gerät in diesem Fall zwischendurch an seine ganz persönlichen Abbruchkante. Dafür reicht ein einziger tödlicher Satz der Pensionswirtin Karin Bongartz (gespielt von der wunderbaren Barbara Nüsse), die ein bisschen menschenfeindlich ist und ein bisschen kriminell und Ballauf in ihr Herz geschlossen hat, vielleicht so, wie einst den Herrn Pfarrer ("Er war jede Träne wert"). Ballauf sagt zu ihr also, volksnah: "Schon einsam hier." Sie, staubtrocken: "Und in Köln so?" Danach muss er viele, viele Kilometer nachdenklich zu Fuß gehen.

Gut, es hat auch damit zu tun, dass der Oldtimer von Schenk versagt, und das fühlt sich an wie ein sehr schlechtes Zeichen für all die demonstrativ individuellen Autos, die von Stuttgart bis Kiel so durch Tatorte kurven. Vermutlich werden sie bald eines nach dem anderen durch emissionsarme Fahrzeuge ersetzt.

Das Erste, Sonntag, 20.15 Uhr.

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