RBB-Polizeiruf 110:Schon wieder getrennt

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Vincent Ross (André Kaczmarczyk, links) macht sich Sorgen um Adam Raczek (Lucas Gregorowicz). (Foto: Christoph Assmann/rbb)

Mit einem fulminanten letzten Fall verabschiedet sich Lucas Gregorowicz vom "Polizeiruf 110".

Von Claudia Tieschky

In diesem Polizeiruf 110 ist die Gegenwart so brüchig wie das schlecht verdichtete Ufer am großen künstlichen See beim ehemaligen Braunkohle-Tagebau bei Fehlow. Ein Paradies für Surfer könnte da entstehen, wenn das Gutachten einer Geologin nicht wäre. Und wenn sich nicht bei den Ermittlungen nach dem Mord an ebendieser Geologin zeigen würde, dass die Seelen der Leute von Fehlow nicht gerade das Paradies schauen, sondern unterschiedliche Sorten von Finsternis.

Die Episode "Abgrund" von Stephan Rick (Buch: Peter Dommaschk und Ralf Leuther) ist aus vielen Gründen ein besonderer Sonntagskrimi. In der ungeheuer weiten Seenlandschaft mit einem Ufer karg wie vom Mond schreitet Ermittler Vincent Ross (André Kaczmarczyk) in seinem Pelzkragenmantel, als wäre das eine dieser Designer-Schauen an Orten, von denen alle dann Fotos auf Instagram posten. Andererseits ist Ross auch die pure, neugeborene Gegenwart mit seinem putzigen, immer anteilnehmenden Blick aus elegant geschminkten Augen, mit Sätzen wie "Wir müssen produktiv mit kognitiven Dissonanzen umgehen". Erst seit Januar sind der genderfluide Ross und der sehr traditionell männliche Ermittler Adam Raczek (Lucas Gregorowicz) ein Team im deutsch-polnischen Kommissariat Swiecko, aber was für eines. Der gebürtige Pole Raczek ist ein Kerl, der nach überstandener Panikattacke mit Atemnot erst mal zur Zigarette greift. Man glaubt den beiden Schauspielern eine Freude dabei anzumerken, wie sie ganz unterschiedliche Zustände von Zuneigung, Abwehr und Neugier austesten, mal mit Komik, mal mit allem Ernst und mit einer gewissen Ironie gegenüber dem Genre Fernsehkrimi. Wenn Vincent mit Khol und seinem etwas pompösen Pelzkragen am Tatort aufläuft, hebt Adam fragend die Augenbraue, und Vincent deutet das so: "Was glotzt du? Es ist Kunstpelz!"

In Fehlow sind noch mehr Menschen verschwunden, als die Ermittler zunächst denken. Bettina Sassnitz (Rosa Enskat, rechts) hat seit Langem nichts von ihrer Tochter gehört, die angeblich nach Berlin gezogen ist. (Foto: Christoph Assmann/rbb)

Damit ist jetzt leider, leider schon wieder Schluss, denn Gregorowicz verlässt mit dieser Episode den Polizeiruf nach sieben Jahren auf eigenen Wunsch. Er lässt Adam Raczek in seinem letzten Fall ganz leise aus dem Funktionieren herausfallen und sehr anrührend verstummen - an seiner eigenen Verschlossenheit, an der Vergeblichkeit seines Tuns, an Depression und Tabletten. In einer Szene mit bemerkenswert viel Raum für Stille zwischen den Sätzen fragt Adam seinen Chef: "Wie lange machen wir den Mist hier schon?" Lange, sagt der. Lange, wiederholt Adam. "Und? Hat sich irgendwas verändert?" Manchmal steht er nur noch da und schaut in den Himmel.

Für eine Weile findet Adam noch Halt bei einer Frau, die natürlich Ewa heißen muss. Ewa spricht Polnisch mit ihm, sie ist Bedienung im Gasthof von Fehlow, fortgegangen von zu Hause, weil sie alles Schlechte in ihrem Leben hinter sich lassen wollte, sagt sie. Aber das Schlechte sitzt auch in Fehlow, es schaut aus Teddy-Augen, es kommt aus dem vor Jahren aufgeschütteten Sand nach oben, es hockt in der Kirche beim Pfarrer und zeigt sich unerkannt in Super-8-Filmen von früher.

"Abgrund" handelt von böse gewordenen Menschen und von Menschen, die am Bösen leiden. Es ist ein zutiefst moralischer, also ein großer Film.

Das Erste, Sonntag, 20.15 Uhr.

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