Süddeutsche Zeitung

"Reeperbahn Spezialeinheit FD65":Das FBI von St. Pauli

Lesezeit: 3 min

Die ARD zeigt eine großartige Doku über die organisierte Kriminalität im Hamburger Rotlichtmilieu. Warum nur kann sie sich nicht entscheiden, ob sie Serie oder Film sein soll?

Von Aurelie von Blazekovic

"Im Grunde genommen ging es um die Verruchtheit", sagt der Staatsanwalt Rüdiger Bagger einmal in Reeperbahn Spezialeinheit FD65 und natürlich ist das so. Die Faszination der Reeperbahn lässt sich vollkommen ausreichend mit diesem Wort verrucht ausdrücken. Prostitution, Glücksspiel, Spelunken, Kriminelle, die Reeperbahn ist ein Geschenk für Filmemacher. Diese Bilder, diese Figuren - alles leuchtet, alles stinkt und alles scheint so fern vom deutschen Alltag überall sonst im Land, dass man hinschauen muss. Aber nichts wäre langweiliger, als sie zu verkitschen und zu verkulten.

Die ARD-Dokumentation Reeperbahn Spezialeinheit FD65 trifft da einen guten, weil zurückgenommen Ton. Sie nähert sich ihrem Gegenstand auch nicht aus der Davidwache oder den Bordellen heraus, die natürlich vorkommen, sondern aus einer Spezialeinheit der Polizei. In den frühen Achtzigerjahren begann die sogenannte Fachdirektion 65 (FD65), auf St. Pauli zu ermitteln. Nicht nur zu den Messerstechereien, Diebstählen und der "Förderung der Prostitution", wie Zuhälterei auf Polizeideutsch heißt. Die FD65 suchte nach Vorbild des FBI nach organisierter Kriminalität, nach dem großen Ganzen also. Ermittelt wurde auch zu hochrangigen Kollegen der Hamburger Polizei, die daran womöglich nicht ganz unbeteiligt waren. Und sogar zu Verbindungen der Kiezbosse zur Mafia in den USA.

Warum nur müssen Dokumentationen bei der ARD in letzter Zeit gleichzeitig Serien und Filme werden?

Die mehr als schillernden Bilder und Figuren, also: Der "Pate von St. Pauli", Wilfrid Schulz, in Polizei-Kreisen Teflon-Wilfrid genannt, war offiziell Gastwirt und Boxveranstalter. In seiner Villa sah es aus "wie Denver-Clan", berichtet sein damaliges Protegé Kalle Schwensen, ein Diskobetreiber mit Sonnenbrille, Schnauzer, und einem einmaligen fränkisch-hamburgischen Dialekt. Schwensen sieht seinerseits nach Miami Vice aus. Außerdem die rechte Hand von Wilfrid Schulz, Dakota-Uwe, der Mann fürs Grobe. Sein Sohn erzählt von den Café-Besuchen mit seiner Mutter, bei denen, wenig versteckt, auch immer ein Polizist die beiden beim Kakao-Trinken beschattete. Weniger Platz nehmen Prostituierte ein, Stella und Sunny, etwa, die von der Zusammenarbeit mit den Zuhältern wenig Glamouröses zu berichten haben. Außer dass einige der "Jungen" damals wirklich gut ausgesehen haben, braun gebrannt, weiße Zähne, blonde Lockenmähne.

Auf der anderen Seite stehen die Ermittler aus der Spezialeinheit, allen voran der Hamburger Kriminalist Wolfgang Sielaff, der die FD65 gründete. Die Doku reiht Archivbilder, Musik und die großartigen Protagonisten in eine stimmungsvolle Geschichte des Rotlichtmilieus der Achtzigerjahre. Von den akrobatischen Sex-Shows bis zur Ankunft von Aids und Kokain, der "weißen Dame", und den Gangs auf der Reeperbahn, ist das rein bildlich auf eher fiktionalem Niveau. Aber auch inhaltlich gäbe Ermittler Sielaff, wie er einmal im Hotel Atlantic der amerikanischen Mafia auf den Spuren ist, guten Kinostoff her. Und die Bilder der Reeperbahn mit ihren Leuchtreklamen in der Dämmerung ja sowieso.

Am besten ist die Doku, wenn ihre Bilder dem Gesagten auf subtile Weise widersprechen. Wenn etwa eine Kriminalbeamtin sagt, der Hass in den Augen der Demonstranten in der Zeit der Straßenschlachten habe ihr Angst gemacht - und man aber sieht, wie die Polizei vor den besetzten Häusern von St. Pauli Leute niederknüppelte. Für das Buch sind Ina Kessebohm, Georg Tschurtschenthaler, Florian Fettweis und Christian Beetz verantwortlich.

Einzig irritierend ist, wie die ARD in letzter Zeit Dokumentationen formatiert. Reeperbahn FD65 gibt es als 90-minütigen Film, und auch als fünfteilige Serie, mit 45 Minuten langen Episoden. Der Film ist fürs Fernsehen, und die insgesamt mehr als doppelt so lange Serie für die Mediathek. Es mag theoretisch Sinn ergeben, dieselbe Produktion für die Sehgewohnheiten auf unterschiedlichen Medien unterschiedlich zu verpacken. Nur der Geschichte tut das nicht unbedingt gut. Weder sollte eine Serie einfach nur ein sehr, sehr langer Film sein, der auseinander geschnippelt wurde, noch sollte ein Film eine Zusammenfassung einer als solchen konzipierten Serie sein. Man merkt erzählerisch am Ende beiden Versionen an, dass sie nicht Fisch, nicht Fleisch sein konnten.

Reeperbahn Spezialeinheit FD65 - Hamburgs Kampf gegen das organisierte Verbrechen, in der ARD-Mediathek

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5683744
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.