Süddeutsche Zeitung

Karola Wille im Porträt:Die Chefin

Lesezeit: 4 min

Seit Jahresbeginn ist die MDR-Intendantin und Juristin Karola Wille auch Vorsitzende der ARD - als erste Ostdeutsche überhaupt. Ein Thema für ihre Amtszeit hat sie schon gefunden.

Von Cornelius Pollmer

Das Image kann träge sein, das gilt für den Mitteldeutschen Rundfunk wie für seine Intendantin. Das ältliche Image des MDR hat Olli Dittrich gerade in eine Figur übersetzt, die des Außenreporters Sandro Zahlemann. In doof-heiterer Weltvergessenheit quatschte sich Zahlemann durch den Leipziger Bahnhof. Auf dem Rücken seiner Außenreporter-Jacke stand der Name eines bekannten Gebührensenders, variiert in der entscheidenden Kleinigkeit eines Buchstabens: ddr.

Das Image von Karola Wille wiederum bildete sich heraus in den Monaten vor und nach ihrer Wahl zur Intendantin im Oktober 2011. Wille war, verkürzt gesagt, die Frau aus dem Osten, die sich gegen einen Mann aus dem Westen durchsetzte - und damit gegen den Kandidaten des mitunter geheimbündisch wirkenden Verwaltungsrats des MDR. Das allein wäre schon eine schöne Davida-Geschichte gewesen. Aber Wille legte nach: Sie fand zügig in die selbst gewählte Rolle der Aufklärerin. Aufzuklären gab es beim durch Korruption arg korrodierten MDR eine Menge.

Bald 25 Jahre ist es her, dass Karola Wille auf einer Erika-Schreibmaschine ihre Bewerbung an den damals entstehenden MDR hackte: Schön, dass Sie nach Leipzig kommen! Ich bin Juristin und wäre gern dabei. Wille begann sogleich als Referentin, in einer ersten Amtshandlung kaufte sie das irre große Gelände des MDR in Leipzig, das heute über eine eigene S-Bahn-Haltestelle verfügt. 12 Hektar, 95 Ar. In der Alten Börse befindet sich nun ihr Arbeitsplatz als Intendantin. An diesem Montag hat Wille eingeladen, um das nächste Kapitel ihrer Davida-Geschichte zu beschreiben. Um dieses mal großspurig zu überschreiben: Zehn Jahre nach Merkel, bald vier nach Gauck, ist auch in der ARD die letzte Mauer gefallen. In Karola Wille steht ihr seit dem 1. Januar null Uhr eine Ostdeutsche vor, das erste Mal überhaupt.

Ihr Vorgänger hat ihr zwei Tipps gegeben: Nur im Team geht es. Und: Et kütt wie et kütt

Drei Leitgedanken für ihre vermutlich zweijährige Amtszeit präsentiert Wille am Montag. Deren erster und bedeutendster ist zugleich einer, dessen Relevanz sie biografisch begründen kann: Glaubwürdigkeit. Es sei gegenwärtig eine Polarisierung der Gesellschaft zu spüren, sagt Wille, eine Erosion von Wertegrundlagen sowie zunehmende Gewaltbereitschaft. "Es geht also um viel, es geht um die Stabilität der Gesellschaft", und die ARD werde nur mit Glaubwürdigkeit ihren Beitrag zu dieser leisten können. Dafür brauche es Transparenz im journalistischen und finanziellen Handeln sowie eine gescheite Fehlerkultur. Auch das formal leere Wort der Medienkompetenz führt Wille fragend im Mund: "Was wissen Menschen über Medien? Was wissen sie darüber, wie Medien funktionieren?" Vermutlich zu wenig.

Was es bedeutet, wenn Glaubwürdigkeit verloren geht und das Verständnis journalistischer Arbeit neblig bleibt, das kann Wille in ihrem Sendegebiet am besten beobachten. Immerhin ist Sachsen die moderne Heimat des "Lügenpresse"-Zweifels. Dieser Ruf meint hier im Grunde immer auch den MDR und die ARD. Präziser wäre natürlich ein Anwurf gegen die Lügen-Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland. Aber das schreit sich nicht so gut.

Für Karola Wille, 56, geboren in Karl-Marx-Stadt, spielt das Thema jedenfalls schon länger eine Rolle. Vor ihrer Wahl zur Intendantin wurde ihre Vergangenheit heftig diskutiert. Differenziert lässt sich diese so zusammenfassen: Ja, Wille trat in jungen Jahren der SED bei. Viel mehr? Nicht.

Im Osten, sagt sie, sei das Interesse an differenzierten, objektiven, unabhängigen Darstellungen besonders groß, weil die Menschen ein anderes Mediensystem kennengelernt hätten, nämlich jenes in der DDR. Damals waren die Medien Werkzeuge der Herrschenden, für viele "Lügenpresse"-Rufer sind sie es längst wieder.

Beim MDR wird gerade ein Nutzermonitor aufgelegt, um Glaubwürdigkeit ständig messbar zu machen. Mit Blick auf die ARD wünscht sich Wille unter anderem, "dass der Osten Deutschlands nicht auf einzelne Themen reduziert wird, auf Kriminalität oder Entwicklungen am rechten politischen Rand. Ich wünsche mir da mehr Vielfalt und mehr Interesse am Osten, dass man sieht, was auch dazu gehört: tolle Städte, tolle Regionen, tolle Natur".

Diesen Satz sagt die Intendantin ein paar Tage zuvor in ihrem Büro, sie wiederholt ihn so ähnlich am Montag. Und sie betont dabei: das auch. Schon in dieser Betonung ist die Vorsicht zu erkennen, mit der Karola Wille all ihre öffentlichen Auftritte bestreitet. Diese Vorsicht kann man ihr als Klugheit auslegen, wahlweise und doch weniger als Ängstlichkeit. Nicht bestreiten lässt sich, dass diese Vorsicht ihr bislang ein guter Ratgeber gewesen ist. Es gibt im öffentlich-rechtlichen Gebührenverbund Leute, die sich in jede zweite Panel-Show drängeln und dort erzählen, dass sie gerne Motorrad fahren. Und es gibt Menschen wie Karola Wille, die in Zurückhaltung auch eine Fertigkeit sehen. Das führt bei manchen zu Misstrauen, bei anderen nur zu Missverständnissen - das vielleicht schönste gelang mal einem Mann der ARD. Er fragte Wille: Wann sind Sie eigentlich in den Osten gegangen? "Da war ich überrascht, das ist bestimmt zehn Jahre her, aber da schließt sich schon die Frage an, was es für ein Ostbild im Westen gibt."

Das Thema Glaubwürdigkeit wird Willes Zeit als ARD-Vorsitzende vermutlich prägen. Das lässt die nachrichtliche Gegenwart vermuten - und die Leitgedanken II und III. Mit der Startnummer II geht der Medienwandel ins Rennen und mit ihm die Frage, wie viele Punkte man mit Phoenix und dem Kika gegen einen Überall-Anbieter wie Netflix machen kann. Was die tendenziell jungen Menschen betrifft, liegt Willes Hoffnung auf dem Start des Online-Angebots von ARD und ZDF im Herbst. Startnummer III schließlich trägt Willes fast satirisch anmutender Wunsch, in der ARD "Rahmenbedingungen für Innovation und Kreativität" zu schaffen.

Spätestens da sollte man sich noch einmal in Erinnerung rufen, was das eigentlich ist, der ARD-Vorsitz. Wille ist nun die Oberste einer nicht-rechtsfähigen öffentlich-rechtlichen Undsoweiter. Sie ist damit Klassensprecherin, Moderatorin, wenn es schlecht läuft: Frühstücksdirektorin. Lutz Marmor, der Vorgänger vom NDR, habe ihr zwei wertvolle Tipps mit auf den Weg gegeben, sagt Wille. Der erste: Nur im Team geht es. Der zweite: Et kütt wie et kütt. Es handelt sich hierbei um das zweite rheinische Grundgesetz und es bedeutet so viel wie: Deine Macht ist begrenzt.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2812813
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 12.01.2016
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.