Süddeutsche Zeitung

Italien:Ausspioniert mit einem klaren Ziel

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Sizilianische Staatsanwälte haben Journalisten abgehört und beschattet, um belastende Indizien gegen private Seenotretter zu finden. Ein Verstoß gegen die Pressefreiheit?

Von Oliver Meiler, Rom

Im Gericht von Trapani auf Sizilien liegt eine dicke Akte mit Protokollen abgehörter Gespräche, wie man sie vielleicht in einem autokratischen Regime erwarten würde. Aber nicht in einer Demokratie wie Italien. Die Akte gibt gerade Gesprächsstoff her.

Die kleine Zeitung Domani hat herausgefunden, dass die Staatsanwaltschaft von Trapani bei ihren Ermittlungen gegen private Seenotretter im zentralen Mittelmeer monatelang Journalisten ausspionierte, die über Libyen, Migration und NGOs berichteten. Sie legten auch Karteikarten über die Reporter an. Darin waren Kontakte und Reisedaten festgehalten, auch private Dinge waren aufgeführt, obschon die Journalisten nur ihrer Arbeit nachgingen, recherchierten und mit Quellen redeten. Gegen keine und keinen von ihnen wird strafrechtlich ermittelt, es gab also auch keinen gültigen Grund für die Beschattung.

Hunderte Seiten kamen so zusammen. Betroffen sind Journalisten der Zeitungen Il Fatto Quotidiano, Il Giornale und Avvenire, vom Nachrichtenmagazin L'Espresso sowie vom Fernsehsender Rai Tre und von Radio Radicale. Von der Freelancerin Nancy Porsia allein, einer Enthüllungsjournalistin und Expertin des Nahen Ostens, die mit einem Libyer verheiratet ist, gibt es eine Akte mit 15 Seiten. Auch Gespräche mit ihrer Anwältin wurden abgehört.

Pressefreiheit, Quellenschutz, Berufsgeheimnis - es geht um alles

Das sei alles "sehr bedenklich und gravierend", findet der Verband der italienischen Presse. "Ich hoffe ja nicht, dass die Operation dazu diente, die Quellen dieser Kollegen aufzudecken", sagte Raffaele Lo Russo, Generalsekretär des Verbands. Es geht in dieser Geschichte um große Prinzipien: Pressefreiheit, Quellenschutz, Berufsgeheimnis. Und es geht auch nicht zu knapp um Politik und Propaganda.

Ziel der Fahnder war es, belastende Indizien gegen die NGOs zu finden. Und diese Indizien sollten ihre vage Vermutung bestätigen, dass etwa die Hilfsorganisationen Jugend Rettet, Save the Children und Médecins sans Frontières 2016 und 2017 mit libyschen Schleppern zusammenarbeitet hätten, um Migranten, die davor in libyschen Lagern festgehalten worden waren, eine sichere Überfahrt nach Europa zu ermöglichen. An Bord ihrer Schiffe, etwa der Iuventa und der Vos Hestia.

Der Verdacht ist nicht nur strafrechtlich relevant, sondern auch politisch. In jenen Jahren der großen Migrationsströme setzte sich in gewissen Kreisen die These durch, dass die Lebensretter im Grunde "Vizeschlepper" seien, "Taxis im Mittelmeer", und dass ihre Präsenz vor den Küsten Libyens nicht nur wie ein Pull-Faktor wirke, also wie ein Magnet für ablegende Behelfsbarken. Sondern dass die NGOs ganz gezielt mit den Banden arbeiteten. Gefüttert wurde die These von der rechten Lega von Matteo Salvini, der sich später als Innenminister, von 2018 bis 2019, fast täglich an den Helfern rieb, sie blockierte und beschimpfte.

Italiens Umgang mit den Seenotrettern hatte sich allerdings bereits unter Salvinis Amtsvorgänger, dem Sozialdemokraten Marco Minniti, radikal verändert. Und zwar verhärtet. Minniti war kein Populist. Sein kontroverser Deal mit Libyen und der libyschen Küstenwache aber läutete die Kriminalisierung der NGOs ein. Sie hält bis heute an.

Mit allen Mitteln gegen die NGOs - auch mit unfairen

Wahrscheinlich bewegte diese neue Gangart in Rom, die ja auch ständig befeuert wurde durch Propaganda von höchster Stelle, manche sizilianische Staatsanwälte dazu, mit aller Macht und allen Mitteln Beweise heranzuschleppen, um die These zu untermauern. Auch mit unfairen. Minniti, berichtet Domani, soll eine Sondereinheit der Kriminalpolizei mit den Ermittlungen beauftragt haben. Eingesetzt wurden auch ehemalige Polizisten, die undercover an Bord der Rettungsschiffe arbeiteten. Wer hat die wohl geschickt? Drei von ihnen sollen der Lega und den postfaschistischen Fratelli d'Italia nahestehen.

Und dennoch: Von den vielen Ermittlungen, die es in dieser Frage schon gegeben hat, sind bisher alle irgendwann eingestellt worden, ohne dass es einen Prozess gegeben hätte. Nie gab es Beweise für die dunkle These. Im Fall der Iuventa und der drei NGOs, so erfuhr man erst vor einigen Monaten, soll es nun aber bald zu einem Strafverfahren kommen, in Trapani. Einundzwanzig Personen sind angeklagt. Vorgeworfen wird ihnen Beihilfe zur illegalen Einwanderung, darauf stehen hohe Gefängnisstrafen.

In diesem Dossier also, der Verhandlungsakte Iuventa, liegen die Informationen über die Journalisten. La Repubblica sprach mit dem Oberstaatsanwalt von Trapani, Maurizio Agnello, und der versicherte, dass die Protokolle aus den abgehörten Telefonaten nicht verwendet würden im Prozess, er kenne deren Inhalt nicht einmal: "Ich wurde nach Trapani versetzt, da lag die Abhöraktion schon zwei Jahre zurück", sagte Agnello. Doch er sei nun mal verpflichtet, alle gesammelten Akten im Gericht zu hinterlegen. Italiens Justizministerium leitet nun eine Untersuchung ein - und zwar zu den Ermittlungsmethoden der staatlichen Fahnder in Trapani.

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