Süddeutsche Zeitung

Fußballheft von 1. FC Union Berlin:Gehämmer

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Nur für Fans? Über das neue Fußballmagazin "Eisern" und seine heilende Wirkung in fußballlosen Zeiten.

Von Harald Hordych

Der Designer Mike Meiré ist unter anderem Art Director des Wirtschaftsmagazins Brand 1. Einen Aufsatz über Design hat er mal so eröffnet: "Das Ziel guter Gestaltung ist es, eine kulturelle Identität zu schaffen." Besser kann man die Aufgabe, die er bei der Gestaltung der Erstausgabe des Magazins Eisern des Fußball-Bundesligisten 1. FC Union Berlin vorfand, kaum beschreiben.

Kulturelle Identität zu befeuern ist die zentrale Aufgabe eines jeden Fanzines, erst recht, wenn es um das Heft eines Vereins geht, der so sehr die emotionale Tiefenverschweißung mit seinen Fans betont. Das erklärt womöglich auch, warum das 82 Seiten umfassende und 4,50 Euro teure Heft im Berliner Verlag erscheint, der neuerdings Holger und Silke Friedrich gehört und die Berliner Zeitung herausgibt. Holger Friedrich ist Union-Anhänger. Was angesichts seiner Vergangenheit als Stasi-Spitzel schräg wirkt. Der Verein kennt sich jedoch mit Widersprüchen aus: 2011 war bekannt geworden, dass Vereinspräsident Dirk Zingler drei Jahre in einem Wachregiment Dienst getan hat, das dem DDR-Ministerium für Staatssicherheit unterstellt war.

Der 1. FC Union, der lange SC Union Oberschöneweide hieß, stand jedenfalls immer für einen nicht von Funktionären geförderten DDR-Fußball aus einem Schwerindustriegebiet und fiel mit Fangesängen auf, die klarmachten: Hier verweigert man sich dem Anpassungsdruck des Regimes ("Lieber ein Verlierer sein als ein dummes Stasischwein"). Der Berliner Antipode war der von der Stasi massiv geförderte Serienmeister BFC Dynamo. "Die Eisernen" nennen sich die Union-Leute.

Ein Magazin, das Eisern heißt und im Untertitel dem Käufer pathetisch zuruft: "Und niemals vergessen Eisern Union", wird logischerweise in erster Linie für sich selbst und seine Fans gemacht. Die Vereinsfarben Rot und Weiß dominieren, die Seiten sind vollgestopft mit Textmasse, als ob es kein Seitenende geben darf, weil so viel zu erzählen ist. Zitate werden, als ob ein Hammer immer wieder auf einen Amboss fällt, mehrmals als Überschrift wiederholt.

Das Hauptthema ist der 100. Geburtstag des geliebten Stadions "Alte Försterei" und die rührende Geschichte der Errichtung der neuen Haupttribüne unter Mithilfe zahlreicher Fans, dazu ein großes Interview mit dem Initiator. "Interview" heißt bei Union "Eisern antworten". "Eisern lesen" heißen die Buchtipps und "Eisern schwärmen" die Fan-Porträts, in denen immer die Worte "Liebe" und "Gänsehaut" auf die Leserschaft einhämmern. Das Heft ist Kieznabelschau und Geschichtskaleidoskop, es erzählt viel und gut, selbst einem Leser, der Bayern-Fan ist. Eisern ist in den Zeiten des Fußballmangels wie eine Transfusionsspritze für Menschen, die sich nach dem Adrenalinausstoß sehnen, den der Anstoßpfiff jedes Fußballspiels auslöst. Es bietet einen Einblick in eine Welt, die sympathisch verschroben und dabei auf krude wie liebenswerte Weise selbstbewusst ist. Dafür lohnt Ausgabe eins. Nur: Wovon kann Heft zwei nun noch erzählen, außer dass Adidas neuer Sponsor wird?

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SZ vom 14.04.2020
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