Süddeutsche Zeitung

Frankreichs Öffentlich-Rechtliche:Von Macrons Gnaden

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Frankreichs Präsident will die Rundfunkabgabe abschaffen, das Geld soll direkt vom Staat kommen. Die Sender fürchten um ihre Unabhängigkeit.

Von Thomas Kirchner

Es war Anfang März, bei einem seiner wenigen öffentlichen Auftritte vor der Präsidentschaftswahl, als Frankreichs Präsident Emmanuel Macron seinen Plan zur Abschaffung des Rundfunkbeitrags verkündete. Was in Deutschland wohl breaking news gewesen wären, nahm man in Frankreich zur Kenntnis; diskutiert wurde eher in Fachkreisen. Das mag damit zu tun haben, dass es sich um ein altes Vorhaben von 2017 handelt, das der inzwischen im Amt bestätigte Macron nun endlich umsetzen will - vermutlich Ende Juni, wenn das neu gewählte Parlament zusammentreten wird. Außerdem ging das Thema im Wahlkampf unter.

Dorthin hatte es Macron wiederum mit Absicht gezogen, um der Klage seiner Konkurrenten über die schwindende "Kaufkraft" der Franzosen etwas entgegenzusetzen: Die Abschaffung des Beitrags - jährlich 138 Euro pro Haushalt, verpflichtend für alle, die ein klassisches TV-Gerät haben - zusammen mit der daran gekoppelten Wohnungsteuer wollte er als soziale Geste verstanden wissen.

Beim Beitrag müssen alle dieselbe Summe zahlen, egal wie viel sie verdienen. Ist das gerecht?

Das hat eine gewisse Logik. Der Rundfunkbeitrag sei "ziemlich unbeliebt, aber vor allem ungerecht", verteidigte Olivier Dussopt, bis vor Kurzem noch beigeordneter Haushaltsminister, die Idee. Schließlich müssten alle dieselbe Summe entrichten, egal ob sie 1200 oder 10 000 Euro im Monat verdienten. So gesehen ist es tatsächlich gerechter, die öffentlich-rechtlichen Sender über Steuereinnahmen zu finanzieren, bei denen Mehrverdiener auch mehr bezahlen.

Künftig sollen dem Plan zufolge France 2 bis 5, Radio France, Arte France und Auslandssender wie TV 5 Monde daher ihr Jahresbudget in Höhe von derzeit 3,8 Milliarden Euro komplett aus dem Staatshaushalt bekommen.

Die Reaktion war überwiegend negativ - und zwar zielt die Kritik in zwei Richtungen: Zum einen fürchten Autoren, Produzenten und die Medien selbst um eine verlässliche Finanzierung, wenn das Senderbudget in den haushaltspolitischen Verteilungskampf gerät. Der Sorge begegnet das Macron-Lager mit dem Vorschlag, das Parlament könne ja ein Finanzierungsgesetz mit einem fixen mehrjährigen Finanzrahmen verabschieden, wie beim Militär oder der Forschung - ob so eine Regelung vor dem europäischen Wettbewerbsrecht Bestand hätte, ist freilich eine ganz andere Frage. Im Übrigen sei eine "ausreichende" Versorgung der Sender auch verfassungsrechtlich abgesichert.

Wie verändert es die Freiheit von Sendern, wenn sie ihr Geld direkt von der Politik bekommen?

Gravierender aber ist die Angst vor einem wachsenden Staatseinfluss, der noch dazu kaum transparent würde. Die Finanzierung über Steuermittel "stärkt die Verbindung zwischen der Regierung und dem audiovisuellen Sektor", sagt Laurent Lafon, ein einflussreicher zentristischer Kulturpolitiker, das gehe genau in die falsche Richtung. Radio-France-Chefin Sybile Veil warnte vorsorglich, die neue Finanzierungsmethode dürfe "keinerlei Zweifel hinsichtlich unserer Freiheit, unserer parteipolitischen Neutralität und unserer Unabhängigkeit" aufkommen lassen.

Spekuliert wird, dass sich die Exekutive über den Hebel Geld in Strukturen und Inhalte des Rundfunks einmischen könnte. Dänemark dient als abschreckendes Beispiel: Seit dem Beschluss im Jahr 2018, die Gebühren durch Steuerfinanzierung zu ersetzen, sind die Öffentlich-Rechtlichen dort unter kräftigen Spardruck geraten. Wenig überraschend tauchen nun auch in Frankreich Überlegungen zu einer größeren Strukturreform auf, etwa in Form einer Fusion aller Sender zu einer Art französischer BBC. Arte-Chef Bruno Patino befürchtet schon eine Budgetkürzung. Sein werbefreier französisch-deutscher Sender wird zu 95 Prozent aus Beitragsgeld finanziert. Mehrere Gewerkschaften sehen gar die "Existenz" des öffentlichen Rundfunks in Gefahr und haben für Ende Juni zum Streik in Paris aufgerufen.

Dass Macron nicht glücklich ist mit dem Zustand des öffentlichen Rundfunks, hat er klar zu verstehen gegeben. 2017 nannte er ihn "die Schande der Republik". Sein Sprecher relativierte später, gemeint seien die schlechten Führungsstrukturen und die fehlende Wandlungsfähigkeit, aber der Begriff blieb hängen. Das Flaggschiff France 2 beschwert sich, dass ihm der Staatschef kaum exklusive Interviews gewährt. Die Beziehungen sind angespannt. Der Präsident hänge an den Öffentlich-Rechtlichen, beruhigt man im Elysée. Unter Rechtfertigungsdruck stehen die Sender jedoch allemal.

Marine Le Pen findet die Abschaffung des Beitrags großartig

Inhaltlich lässt sich Macrons kritische Haltung kaum begründen. Frankreichs Öffentlich-Rechtliche liefern ein solides Programm, mit den üblichen Ausschlägen nach unten und oben. Es gibt gut gemachte Nachrichten, mit zuletzt auffallend vielen hervorragenden Reportagen aus dem Krieg in der Ukraine. Kultur und vor allem die Literatur haben weiterhin ihren Platz, früher in Apostrophes, heute in La grande librairie. Der Radiosender France Culture bietet fantastische Interviews und Podcasts und wird zu Recht populärer.

Auf Ausgeglichenheit wird geachtet, die Sprechzeit der Kandidaten im Wahlkampf pedantisch reguliert und auf die Sekunde genau gemessen. Auch Rechtsaußen-Politiker wie Éric Zemmour oder Marine Le Pen oder rechtskonservative Intellektuelle kommen ausführlich zu Wort. Haben die Sender trotzdem einen Linksdrall, wie die Rechten regelmäßig schimpfen? Ein bisschen wahrscheinlich, aus Tradition, neuerdings auch als Gegengewicht zu den diversen unverhohlen rechtslastigen französischen Privatmedien im Besitz von Milliardären wie Vincent Bolloré.

Das rechte und staatskritische Lager freut sich jedenfalls über die geplante Beitragsabschaffung, Le Pen findet sie großartig. Sie will aber nicht nur den Beitrag abschaffen, sondern gleich das ganze Prinzip öffentlich-rechtlicher Rundfunk.

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