Süddeutsche Zeitung

Historie:Sienas Triumph

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Für die stolze Stadt in der Toskana ist die Schlacht von Montaperti 1260 bis heute ein großes Ereignis - weil es gelang, den übermächtigen Erzrivalen aus Florenz zurückzuschlagen.

Von Kurt Kister

Die Aussicht ist grandios, auch wenn der Standort weniger bemerkenswert ist. Von einem lang gezogenen Buckel mit ein paar Vorstadthäusern, einer Siedlungsstraße und trockenem Buschwerk aus geht der Blick in die nahe Ferne, wo der Turm des Doms und die 102 Meter hohe Torre del Mangia, der Turm des Palazzo Pubblico, in den fahlblauen Himmel ragen. In ungefähr 300 Metern Entfernung läuft das Band der Schnellstraße nach Osten, in Richtung Arezzo. Jenseits des sattgrünen Tals des Flusses Arbia liegt der mit Zypressen bestandene Hügel von Montaperti. Und in zehn, zwölf Kilometern Entfernung sieht man Siena, die gotische Stadt, die manche, wenn sie nicht gerade aus Florenz stammen, für das eigentliche Zentrum der Toskana halten. Die Stadt ist nahe genug, um ihre Türme, Kuppeln und rötlichen Mauern zu sehen, hie und da erkennt man einen der Paläste oder eines der Klöster. Aber doch ist Siena weit genug entfernt, sodass man eben nicht ganz nahe dran ist.

So ungefähr mag es den Zehntausenden Männern aus Florenz, Arezzo, Orvieto, San Gimignano und einer ganzen Reihe anderer Städte gegangen sein, die am 3. September 1260 auf diesem Hügelrücken entlang der alten Via Scialenga lagerten. Die heutige Schnellstraße verläuft ungefähr auf der Trasse der alten Via. Die Ritter, Kriegsknechte und Milizsoldaten des florentinischen Heerhaufens sahen damals von hier aus Siena, und sie rechneten durchaus damit, dass sie es in den nächsten Tagen betreten, vielleicht plündern würden. Zwar gab es zu ihrer Zeit die Türme des Rathauses und des Doms so noch nicht, die entstanden etwas später. Aber dennoch bot Siena auch Mitte des 13. Jahrhunderts den Anblick einer reichen, ummauerten, durchaus begehrenswerten Stadt.

Am Abend des nächsten Tages aber waren viele der Florentiner und ihrer Verbündeten, die begehrlich nach Siena geschaut hatten, tot oder gefangen. Am 4. September 1260 nämlich kam es rund um das Tal des Flusses Arbia zu einer Schlacht, von der die Leute in Siena noch heute wissen und gelegentlich sogar reden. In einem halboffiziellen Siena-Führer, für den die Stadtverwaltung als Schirmherr fungiert, heißt es: "Montaperti ist für die Sieneser der höchste Ausdruck an Unabhängigkeitsbewusstsein, Stolz und Freiheit." Die Schlacht von Montaperti war ein gewaltiger Sieg der Sieneser über Florenz, eigentlich der einzige gewaltige Sieg über den Erzrivalen. Ein paar Jahre lang sah es so aus, als könnte Siena gegen Florenz bestehen. Aber schon im Juni 1269 besiegten die Florentiner Siena bei Colle di Val d'Elsa. Provenzano Salvani, der bei Montaperti die Sieneser Truppen angeführt hatte, wurde in der Schlacht von Colle di Val d'Elsa getötet; die Florentiner paradierten seinen Kopf auf einer Lanze.

In den Jahrzehnten danach behauptete sich Siena eher mühsam gegen Florenz, bevor es 1559, besiegt und ausgeblutet, als Folge eines Friedensvertrags zwischen Spanien und Frankreich, die in Italien gegeneinander Krieg führten, vollständig unter florentinische Herrschaft fiel. Wenn man heute durch Siena läuft, sieht man an Toren, Mauern und selbst am Palazzo Pubblico das Wappen der Medici mit den sechs Kugeln. Die Florentiner Herrscherfamilie hat keine Gelegenheit ausgelassen, um zu zeigen, dass Florenz Siena besiegt hatte und Montaperti tiefste Vergangenheit war.

Auch Dante Alighieri schreibt in seiner "Commedia" von dem großen Gemetzel

Dennoch war der Sieg von Montaperti so gewaltig und brutal, dass Dante Alighieri im Zehnten Gesang des "Inferno" in seiner "Commedia" über die Schlacht am Fluss Arbia schrieb: "lo strazio e l' grande scempio che fece l'Arbia colorota in rosso ...", die Qual und das große Gemetzel, die den Arbia rot färbten. Für Dante, fünf Jahre nach der Schlacht von Montaperti geboren, war die Niederlage seiner Heimatstadt Florenz noch Gegenwart - zumal da "sein" Florenz ihn ins lebenslange Exil verbannt hatte. An der Seite der Sieneser hatten an jenem blutigen Septembertag viele Exilanten aus Florenz gegen das Heer ihrer ehemaligen Heimat mitgekämpft. Auf seinem im "Inferno" beschriebenen Gang durch die Kreise der Hölle begegnet Dante den berühmtesten jener Verräter von Montaperti, deren Schicksal gerade ihn, ebenfalls in heißer Hassliebe zu Florenz verbunden, so berührt.

Die Vorgeschichte der Schlacht von Montaperti ist die Geschichte der stetigen Konkurrenz der italienischen Stadtstaaten, die schon im Mittelalter begann. Zwar hatte Siena keine ganz so großen politischen Ambitionen wie Florenz; den Sienesen war das Geschäft mit Geld, mit Krediten und Handelsfinanzierung immer wichtiger als alles andere. Kein Wunder also, dass es in Siena die älteste noch operierende Bank der Welt gibt; Monte dei Paschi di Siena wurde 1472, gut 200 Jahre nach Montaperti, gegründet. Sie ist zwar in den vergangenen Jahren in schwerste Turbulenzen geraten, aber lange war Siena immateriell die Stadt der Jungfrau Maria, der sie sich angeblich kurz vor der Schlacht von Montaperti angelobte, und materiell die des Monte dei Paschi.

Im Fleisch des aufstrebenden Florenz jedenfalls war Siena schon in der Zeit vor den Medici, also vor der Mitte des 15. Jahrhunderts, ein gewaltiger Stachel. Mit dem verbündeten Pisa und dem Erzfeind Florenz zählte Siena zu jenen mittelitalienischen Stadtstaaten, die, wie Mailand, Verona oder Venedig weiter im Norden, jahrhundertelang mit- und gegeneinander um Macht, Einfluss und Dominanz stritten und kämpften. In dieser Konkurrenz der Städte, die oft zu kleineren und größeren Kriegen wurde, spielten auch Mächte von außen eine große Rolle - das Papsttum, Süditaliens diverse Herrschaften, Franzosen und Spanier sowie natürlich das transalpine, immer wieder nach Italien greifende König- und Kaisertum der Deutschen. Auf italienischem Boden traf sich im Mittelalter und in der Renaissance nahezu ganz Europa, bewaffnet und mit Absichten, die man später imperialistisch nennen würde. Die italienischen Stadtstaaten waren mal Spielbälle, mal selbst Akteure in diesen Kämpfen um Vorherrschaft und Einkünfte.

Seit der Kaiserkrönung Ottos I. in Rom im Jahre 962 verstanden sich die Wahlkönige des Reichs auch als die Nachfolger der römischen Caesaren, als Beschützer der Kirche und als Erben Karls des Großen. Mitte des 12. Jahrhunderts war erstmals in Urkunden die Rede vom Sacrum Imperium, wenig später hieß es Sacrum Romanum Imperium, Heiliges Römisches Reich. Bis allerdings die gewissermaßen nationale Definition Nationis Germanicae, deutscher Nation, dazukam, dauerte es noch einmal gut 200 Jahre. Auf und zwischen den diversen Italienzügen deutscher Könige von Otto I. bis, zuletzt, Friedrich III., einem Habsburger, der 1452 in Rom zum Kaiser gekrönt wurde, schlugen sich manche Städte wie zum Beispiel Siena und Pisa eher und meistens auf die Seite der "Deutschen"; andere, wie Florenz, waren strikte Gegner, was in aller Regel hieß, dass sie ihre eigenen Interessen, aber auch die des Papstes vertraten. Papst und Kaiser waren häufig Antagonisten, was in Konflikten wie dem zwischen Heinrich IV. und Papst Gregor VII. (der Canossa-Gang 1077) gipfelte. Sehr simpel gesagt, verlangten die Päpste eine Unterordnung der weltlichen Herren unter die geistige Herrschaft, was Könige und Kaiser, oft auch aus materiellem Interesse, ablehnten. Viele Päpste sahen zudem in den Herrschaftsansprüchen der deutschen Kaiser in Italien eine Beeinträchtigung ihres durchaus weltlich organisierten und ausgerichteten Kirchenstaates, der einen guten Teil Mittelitaliens umfasste.

Der Antagonismus fand seinen Ausdruck in zwei Parteiungen, die für die Kriege der Stadtstaaten, aber auch für ihre innere Verfasstheit eine sehr große Rolle spielten. Als Ghibellinen wurde jene bezeichnet, die sich zu den transalpinen Königen und Kaisern bekannten, also die Ordnungsmacht der fränkisch-deutschen Herren begrüßten. Das italienische Wort Ghibellini geht wohl auf den Namen der schwäbischen Stadt Waiblingen zurück. Waiblingen war eine wichtige Stadt der Staufer, es heißt, "Waiblingen!" sei der Schlachtruf staufischer Ritter gewesen. Die berühmtesten Stauferkaiser waren Friedrich Barbarossa (1122 bis 1190) und dessen Enkel Friedrich II. (1194 bis 1250), der vor allem in Sizilien residierte. Die Gegner der Ghibellinen nannten sich Guelfi, Guelfen. Dies hängt mit dem Haus der Welfen zusammen, die mit den Staufern unter anderem um die Königswürde konkurrierten. Die Guelfen waren nicht "reichstreu", sie suchten die Allianz mit dem Kirchenstaat oder "ausländischen" Mächten wie Frankreich.

Im Italien des ausgehenden Mittelalters verselbstständigten sich die Begriffe Guelfen und Ghibellinen allerdings. Sie bezeichneten einerseits die Konfliktlinien zwischen einzelnen Städten - Siena war eine ghibellinische, Florenz eine guelfische Stadt. Und sie dienten gleichzeitig zur Einordnung von Konkurrenz und Auseinandersetzungen innerhalb einer Stadt, die materielle, dynastische und schlichtweg machtpolitische Ursachen hatten. In Florenz zum Beispiel gab es eine nicht so bedeutende ghibellinische "Partei" und mindestens zwei verschiedene guelfische Richtungen.

Dante etwa war Guelfe, vertrat aber eine eher kompromissbereite Linie gegenüber den deutschen Kaisern. Diese sogenannten weißen Guelfen wurden aus der Stadt vertrieben, als dort die schwarzen Guelfen die Herrschaft übernahmen. Sie waren grundsätzlich gegen Kompromisse mit dem Reich, zeigten also, wie man heute sagen würde, "klare Kante". Das bedeutete damals Tod oder Exil für prominentere Andersdenkende, Beschlagnahme ihres Besitzes, Rückkehrverbot für die Exilanten. Solche Exilanten siedelten sich dann häufig in Städten an, die mit ihrer eigentlichen Heimatstadt verfeindet waren. Deswegen lebten um 1260 herum nicht wenige florentinische Exilanten in Siena - und sie zogen mit den Sienesen ins Feld.

Siena profitierte 1260 nicht nur von den florentinischen Exilanten, wohl an die 200 Ritter, sondern auch von einer starken Gruppe deutscher Ritter in der Stadt, die Rede ist von rund 800. Dies hängt damit zusammen, dass nach dem Tode des Stauferkaisers Friedrich II. dessen Sohn Manfred zunächst als sogenannter Reichsverweser auftrat, bevor er sich 1258 zum König von Sizilien krönen ließ. Der Papst bannte Re Manfredi, wie ihn die Italiener nennen. Manfred wiederum suchte Rückhalt bei ghibellinischen Städten, darunter auch Siena, weil er so seine reichlich fragile Macht stabilisieren wollte. Er tat dies nicht ohne Gegenleistung: Weil Siena König Manfred anerkannte, kamen Ende 1259 und dann noch mal Mitte 1260 aus dem Königreich Sizilien eine veritable Anzahl vor allem deutschstämmiger Ritter, die 1260, so der Historiker Giovanni Mazzini, "das Rückgrat der ghibellinischen Armee von Siena" bildeten.

Die deutschen Ritter kämpften auch deshalb für Siena, weil sie gut bezahlt wurden

Die Florentiner Armee, möglicherweise um die 30 000 Mann (genaue Zahlenangaben gibt es nicht), wollte im Herbst 1260 eigentlich das damals noch mit Florenz verbündete Montalcino vom Druck der Sieneser befreien. (Montalcino, etwa 40 Kilometer südlich von Siena gelegen, ist heute vor allem wegen seines erdschweren, hervorragenden Rotweins Brunello bekannt.) Hätte sich dabei auch ergeben, dass man Siena selbst ohne größere Belagerung hätte einnehmen können, wäre dies sehr willkommen gewesen. Die Florentiner stellten denn auch am 2. September 1260 dem in Siena regierenden Rat der Vierundzwanzig ein Ultimatum, die Stadttore zu öffnen. Nachdem sich aber der Consiglio dei Ventiquattro bei Manfreds Rittern versichert hatte, dass sie im Falle einer Schlacht für Siena kämpfen würden, lehnte Siena das Ultimatum ab. Wie es so ist im Leben und es auch schon damals so war, hatte die Auszahlung einer erheblichen Geldsumme zum Entschluss der Deutschen beigetragen.

Das Heer der Sieneser, das den Florentinern und deren Verbündeten entgegen zog, war wohl an die 20 000 Kämpfer stark. Den Löwenanteil stellten die Sieneser selbst; Pisa hatte einige Tausend Mann entsandt, und König Manfreds Truppe zählte möglicherweise rund 2000 Mann zu Pferd und zu Fuß. Die zahlenmäßig unterlegenen Ghibellinen schlugen dennoch das gegnerische Heer, nachdem die Ritters Manfreds an einer wichtigen Stelle die Schlachtordnung des Feindes durchbrochen hatten. Bald konzentrierte sich der Kampf um zwei symbolische Dinge, den Florentiner Kriegskarren, den carroccio, sowie die sogenannte Martinella. Der carroccio war ein von Ochsen gezogener Fahnenwagen, ein Symbol der Stadt, der als wichtigstes Feldzeichen diente. Solche Kriegskarren hatten viele italienische Städte im ausgehenden Mittelalter; Florenz und Siena zogen mit ihren Karren in die Schlacht von Montaperti. Die Martinella wiederum war etwas spezifisch Florentinisches, eine Glocke, die in Friedenszeiten über der Tür einer Kirche hing, und die im Krieg auf einem eigenen Wagen mitgeführt wurde. Beides, der carrocio der Florentiner und die Martinella, wurde von den Sienesen erbeutet, damals die ultimative Schmach.

Damals? Noch heute kann man an zwei Pfeilern des Doms von Siena zwei lange Holzstämme sehen. Dies sind, so heißt es, die Zugstangen des Kriegskarren, den die Sieneser bei Montaperti benutzten. In manchen Quellen heißt es auch, es seien die Fahnenstangen des carroccio der Florentiner. Auf jeden Fall symbolisieren auch diese Hölzer für die Sieneser des 21. Jahrhunderts, dass man einmal, wenn auch nur für kurze Zeit und vor einem Dreivierteljahrtausend, über Florenz triumphiert hat.

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