Süddeutsche Zeitung

Designermode für Kinder:Mini-Lolitas mit Lippenstift

Lesezeit: 5 min

Pelzmäntelchen statt Latzhose, Lippgloss statt Plüschtier: In der aktuellen Kindermode sieht der Nachwuchs aus wie sein Erzeuger in Kleinformat. Können die Designer bitte sofort damit aufhören?

Miriam Stein

Nur ein Thema beschäftigt britische Klatschmagazine seit ein paar Wochen so sehr wie die Hochzeit am britischen Königshaus: Nach vierzehn Jahren Beziehung und drei fehlgeschlagenen Versuchen schaffte der britische Fußballstar David Beckham, was niemand mehr für möglich gehalten hatte: Er zeugte eine Tochter.

Das mediale Interesse an diesem ungeborenen Wesen ist schon jetzt grenzenlos. Wie wird die Tochter von Victoria Beckham, dem einstigen Mitglied der Band Spice Girls, aussehen? Soll sie wirklich "Santa" heißen oder einen ähnlich dämlichen Hollywood-Baby-Namen tragen? Und vor allem: Wie wird sie von ihrer Mutter angezogen werden, die sich von der belächelten Fußballergattin zum Designerstar entwickelt hat - und selber eine Sammlung von mehr als einhundert originalen Hermès-Birkin-Bags hat?

Die Multimillionenmarke Beckham wird in Zukunft stärker auf Victoria Beckhams knöchrigen Schultern lasten als auf Davids, der längst nicht mehr in Bestform ist. Und nicht ganz unerheblich wird sein, wie die Beckhams ihr Töchterchen präsentieren werden. Im Jahr 2011 sind es die Promi-Küken, die das Image ihrer Promi-Eltern mitbestimmen. Und Mode spielt da eine wichtige Rolle.

Wer sich übermäßig für Kindermode interessiert, für den gibt es jetzt am Kiosk Gala Kids; oder wie sich das Heft selber vorstellt: "Deutschlands erstes Kindermagazin, das auch stylishen Mamis Spaß macht". In der ersten Ausgabe: Hollywood-Kids - "die besten Frühjahrs-Looks der großen und kleinen VIPs - von City Glam bis Beach zum Nachstylen." Beim Durchblättern werden sich kritische Eltern einige Male die Augen reiben: Ist das noch eine adäquate Krippengarderobe, fragt man sich da, oder das Long-Island-Freizeitoutfit eines wohlhabenden Ehepaars aus den späten fünfziger Jahren?

Victoria Beckham hat bereits drei Söhne zwischen sechs und zwölf Jahren, die sie immer noch gerne wie Drillinge kleidet, ob nun in Papas aktuellem Vereinstrikot oder mit Dinnerjacket von Dior. Im Vergleich mit Suri Cruise, Töchterchen der Beckham-Busenfreunde Katie Holmes und Tom Cruise, ist das aber völlig harmlos. Die Fünfjährige trägt schon Absatzschuhe und auch gerne mal ein komplettes Flamenco-Kostüm. Was sie anzieht, wird der Verkaufsschlager in Kinderabteilungen, weshalb auch Billigmodeketten die Teile in Windeseile kopieren. Vor fast genau einem Jahr wurde die Kleine im Ballettoutfit abfotografiert und trat so eine wahre Tütümanie los; plötzlich zogen auch andere Mütter in New York und Los Angeles ihren Töchtern Tanztrikots zum Supermarkteinkauf oder Spielplatzbesuch an. Die Szeneboutique Opening Ceremony in New York, bisher nicht spezialisiert auf Kindermode, verkauft gerade kleine rosarote Ballettröckchen von Jean Paul Gaultier Bébé, für niedliche 100 US-Dollar.

All diese Eislaufmütter oder Tiger Moms, wie sie heute heißen, würden jetzt sagen: "Ein gepflegtes Aussehen ist schon für die Kleinsten von heute wichtig für eine erfolgreiche Zukunft." Dennoch ist es kurios, dass Kindermode nicht mehr zum Kindsein taugt. Der Nachwuchs aus besserem Hause sieht aus wie eine Mini-Version der eigenen Erzeuger, noch bevor er sich das Daumenlutschen abgewöhnt hat. Stellt man einmal Kinderbekleidung von C&A, H&M und Gap neben jene von Labels wie Missoni oder Gucci, so wird klar: Je teurer die Kleidung, desto erwachsener sieht sie aus, desto konservativer wird das Geschlechterbild. Eine 2008 veröffentliche Studie der Global Industry Analysts zur Entwicklung des Designermodesegments bestätigt, dass sich nicht etwa schmutzabweisende Shirts am besten verkaufen, sondern Miniaturausgaben von Erwachsenenmode.

Die kleinen Kunden möglichst früh an die eigene Marke binden - das funktioniert prima mit den Eltern als Komplizen. Sie sind es ja, die einkaufen. Dolce&Gabbana, Burberry, Marc Jacobs, Jean Paul Gaultier und Polo Ralph Lauren sind nur einige der vielen Marken, die seit Mitte der Nullerjahre Mode für die Kleinsten anbieten. Da gibt es zum Beispiel den Burberry-Trenchcoat für Kleinkinder, Kostenpunkt 250 Euro. Ein weißes D&G-Wickelkleidchen mit Blumenmotiv kostet ab 220 Euro. Mamas passende Version ist übrigens hauteng mit Spaghetti-Trägern - damit auch jeder sehen kann, dass man, mit dem richtigen Workout, kurz nach der Geburt wieder schlank sein kann.

Auch die Zahl der Promimütter, die ihre Kinder als Modepuppen vorführen, scheint zuzunehmen. Ein Eindruck, der nicht nur durch die unzähligen Schnappschüsse in Magazinen wie eben Gala Kids befeuert wird. Die US-Sängerin Jennifer Lopez, die "schönste Frau der Welt" ( People Magazin), macht mit ihren Zwillingen Emme und Max sogar Werbung. In einer Kampagne für die Luxusmarke Gucci Kids posiert sie am Strand, auf dem Arm Max im Militaryhemd mit einem schwarz-weißen, palästinenserähnlichen Tuch, Emme trägt das gleiche Tuch, aber in blassem Lila.

Neben Oberbekleidung sprudeln mittlerweile auch immer mehr Schmuck, Schuhe und Beautyprodukte fürs Kinderzimmer auf den Markt - wobei die Buben hier nicht bevorzugte Zielgruppe sind. Das sieht man auch in den Kinderbeilagen einschlägiger Modetitel: dem weiblichen Nachwuchs von Promi-Müttern wird erheblich mehr mediale Aufmerksamkeit geschenkt als deren Söhnen. Und selbst wenn gelegentlich über kindliche Charakteristika berichtet wird - "Apple (Paltrow) spricht mit bizarrem Dialekt!" - bleibt das Hauptaugenmerk auf den Outfits.

Der fortschreitende Wahnsinn in der Kindermode erntet seit Jahren Protest. Mini-Lolitas mit ihrem lösungsmittelfreien Lippenstift, die in Kindermodebeilagen namhafter Magazine vorgeführt werden, haben viele potentielle Befreier: Eltern, Pädagogen, aber auch Designer mit einigermaßen Realitätsbezug. Die Journalistin und Feministin Bascha Mika beschreibt in ihrer Streitschrift "Die Feigheit der Frauen" die Verkitschung der zukünftigen weiblichen Leistungsträger in rosa Kleidchen gar als die "Pest". Immerhin: In der aktuellen Kollektion von Little Marc Jacobs findet man kein Glitzer und nur wenig Rosa; die dominierenden Farben sind Gelb und Blau, für Jungen wie für Mädchen.

Stella McCartney, britische Modedesignerin und vierfache Mutter, hat im vergangenen Jahr eine Kids-Kollektion auf den Markt gebracht, die bei den meisten Entwürfen gar nicht erst nach Geschlechtern trennt. "Ich halte es für unverantwortlich, Kindermode zu unverschämten Preisen anzubieten, nur weil man ein Designerlabel ist", sagt McCartney dem Magazin der New York Times. "Bei der Arbeit am Reißbrett denke ich an verschiedene Aspekte: an Zeitlosigkeit, ans Weitervererben, an Qualität und Kosten. Meine Kollektion ist ein sehr moderner Blick auf Kinderkleidung."

Was heißt? Sie ist aus Baumwolle, in der Maschine waschbar und an Jungs wie Mädchen weiter vererbbar. Was, natürlich, so modern nun auch wieder nicht ist: Schon vor dreißig Jahren suchten vernünftige Eltern die Kleidung für ihre Kinder so aus, dass die kleine Schwester den Pullover des großen Bruders anziehen konnte, wenn der dann mal rausgewachsen war. Solche Kleidung gibt es natürlich auch bei H&M und Cos. Der Geheimtipp ist und bleibt aber die Kindermode des US-Bekleidungsriesen The Gap. Die putzige Kleidung ist günstig, einfach, pflegeleicht und unverwüstlich; Teile, die sandkastentauglich sind, sind online mit dem Label "Playtime Favorit" versehen.

Die aktuelle Vogue Enfants, Beilage der französischen Vogue, zeichnet wieder ein eher trauriges Bild von einem Kinderleben im Jahr 2011; kein Sandkasten, keine lachenden Gesichter, keine umherliegenden Spielsachen, keine Eiscremeflecken. Die Kindermodels sind allesamt hochgestylt, hypergelangweilt und übellaunig, fast so, als würden sie im nächsten Moment loszornen. Das als kleine Erinnerung an alle überambitionierten Eltern: Kindergeschmack unterliegt nicht nachvollziehbaren Launen. Irgendwann werden die lieben Kleinen zurückschlagen. Und wenn nicht jetzt, dann spätestens an ihrem 13. Geburtstag: Wenn auf dem Gabentisch diese peinliche rosa Cordhose liegt, passend zu der von Mama.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1094104
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 07.05.2011
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.