Süddeutsche Zeitung

Kolumne: Meine Leidenschaft:Bogenschießen mit Vincent Klink

Lesezeit: 6 min

Holzschnitt, Querflöte, Aquarell: Sternekoch Vincent Klink hat viele Leidenschaften. Doch die große Liebe? Bogenschießen. Zu Besuch bei einem, der ganz ohne Meditation die goldene Mitte finden will.

Von Marten Rolff

Der Weg ins Paradies von Vincent Klink führt nicht, wie viele Gourmets vielleicht annehmen würden, durch die Tür seines Sternerestaurants "Wielandshöhe", sondern direkt links daran vorbei. Trotz des schwülheißen Vormittags trägt der Koch halbhohe Lederstiefel zu schwarzem T-Shirt und Stoffhose. Wie gut sich ein osmanischer Hornbogen mit seinem beachtlichen Zuggewicht beim Spannen an diesen Schuhen abstützen lässt, wird man aber erst später lernen. Zunächst schlüpft Klink durch ein spaltbreit geöffnetes Metalltor, dann geht es den Hang hinunter, über Wege und Stufen, vorbei am Lokal, dem Klink'schen Privathaus, Malven, Rosen und Glyzinien, einem entengrützengrünen Teich sowie einem Wäldchen aus Pfeilbambus. Am Ende steht man vor zwei modernen Gartenhäuschen, durch Pergolas optisch miteinander verbunden. Tief unter einem: Stuttgart, wie hineingegossen ins Tal. Gegenüber: Weinhänge. "Da sind wir", sagt Klink und ringt kurz nach Atem, "ohne das hier könnte ich gar nicht überleben."

Was Vincent Klink mit "das hier" meint, ist nicht leicht zu beschreiben; denn was bitte soll man sagen - Hobbyräume? Das wäre in etwa so angemessen, wie die Bisque, für die Klinks Küchenchef oben im Restaurant gerade frischen Helgoländer Hummer auslöst, "ein Essen" zu nennen. Es geht eher um einen Ort, an dem "viele Liebhabereien und Passionen", wie Klink sagt, sowie Arbeit fruchtbar ineinander diffundieren.

Jüngste Passion: historische Großbildfotografie

Wie schwer alles voneinander zu trennen ist, zeigte sich auch zu Beginn der Pandemie. Als das Restaurant über Monate schließen musste und es darum ging, die Mitarbeiter zu halten, glich Klink größere Teile der Verdienstausfälle aus, indem er hier Farbholzschnitte von Tieren kreierte und an seine Fangemeinde verkaufte. Im Stockwerk über der Holzschnittwerkstatt zeichnet und malt er - Öl und Aquarell. Im Häuschen nebenan schließlich hängen und stehen verschiedene Instrumente, da Klink sehr ernsthaft Musik macht. Gerade übt er viel Querflöte und hat Italo-Schnulzen für den Modern Jazz adaptiert. Auch mit Weltstar Till Brönner stand er schon auf der Bühne. Zwischen den Instrumenten: Kameras für historische Großbildfotografie, Klinks jüngste Leidenschaft. Vor den Häuschen: zwei Bienenstöcke, weil der Koch nicht nur passionierter Gärtner, sondern auch Imker ist. Und - gut geeignet für einen terrassierten Hang wie diesen: eine Bahn zum Bogenschießen. Aktuelle Liebe: ein osmanischer Hornbogen. Ewiges Ideal: der japanische Zenbogen.

Es ist subjektiv, aber nicht übertrieben, den 73-Jährigen als den feinsinnigsten unter den deutschen Sterneköchen zu bezeichnen. Vom literarischen Hunger zeugen deckenhohe Bücherregale, der Koch schreibt, illustriert und verlegt seine Kochbücher selbst und verfasst auch essayistische Reiseführer, mit seinem aktuellen Buch "Ein Bauch spaziert durch Venedig" ist er auf Lesereise. Klink war zudem Herausgeber verschiedener Magazine für Kulinarik und Kulturwissenschaften, hatte eigene Fernsehsendungen und eine Gastrolle im "Tatort".

Aber zurück zu den Gartenhäuschen, oder sollte man doch "Ateliers" sagen, weil es um eine hochästhetische Konstruktion aus Glas, Stahl und Holz geht, mit einem neiderweckend stilsicheren Bad und Gästeklo? Das muss man offenlassen, denn Klink hat draußen auf der Schießbahn gerade die Zielscheibe ausgetauscht und trägt auf dem Gartentisch eine beeindruckende Pfeil-und-Bogen-Sammlung zusammen; kurze und lange, historische und moderne, edle und billige Bögen. Am Ende, sagt Klink, sei es schon eine frustrierende Ironie, dass man "mit dem neuen Plastikding zu 35 Euro, für das die Chinesen ein paar Polymere verbacken haben, am leichtesten die besten Ergebnisse erzielt".

Nun will er lernen, wie man Ötzi-Pfeile herstellt

Doch vor dem Schießen noch eine Frage: Wie genau kam es zu dieser Vielzahl an "Liebhabereien"? Als Jugendlicher wollte Klink Künstler werden. Er verbrachte viel Zeit beim Nachbarn seines Großvaters, einem Bildhauer, der ihm sogar sein Atelier vermachen wollte. Doch als Klinks Vater davon erfuhr, besorgte er dem Sohn umgehend ein Praktikum bei einem Metzger, woran sich eine Kochlehre anschloss. Da brauche man kein Psychologie-Diplom, um sich "meine vielen Ausweichnischen" zu erklären, sagt Klink. Der zweite Grund ist praktischer: Als Gastwirt kann er sein Restaurant kaum allein lassen, da kommen nur Leidenschaften infrage, die sich vor Ort ausüben lassen. Wobei das Bogenschießen eine Passion ist, die alle anderen gut zusammenzuhalten scheint.

Vincent Klink hat sich jetzt einen Schienbeinschutz für Motorradfahrer über den Stiefelschaft gezurrt. So ist das Risiko gering, sich beim Abstützen zu verletzen, wenn er die Bögen spannt. Es würde reichen, wenige Details zu nennen, um das Bogenschießen als Königsdisziplin eskapistischer Nerds zu zeichnen: Da wären etwa die Pfeile aus Truthahnfedern, Karbon, Aluminium oder Bambus, die Klink selbst baut; gerade hat er ein Seminar bei einem Professor in Ulm gebucht, der ihm zeigt, wie man Pfeile aus Feuerstein und Birkenpech wie "zu Ötzis Zeiten" herstellt. Und da ist der lange, schwer zu kontrollierende Zenbogen von einem Meister, der im japanischen Kaiserhaus gelernt hat. Die vielen Bambusschichten wurden in Handarbeit mit "sechs bis sieben Kilometern Faden umwickelt" und mit Fischleim fixiert. Klink, der schon als Kind vieles reparierte, liebt solche Details, aber für das Bogenschießen seien sie letztlich zweitrangig.

Am Zenbogenschießen reizt den Koch, dass es dabei nicht ums Töten geht, "im Grunde schießt man auf sich selbst, oder auf Gott, aber das geht dann schon sehr ins Spirituelle". Gemeint ist, dass der Schütze sich vor allem mit sich selbst beschäftigt, sich ganz in die Kontrolle seiner Handlungen versenkt, sich durch ständige Wiederholung des Immergleichen an die Perfektion annähert, "die ja eigentlich etwas Übermenschliches ist". Doch Klink wäre nicht Klink, wenn er sich davon nicht gleich wieder ironisch distanzieren würde. Er wollte Mitglied werden im Stuttgarter Zenbogen-Club. Voraussetzung: ein Jahr Meditation. "Nichts für mich! Als Koch frage ich mich ja schon bei 15 Minuten autogenem Training, wer jetzt den Braten aus dem Ofen holt." Eine andere Wahrheit ist: Obwohl Klink etwa den Golfsport "ganz schlimm" findet, müsse er zugeben, "dass ein Golflehrer ähnlich erhellend über Flugbahnen referieren kann wie ein Zenbogenmeister". So viel zum Geheimnis.

Es ist anspruchsvoll, Ruhe und Kontrolle mit dem Kraftaufwand zu verbinden, den es braucht, um mit einem Zenbogen zu schießen; wie anspruchsvoll, sieht man schon, als der Koch die Sehne für den ersten Pfeil bis hinters Ohr zieht. Mit dem Ergebnis des Schusses - knapp 30 Zentimeter links der Mitte - ist Klink nicht unzufrieden. Es geht um Annäherung auf hohem Niveau, da liegen Musik, Malerei, Holzschnitt, Fotografie, Schreiben, Kochen und Bogenschießen plötzlich näher beieinander, als man glaubt.

Nach einer halben Stunde Schießen wird Klink unruhig. Im Restaurant beginnt der Mittagsservice, seine Gäste möchten ihn an den Tischen sehen, und seine Frau hat Freundinnen zu Gast, die er begrüßen soll. "Ich gelte im Bekanntenkreis wegen meiner vielen Stunden hier unten schon als soziophob, aber Sie haben ja jetzt gesehen, warum ich keine Zeit habe", ruft Klink und enteilt nach oben, um sich Kochjacke und Schürze überzustreifen.

Zurück bleibt eine Scheibe, auf der sich etwa zehn Pfeile ein Stück links von der Mitte gruppieren. Und wenn es stimmt, dass eine benutzte Zielscheibe immer auch die innere Verfasstheit des Bogenschützen spiegelt, dann ist diese hier das Bild einer äußerst sympathischen Lebensphilosophie. Wie ungeheuer schwierig der Umgang (nicht nur) mit dem Zenbogen ist, hatte Klink einzig mit einem Witz ummäntelt: "In der Anfängerphase ist es ein Achtungserfolg, wenn man nicht den eigenen Nachbarn erschießt."

Keine Leidenschaft ohne Zubehör. Diese Gegenstände hat Vincent Klink beim Bogenschießen immer griffbereit:

Der Handschuh

"Ohne Schutzhandschuh ist Bogenschießen kaum möglich. Zumindest, wenn man die mediterrane Grifftechnik bevorzugt, die bei uns am weitesten verbreitet ist. Sie heißt fälschlicherweise so, weil schon früh im Mittelmeerraum meist auf diese Art geschossen wurde, aber erfunden haben sie vermutlich die Kelten. Dabei liegen der Zeigefinger beim Schießen über und Mittel- und Ringfinger unter dem Pfeil. Ohne Handschuh würde die Sehne derart über die Fingerkuppen schrammen, dass sie schnell extrem geschwollen wären. Ziemlich schmerzhaft."

Die Ringe

"Ich kann den mediterranen Griff kaum noch anwenden, wegen Gelenkschmerzen im Mittelfinger. Abnutzung, das geht nicht mehr weg. Aber mein Daumen ist zum Glück intakt und stark. Daher bin ich auf die asiatische Grifftechnik umgestiegen. Da liegt der Pfeil auf dem angewinkelten Daumen, als Schutz dient ein Ring. Die Technik ist schwer, ich musste lange üben, und der Pfeil bekommt leicht einen Seitwärtsdrall. Mein Daumen ist immer viel zu dick für die Ringe, die muss ich immer von innen ausfräsen, damit sie passen."

Das Hütchen

"Ach ja, das Hütchen. Schön, oder? Handarbeit. Reiner Wollfilz und deshalb so warm, dass ich es nur im Winter tragen kann. Ich habe es online bestellt, weil es mir so gut gefiel; es ist original, nur leider habe ich vergessen, ob original mongolisch, original kasachisch oder original irgendwas anderes. Aber ein bisschen Folklore darf sein. Es erinnert mich daran, dass das Bogenschießen nicht nur eine technische Seite und eine große Tradition hat, sondern auch eine romantische Seite. Das macht mir Freude."

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