Süddeutsche Zeitung

Zum Tod des Verlegers Giangiacomo Feltrinelli:Mord im Auftrag des Staates?

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Ein Toter in einem Hochspannungsmast in der Lombardei - und zahlreiche Ungereimtheiten. Nachdem der italienische Verleger Giangiacomo Feltrinelli 1972 tot aufgefunden wird, landet der Fall schnell bei den Akten. Nun gibt es neue Indizien, die den Verdacht erhärten, dass der Mann, der Rudi Dutschke pflegte und Che Guevara nach Italien lotsen wollte, von Geheimdiensten ermordet wurde.

Henning Klüver, Mailand

Vor 40 Jahren, am 14. März 1972, fand man die Leiche des Mailänder Verlegers Giangiacomo Feltrinelli unter einem Hochspannungsmast in Segrate, einem kleinen Ort in der Peripherie der lombardischen Metropole. Eine eilig abgeschlossene gerichtliche Untersuchung kam zum Schluss, Giangiacomo Feltrinelli sei bei dem Versuch, den Mast zu sprengen, selbst ums Leben gekommen.

Dass Feltrinelli italienischen Terroristen nahestand, war bekannt: Der Verleger, der 1967 vergeblich nach Bolivien gereist war, um Che Guevara nach Italien zu holen, hatte sich im aufgeputschten Klima jener Jahre politisch radikalisiert und die Untergrundgruppe GAP ("Gruppe der Partisanenaktion") gegründet. Gerüchte, dass Feltrinelli nicht durch einen Unfall ums Leben gekommen war, sondern Opfer eines Mordanschlags geworden war, gab es sofort, und sie wollten auch nicht verstummen.

Vierzig Jahre nach dem Tod haben diese Gerüchte neue Nahrung bekommen. Die Tageszeitung Corriere della Sera hat gerade in seinem Wochenmagazin "Sette" ein medizinisches Gutachten veröffentlicht, das damals unterdrückt worden war. Danach ließen Verletzungen am Kopf und am Körper des Toten auf einen "Angriff von hinten" schließen. Zugleich bekundeten die Mediziner, unter anderem auf Grund der nur leichten Wunden an den Händen, starke Zweifel an der offiziellen Version, eine selbstverschuldete Bombenexplosion habe Feltrinelli getötet. Wie der Corriere berichtet, wurden die polizeilichen Untersuchungen am Tatort von einem Carabinieri-Offizier durchgeführt, der, wie sich jetzt erst heraus gestellt hat, zugleich Mitglied des militärischen Geheimdienstes SID war.

Staatsanwalt seines Amtes enthoben

Der Staatsanwalt, der damals die Untersuchungen begonnen hatte, wurde nach nur wenigen Tagen wegen angeblicher "Linkslastigkeit" seines Amtes enthoben und durch den damals jungen, unerfahrenen Guido Viola ersetzt. Dieser will inzwischen eine Verwicklung der Geheimdienste und der (1982 verbotenen) politischen Geheimloge "P2" in den Tod Feltrinelli nicht mehr ausschließen. Dass sich die Geheimdienste für den Verleger interessierten, belegt auch ein Dokument des CIA. Führende Köpfe des SID hatten ihn als "ein Element" bezeichnet, das zu "eliminieren" sei.

Feltrinelli selbst hatte kurz vor seinem Tod den Verdacht geäußert, "dass mich der Mossad umbringen wird". Der israelische Geheimdienst, so beschreiben jüngste Veröffentlichungen wie "Mossad Base Italia" von Eric Salerno (Verlag Il Saggiatore), hatte in Italien sowohl die rechte wie auch die linke Terrorszene unterwandert und sogar eine Einheit in Mailand gebildet. Feltrinelli, der mit Palästinensergruppen nicht nur sympathisierte, sondern sie möglicherweise auch finanziell unterstützte, galt dem Mossad bereits länger als Feind. Und der Chef der Gegenspionage des SID, General Gianadelio Maletti, so berichtet der Corriere jetzt, habe in enger Partnerschaft mit den Israelis gearbeitet. Die Protestbewegung jener Jahre bezeichnet denn auch den Tod des Verlegers "als Mord im Auftrag des Staates".

Sein Tod, so erinnert sich heute der Journalist und Publizist Antonio Ferrari, war auch ein Schock für die bürgerlichen Kreise der Stadt gewesen. Die Feltrinelli waren immerhin so etwas wie die Buddenbrooks von Mailand gewesen. Als Giacomo Feltrinelli, der Gründer dieser Dynastie von Händlern und Bankiers, im Jahr 1913 starb, galt er als der reichste Mann Mailands. Am Gardasee hatte er sich eine Villa bauen lassen, die ein Schloss war (und später, zu den Zeiten der Republik von Salò, Mussolini als Amtssitz diente). Der Wirtschaftshistoriker Luciano Segreto hat gerade den Band "I Feltrinelli" (Die Feltrinelli) veröffentlicht, in dem er, so der Unteruntertitel, die "Geschichte einer Unternehmerdynastie 1854-1942" beschreibt.

Rudi Dutschke in Mailand gepflegt

Die Krise des Unternehmens kam unter Mussolini, aber politische Gründe spielten wohl keine Rolle. Carlo Feltrinelli, das damalige Oberhaupt der Familie in dritter Generation, starb relativ jung 1935 mit 54 Jahren. Er hatte sich vermutlich das Leben genommen. Einige Geschwister waren bereits gestorben oder suchten als Künstler ein alternatives Leben. Dennoch blieben die Feltrinelli Milliardäre. Der 1925 geborene Giangiacomo Feltrinelli konnte 1946 als Volljähriger drei Viertel des Erbes antreten, ein Viertel fiel an seine Schwester Antonella. Er gründete 1949 das heute noch bestehende Studienzentrum für die Geschichte der Arbeiterbewegung, im Jahr 1954 folgte der Verlag. Die Privatbank kontrollierte er bis 1968.

Als Verleger sicherte er sich die Weltrechte an "Doktor Schiwago", mit Tomasi di Lampedusas "Gattopardo" landete er einen weiteren Weltbestseller und hatte außerdem mit Texten von Nehru Erfolg. Politisch engagiert, von der KPI wegen der Pasternak-Veröffentlichung als Linksabweichler ausgestoßen, ließ er unter anderem Rudi Dutschke in Mailand pflegen. Anfang der siebziger Jahre ging er in den Untergrund, nachdem er seiner Frau Inge den Verlag übergeben hatte.

Das Jahr 1972, in dem Feltrinelli starb, war in Italien durch eine Reihe von politischen Morden (unter anderem an Luigi Calabresi, dem Chef der politischen Polizei Mailands) sowie links- wie rechtsradikalen Terroranschlägen geprägt. Die Bewertungen der politischen Hintergründe des Terrors sind bis heute umstritten, widersprüchliche Urteile der Justiz haben zudem einen Nebel um die Vorgänge gelegt, in dem es schwer ist, vierzig Jahre danach mehr als Spuren zu erkennen, die sich nicht in Vermutungen verlieren. Dass nun neue Akten zum Tod Giangiacomos Feltrinelli ans Tageslicht kommen, die den konspirativen Charakter seines Endes bestätigen, während gleichzeitig die Familiengeschichte aufgearbeitet wird, deutet zumindest darauf hin, dass sich dieser Nebel bald lichten wird.

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SZ vom 12.03.2012
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