Süddeutsche Zeitung

"Weinprobe für Anfänger" im Kino:Jenseits der Fettleber

Lesezeit: 2 min

Die Feelgood-Komödie "Weinprobe für Anfänger" möchte alte französische Werte verteidigen - und säuft dabei ziemlich ab.

Von Philipp Stadelmaier

"Weinprobe für Anfänger" beginnt mit einer Prämisse, die man als leidenschaftlicher Weintrinker nur zu gern für wahr halten würde: Eine Flasche Wein am Tag macht noch keinen Alkoholiker. Vorausgesetzt natürlich, dass es sich um einen "großen" Wein handelt, nicht um irgendeinen Fusel. Davon versucht der herzkranke Weinhändler, -kenner und -trinker, dessen Tagespensum eher so bei einer Flasche plus liegt, seinen Arzt zu überzeugen, nachdem er mit einem leichten Herzinfarkt in der Praxis gelandet ist. Er trinke zwar viel, aber nur Gutes.

Mit anderen Worten: Wäre Jacques (Bernard Campan) nicht herzkrank, könnte der Witwer ungeniert weitertrinken. Aber der Arzt verbietet ihm natürlich sein Grundnahrungsmittel. Schweren Herzens aber nur, denn der Arzt trinkt ja selbst gerne Wein, den er natürlich bei Jacques bestellt, für dreihundert Euro pro Kiste.

Sogar der Messwein muss in dieser Gegend ein Grand Cru sein

Der von Ivan Calbérac inszenierte, auf einem Boulevardstück basierende Feelgood-Film, der im Original den süffigen Titel "La dégustation" trägt, spielt in einem französischen Weinanbaugebiet, wo selbst der Messwein ein Grand Cru ist. In der Kirche betet Hortense (Isabelle Carré), eine einsame Jungfer, die jedes Wochenende mit ihrer katholischen Maman zu Mittag isst und Scrabble spielt. Als Krankenschwester bringt sie in der Klinik Kinder auf die Welt und wünscht sich dabei selbst eins. Außerdem kümmert sie sich um Obdachlose. Damit die nicht nur besagten Fusel trinken müssen, vor dem sich alle, ungeachtet von Einkommensklasse und sozialer Schicht, hüten sollten, besorgt sie ihnen bei Jacques einen Château Irgendwas. Der grummelige Weinhändler und die alte Jungfer: ein Match made im Weinkeller, wo aus einer betrunkenen Geschichte dann doch Liebe wird.

Es folgen Weinverkostungen, Besuche in malerischen Weinanbaugebieten, Rückschläge und Wiederversöhnungen, begleitet von Jacques' Schwierigkeit, von seinem Lieblingsgetränk loszukommen. Vor allem bekommt Jacques vom Sozialamt Steve zur Seite gestellt, einen jungen, fröhlichen und kiffenden Praktikanten, der auch ein bisschen nicht-französisch, also muslimisch ist - aber, da ja dem Laizismus verpflichtet, die Religion "respektiert", jedoch nicht "praktiziert". Und ausgerechnet dieser Steve entwickelt eine so feine Nase und einen so feinen Gaumen, dass er dafür infrage kommt, den Laden von dem herzkranken Monsieur Jacques zu übernehmen. Wenn er nur nicht all diesen Ärger mit den anderen Problemkids im Park hätte, die er nicht loswird.

Sollte sich noch irgendwer aufregen, dass heutzutage mit woken Diversity-Quoten in Filmen und Serien überall Social Engineering betrieben wird, dem sei diese "Weinprobe" ans Herz gelegt, um sich zu überzeugen, dass das konservativste und konformistischste Mainstreamkino die ganze Zeit über schon diese soziale Bastelarbeit leistet. Denn Frankreich präsentiert sich hier nicht nur von seiner fettlebrigsten, sondern auch von seiner gesellschaftlich bleiernsten Seite. Jeder hat ein Recht, der Republik anzugehören, so er nur die französischen Kulturgüter hochhält, also einen feinen Gaumen für edlen Médoc hat. Und bereit ist, ein Klischee zu verkörpern. Das arabische Problemkid muss bei der mit Bravour absolvierten Weinprobe schon so in den Spucknapf rotzen, dass seine Street Credibility gewahrt bleibt, und bis zum Schluss eine vage Kriminalität ausstrahlen. Sonst würde sich das weiße, bürgerliche, "großen" Wein trinkende Publikum des Films ja gar nicht mehr auskennen. Das Recht auf Teilhabe besteht im Recht, ein Stereotyp zu sein.

Wie passt jetzt die Geschichte von Jacques und Hortense zu der von Jacques und Steve? Gute Frage. Aber auch egal. Denn all das ist nicht so wichtig wie das Schicksal eines Château Margaux, Jahrgang 2000, der irgendwann in einem Safe auftaucht und von dem wir normalsterblichen Weintrinker nur weiter träumen dürfen.

Weinprobe für Anfänger, Frankreich 2022 - Regie und Buch: Ivan Calbérac. Kamera: Philippe Guilbert. Mit Bernard Campan, Isabelle Carré, Mounir Amamra. Studiocanal, 92 Minuten. Kinostart: 29. September 2022.

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